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Berlin: Einfach nur weg

Klaus Kordons „Das Krokodil im Nacken“ ist die Geschichte einer DDR-Flucht Nun ist der Roman als Theaterstück zu sehen – im früheren Stasi-Gefängnis

In einem Kleintransporter, aufgeteilt in enge dunkle Kammern, in denen er kaum stehen kann, wird Manfred Lenz vom Flughafen Schönefeld durch seine Geburtsstadt Berlin gefahren. Orientierungslos gelangt er in die Zelle, in der er ein Jahr verbringen wird. Sieben Quadratmeter, der Länge nach acht kleine Schritte hin, acht zurück. Ein Fenster gibt es nicht, nur Glasbausteine mit einer Lüftungsklappe. Ein Mitarbeiter der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Hohenschönhausen klärt ihn zu Beginn des ersten Verhörs über seine Straftat auf: „Wer Grenzanlagen beschädigt, Gruppen bildet, gefährliche Gegenstände mit sich führt, im Wiederholungsfall den Grenzdurchbruch versucht oder ihn mit falschen Pässen erzwingen will, hat sich des schweren Grenzdurchbruchs schuldig gemacht“. Die „Gruppe“, das ist Lenz’ Familie. Als seine beiden Kinder in der Schule lernen, die Verwandten im Westen seien schlechte Menschen, als eine treue Genossin von der Stasi schikaniert wird, weil ihr Sohn in den Westen geflüchtet ist und während des Prager Frühlings 1968 die russischen Panzer rollen, plant Lenz mit seiner Frau Hannah die Flucht aus der DDR. Über Bulgarien wollen sie 1972 in die Türkei, doch sie werden in einem Zug in Bulgarien festgenommen.

Die Geschichte von Manfred Lenz erzählt der Autor Klaus Kordon in seinem Roman „Das Krokodil im Nacken“. Es ist auch seine Geschichte, nach einem gescheiterten Fluchtversuch saß er selbst ein Jahr im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Kordons Roman wurde 2003 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Anlässlich des 45. Jahrestages des Mauerbaus bringt die Theatergruppe „Drehbühne Berlin“ die Geschichte auf die Bühne. Aufgeführt wird die Inszenierung am historischen Ort, im ehemaligen Stasi-Gefängnis, der heutigen Gedenkstätte Hohenschönhausen.

In der Zelle versucht sich Lenz , gespielt von Tom Jahn, die Zeit mit Liegestützen und Kniebeugen zu vertreiben. Singen, Pfeifen und lautes Sprechen verbietet die „Verwahrraumordnung“. Die Decke auf seiner Pritsche muss ordentlich zusammengefaltet sein. Sitzen auf der Pritsche ist tagsüber verboten, dafür bleibt ihm nur ein Hocker. Verstößt er gegen die Vorschrift, wird er von einem Wachmann durch die Türklappe lautstark zur Ordnung gerufen. Lenz, der frühere Exportmitarbeiter, der sogar nach Afrika und Asien reisen durfte, ist mit 29 Jahren am Nullpunkt angekommen. Die Gedanken an seine Frau und seine Kinder quälen ihn. Dass Hannah ebenfalls in einer Zelle sitzt und die Kinder in ein Heim gebracht wurden, weiß er nicht. Neben endlosen Verhören hat Lenz viel Zeit zum Nachdenken. Erinnerungen an seine Kindheit werden wach, an seine Mutter, die eine Kneipe in der Prenzlauer Allee besaß, nach deren frühem Tod er in einem Kinderheim mit militärischem Drill zu einem jungen Sozialisten erzogen werden sollte. In seiner Fantasie verwandeln sich die Gegenstände in seiner Zelle in Personen. Lebendig werden sie auch vor den Augen der Zuschauer. In den Händen der Schauspieler verwandelt sich die Decke in die Mutter, ein Handtuch in einen SED-Funktionär und die Matratze in einen Lehrer. Die Fantasie ist Ausdruck des Überlebenswillens des Gefangenen, den ihm die Haft nicht nehmen kann. Manfred und Hannah Lenz wurden später von der westdeutschen Regierung freigekauft und reisten 1973 nach Frankfurt am Main aus. Später zogen sie in den Westteil Berlins, wo auch Autor Klaus Kordon bis heute lebt.

Die Mitarbeiter der „Drehbühne Berlin“, die zuletzt großen Erfolg mit ihrer Produktion „Der kleine Prinz“ im Tränenpalast hatten, verstehen sich als „Brückengeneration“ zwischen Zeitzeugen und denen, die nach der Wende geboren worden sind. „Wir, die etwa 20- bis 35-Jährigen, sind die letzte Generation, die mit der Teilung noch persönliche Erlebnisse verbindet“, sagt Nanda Ben Chaabane, die gemeinsam mit Lorenz Christian Köhler die künstlerische Leitung hat. Silke Bauer von der Gedenkstätte Hohenschönhausen sieht in dem Stück eine gute Ergänzung zu den Führungen: „Die Hemmschwelle, sich durch eine Theateraufführung der Geschichte zu nähern, ist für viele Besucher niedriger als der Gang in die Zellen.“ Mit dem Stück, das von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird, könnten vor allem Jugendliche erreicht werden.

Premiere, heute um 19.30 Uhr, weitere Aufführungen am 13. August sowie am 1., 2. und 3. September. Eintritt 12, ermäßigt 8 Euro. Reservierung unter 98 60 82 32, Infos unter www.drehbuehne-berlin.de

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