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Berlin: „Eindeutig antisemitisch“

Isaak Behar erlebte die Anfeindung durch Polizisten. Die Äußerungen sind „Spiegelbild der Gesellschaft“

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Die Termine Isaak Behars reichen weit bis ins Jahr 2008. Beinahe zweimal wöchentlich berichtet der heute 83-Jährige, der als einziger seiner direkten Familie den Holocaust überlebte, als Zeitzeuge in Schulen, an der Universität, bei Polizei, Feuerwehr und Bundeswehr über seine Erlebnisse in der Nazizeit. Davon lässt er sich auch durch die jüngsten Vorfälle in der Berliner Polizeischule nicht abbringen. Dort sollen Schüler aus einer Klasse in einer Diskussion mit Behar geäußert haben, sie wollten nicht ständig an den Holocaust erinnert werden und alle Juden seien reiche Leute. Polizeipräsident Dieter Glietsch kündigte daraufhin eine Klärung der Vorfälle und gegebenenfalls Konsequenzen an. Sollte sich bei jemanden eine „manifeste Fehleinstellung zum Nationalsozialismus“ herausstellen, habe dieser bei der Polizei nichts zu suchen, sagte Glietsch.

Behar möchte sich nicht weiter zu dem Geschehen in der Polizeischulklasse äußern, über das er den Polizeipräsidenten in einem Telefongespräch am Rande informiert hatte. „Ich möchte nicht illoyal gegenüber der Polizeiführung sein“, sagt er. Glietsch habe die Angelegenheit sofort zur „Chefsache“ gemacht und Aufklärung versprochen. „Man kann sich nur wünschen, dass eine Polizeiführung so reagiert. Ich habe vollstes Vertrauen.“ Das gleiche Vertrauen bringe er den Lehrern der Polizeischule entgegen, die angemessen reagiert hätten. Anderthalb Stunden habe die Diskussion gedauert; man habe die Polizeischüler reden lassen und ihnen nicht das Wort abgeschnitten. Für ihn waren es „eindeutig antisemitische Äußerungen“. Es sei jetzt Sache der Polizei, herauszufinden, ob die Polizeischüler „dumm waren oder überzeugt“. Aber eines müsse klar sein, sagt Behar. Was einem in Organisationen wie der Polizei oder der Bundeswehr begegne, sei ein „Spiegelbild der Gesellschaft: Etwas anderes zu erwarten ist Blödsinn“. Und niemals in den letzten Jahren seien „Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in einem solchen Maße gesellschaftsfähig“ gewesen und derartige Einstellungen offen geäußert worden wie heutzutage. Jahrelang sei die Gesellschaft blind gewesen auf dem rechten Auge: „Und jetzt sitzen sie in den Parlamenten.“

Seit 1993 kommt Behar zu Projekttagen der Polizeischule. Vorfälle hat es dort wie in anderen Institutionen immer wieder gegeben. Vor Jahren wurde er einmal mit einem Hakenkreuz an der Tafel begrüßt; die Institution will Behar nicht nennen. Das Argument, man wolle nichts mehr über den Holocaust hören, ist ihm nicht fremd. Teils hat er Verständnis dafür: Nach jahrzehntelangem Verschweigen der NS-Verbrechen habe man junge Menschen mit einer „Überdosis“ des Gedenkens überzogen, die jetzt die notwendige geschichtliche Auseinandersetzung erschwere.

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