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Zahntechnikmeister Christoph Kazmierczak (links) und sein Team aus dem Dentallabor.

© Doris Spiekermann-Klaas

Sonderpreis 2015: Er liest ihr von den Lippen

Christoph Kazmierczak beschäftigt in seinem Dentallabor mehrere Angestellte mit Behinderungen. Einige können nicht hören. Deshalb wird in dem Betrieb per Gebärdensprache kommuniziert.

Christoph Kazmierczak will gar nicht so viel Wind darum machen, dass die Hälfte seiner Mitarbeiter behindert ist. „Wir haben uns da so reingelebt“, sagt er. Es habe sich so ergeben und ist nach und nach gewachsen. Was heißt denn überhaupt „behindert“? Schaut man genauer hin, steht hinter diesem Etikett immer ein ganz eigener Mensch.

Für Christoph Kazmierczak begann dieser Lernprozess 2012, als er sich mit einem Dentallabor selbstständig machte. Vorher hatte er lange Zeit als Angestellter gearbeitet, dann den Meister gemacht. So ziemlich jede Art von Zahnersatz stellt das nach ihm benannte CK-Labor her: von festsitzend über teilweise herausnehmbar bis hin zu Totalprothesen. „Das sind die, die man im Film im Glas neben dem Bett stehen sieht“, sagt Kazmierczak. In diesem Jahr hat er eine Weiterbildung über „belastungsarmen Zahnersatz“ begonnen. Die verarbeiteten Kunststoffe und Metalle können Allergien auslösen. Jetzt lernt der Chef, wie er – abgestimmt auf das Blutbild eines Allergiepatienten – die richtigen Werkstoffe auswählt. Das Wissen gibt er weiter an seine Angestellten. Die erste war eine Keramikerin mit Problemen in der Halswirbelsäule. Möglicherweise eine Berufskrankheit, Zahntechniker müssen viel nach unten schauen. Für die Frau mussten ein höherer Arbeitsplatz und ein besserer Stuhl besorgt werden. So seien sie in die Arbeit mit Behinderungen hineingekommen.

"Beim Reden muss man sich anschauen, das musste ich erst lernen"

Dann vermittelte ihm das Arbeitsamt eine gehörlose Kunststofftechnikerin. „Das war eine neue Herausforderung“, sagt der Chef. Die Frage war „Wie kommunizieren wir jetzt?“ Eigentlich ist die Zahntechnik ein Beruf, in dem Gehörlose gut arbeiten können und oft ausgebildet werden. Vieles steht auf den Auftragsscheinen, aber erklären muss man dennoch so einiges. Also wurde ein Tablet angeschafft, in das man per Sprache Texte eingeben kann. Es liegt nun die meiste Zeit unbenutzt herum. „Viele Hörbehinderte haben ein spezielles Hörgerät, das die Schallwellen verstärkt, so dass sie ein paar Laute wahrnehmen können“, erklärt Christoph Kazmierczak. Im Arbeitsalltag funktioniert es gut, wenn die gehörlose Mitarbeiterin von den Lippen abliest. „Dafür muss man sich anschauen beim Reden. Das musste ich erst lernen“, sagt der Chef. Die nächste Neueinstellung war eine Auszubildende, deren Schwester gehörlos ist. Sie beherrschte die Gebärdensprache und konnte deshalb als Dolmetscherin zwischen den Hörenden und der Kunststofftechnikerin vermitteln. Eine wichtige Hilfe.

Für das Dentallabor lief es gut, das Auftragsvolumen stieg und ein zweiter Keramiker wurde gebraucht. Und Christoph Kazmierczak wusste, wo er einen geeigneten finden konnte. Er wandte sich an das Berufsbildungswerk in Leipzig. Dort befindet sich eine der großen Ausbildungsstätten für gehörlose Zahntechniker in Deutschland. „Ich selbst habe noch nicht die Zeit gefunden die Gebärdensprache zu lernen“, bedauert der Chef. Inzwischen geht auch die nächste Auszubildende zum Abendkurs, um die Gebärdensprache zu lernen. Sie hat keine Behinderung, „damit die Mischung wieder stimmt“, sagt Christoph Kazmierczak. Aber er ist „froh und stolz“, dass die junge Frau einen Teil ihrer Freizeit für die besondere Fortbildung investiert.

Wenn Christoph Kazmierczak die Arbeitsaufträge bespricht, sei es mit den hörbehinderten Kollegen schon aufwendiger, sagt. „Ihr Wortschatz ist geringer, und viele lateinische Begriffe muss man erklären. Sie brauchen mehr Pausen und bekommen mehr Urlaubstage“, sagt der Chef. Die finanziellen Hilfen, die der Staat für die Beschäftigung von Behinderten zahlt, würden den Mehraufwand aber ausgleichen. „Sie sind lebensnotwendig für einen Betrieb, der Inklusion betreibt. Ohne sie wäre es für uns nicht möglich, behinderte Menschen in verhältnismäßig großem Stil zu beschäftigen.“

Er selbst, sagt der Chef, sei auch integriert worden

Der bisher letzte, der neu in den Betrieb kam, ist Christoph Kazmierczaks Vater. Er ist nach einem Schlaganfall körperlich eingeschränkt, kann sich aber um die Wartung der Geräte im Labor kümmern und übernimmt Fahrten als Bote. Das Labor ist so gesehen ein Familienbetrieb, auch die Mutter arbeitet in der Verwaltung mit.

Unterstützung bekommt der Betrieb vom Landesamt für Gesundheit und Soziales und von Initiativen wie dem Förderverein Goldnetz. Einen inneren Antrieb braucht der Unternehmer aber trotzdem: „Es droht viel Bürokratie, und man lernt dabei fast einen zweiten Beruf. Ich kann verstehen, dass das viele abschreckt“, sagt Christoph Kazmierczak. Ein Unternehmer müsse auf jeden Fall das Herz dafür haben und Spaß daran, sich zu kümmern.

„Es ist schön, etwas für die Menschen zu tun. Vor allem, wenn man sieht, dass es ihnen so viel Freude macht.“ Im CK Dentallabor jedenfalls ist man dankbar für das Vertrauen der Zahnärzte und Patienten, die sicher sind, dass Behinderte ihre Arbeit genau so gut machen können wie Nichtbehinderte. „Otto Normalverbraucher denkt oft, dass Behinderte minderwertig sind“, hat Kazmierczak erfahren. Er wird für sein Engagement jetzt mit dem Berliner Inklusionspreis ausgezeichnet. So kompliziert sei das alles auch wieder nicht gewesen, sagt er fast ein wenig zu bescheiden. „Es ist nicht so, dass man Angst davor haben muss. Man lernt damit zu leben und man lernt, anders zu leben. Ich selbst bin dabei auch integriert worden“, sagt Christoph Kazmierczak.

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