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Wie jetzt weiter? Krauthausens Verein verschenkt Rampen, um Läden rollstuhlkompatibel zu machen.

© promo/Sozialhelden e.V.

Soziales Engagement: Einfach mal machen!

Glasknochenkrankheit? Na und. Raul Krauthausen und sein Verein Sozialhelden verschenken 1000 Rollstuhlrampen. Für Aktionen wie diese bekommt der 33-Jährige jetzt das Bundesverdienstkreuz.

Die Truppe, die Berlin für die Zukunft rüsten will, hat Probleme mit der Gegenwart. Genauer mit dem „Mindset“ der Gegenwart: der Bedenkenträgerei, der „Aber-Fixiertheit“, der „Analyseparalyse“, die dann doch bloß eine Rechtfertigung fürs Nichtstun sei.

So reden sie hier, in ihrem Büroraum am Ostbahnhof mit Blick auf die Gleise, treffsicher und geschliffen. Vor allem einer redet hier so. Der Chef. Raul Krauthausen, Kommunikationswissenschaftler, geboren in Lima, Peru, was nicht das einzig Unübliche an ihm ist, aufgewachsen in Berlin. Ihm reicht es mit diesem Verhinderer-Mindset. Allein die Vorstellung, Kolumbus hätte damals so gedacht! „Einfach mal machen“, das ist das Motto, das Fortschritt schafft. Das will Krauthausen sehen. Das macht er auch vor.

Gerade flattern Abreißzettel durch die virtuelle Welt, eine Art Kontaktanzeige, „Rampe sucht Stufe“ steht da drauf. Gesucht werden Orte, denen nur eine Stufe auf dem Weg zum rollstuhl-, kinderwagen- oder rollatorerreichbaren Ort im Weg ist. Eine Stufe auf dem Weg zu einem Ort, der schon mal eine Antwort anbietet auf Fragen und für Probleme, die eine vergreisende Gesellschaft künftig aufwerfen wird. In der könnte Barrierefreiheit zum Überlebenskriterium für Cafés, für Frisöre, Bäckereien und Restaurants werden. Soll heißen, heute etwas für die rollende Bevölkerung zu tun, könnte sich schon morgen auszahlen.

Die Rampen sind klappbar und gratis. Verschenkt werden sie von den Sozialhelden, einem Verein, den Raul Krauthausen 2004 gegründet hat, bei dem acht junge Leute arbeiten, Kinder des Internetzeitalters, alle aus der Kommunikations- oder der Computerbranche, Smartphones immer an und die sozialen Netzwerke im Griff. Die Sozialhelden haben 2010 ein Projekt namens Wheelmap ins Leben gerufen, und zu dem gehört die Aktion Tausendundeinerampe. 1000 Rampen, finanziert durch Spenden, sind zu verschenken. Bewerbungen und Empfehlungen nehmen die Sozialhelden gerne entgegen.

Wheelmap entstand, als Krauthausen und einem Freund auffiel, dass sie sich immer nur im selben Café – dem Schöneberger Café Bilderbuch – trafen, weil das rollstuhltauglich ist, und sie keine Lust hatten, einen anderen Treffpunkt zu verabreden, in den ein Rollstuhl vielleicht gar nicht hineinkommt. Sie überlegten sich, dass es gut wäre, wenn es einen Stadtplan für rollstuhl- oder rollatorgeeignete Orte gäbe – und handelten. Sie ließen so einen Stadtplan unter www.wheelmap.org im Internet entstehen. Das ist es, was Krauthausen „einfach mal machen“ nennt.

Nicht einen Zustand bejammern, sondern eine Lösung fördern. Die Wheelmap verzeichnet inzwischen mehr als 300 000 Orte weltweit – und zwar nicht nur Apotheken, sondern auch Bars und Nachtclubs. Rund 200 Neueinträge kommen jeden Tag dazu, abrufbar sind die Informationen in 21 Sprachen. Unter anderem dafür soll Krauthausen am kommenden Mittwoch das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Im Internet wurde diese Entscheidung mehrfach mit „endlich!“ kommentiert.

An dieser Stelle sollte nun erwähnt werden, dass Raul Krauthausen seit seiner Geburt vor 33 Jahren die Glasknochenkrankheit hat, die ein übliches Körperwachstum verhindert. Krauthausen ist ein sehr kleiner Mann, der sich – davon anscheinend unbeeindruckt – mit einem Rollstuhl durchs Leben bewegt. „Sent from my wheelchair“ steht als Schlusssatz in seinen Mails.

Inzwischen sitzt Krauthausen in einem Konferenzraum im Erdgeschoss – die Sozialhelden logieren gratis im Gebäude des Onlinemaklers Immobilienscout24, was ein Glück für den Verein ist –, er schiebt die Mütze auf dem Kopf zurecht und sagt: „Alle Ideen entstanden durch eigene Schmerzen“, wobei die Schmerzen nicht körperlich gemeint sind. Sie sind das Leiden am Missstand, aus dem dann kein Mitleid wurde, sondern Aktion. Deshalb auch der Name. Sozial-Helden. „Jeder hat das Potenzial, ein Held zu sein“, sagt Krauthausen. Ein Anpacker.

Eine andere der Sozialhelden-Idee war: „Pfandtastisch Helfen“. Das Spenden von Pfandbons im Supermarkt. Der Schmerz war dabei die Wohnung, die von Pfandflaschen befreit werden musste, und dazu kam der Gedanke, dass man die leeren Flaschen nicht der Pfand-Cent wegen, sondern aus Umweltbewusstsein zum Supermarkt schleppe. Warum dann nicht auf das Geld verzichten? Krauthausen fand in der Supermarktkette Kaiser’s einen Partner. Seither hängen dort die Bonsammelkästen. Nutznießer ist die Berliner Tafel.

Eine weitere Idee hieß: Leidmedien. Dabei ging es um Berichterstattung über Behinderte, über Phrasen, die Nichtbehinderte ohne Nachdenken verwenden, wenn sie über Behinderte sprechen oder schreiben. Leidmedien.de sammelte Beispiele und zeigte auf, wie es besser geht. „Menschen mit Behinderungen sind die am schnellsten wachsende Minderheit“, sagt Krauthausen. Für den weißen, heterosexuellen Mann, der sich für den Prototyp des Normalen halten darf, werde es immer schwieriger, die existierenden Abweichungen zu ignorieren. Und was ist das überhaupt für ein „Mindset“? Ignorieren, wegschieben, ausgrenzen. Krauthausen erinnert an die UN-Konvention zur Inklusion von 2008, deren Umsetzung in Deutschland nicht vorankomme.

Es wird schnell grundsätzlich in Gesprächen mit Krauthausen, und weil er sich viele Gedanken schon sehr lange macht und akkurate Formulierungen parat hat, ist er schnell der Redner, und die anderen hören zu. So kommt einem bereits nach kurzer Zeit nichts weniger in den Sinn, als Krauthausen einen Behinderten zu nennen.

Davon kann auch Andi Weiland berichten. Er ist seit Juli 2011 bei den Sozialhelden, aber schon davor hat ihm gefallen, was er von Krauthausen in Foren oder Tweets lesen konnte. Das mit der Lockerheit, der neue Ton im Helferwesen, die Dynamik. Weiland macht heute Öffentlichkeitsarbeit für den Verein und ist häufig mit Krauthausen unterwegs. Er zu Fuß, neben ihm der kleine Krauthausen in seinem Rollstuhl. Auf der Straße würden sie dann angestarrt, sagt Weiland, und oft frage er sich, weshalb die Menschen so schauen? Er fragt sich das, weil er selbst die besondere Optik seines Kollegen und Freundes längst nicht mehr sieht.

Als Krauthausen gegen Mittag das Bürogebäude verlässt, um sich draußen etwas zu essen zu holen, kommt er an einer Gruppe Kinder vorbei, die auf den Bus wartet. Die Kinder glotzen ihn an, er winkt ihnen zu, lächelt sie an, und da lächeln auch sie.

Sozialhelden, Andreasstraße 10, 10243 Berlin, Tel. 57 70 74 97, www.sozialhelden.de. Die Weltkarte: www.wheelmap.org – und das Forum: www.leidmedien.de.

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