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Kommt zu besuch nach Berlin. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayip Erdogan.

© dpa

Türkischer Staatschef in Berlin: Erdogan - Besuch von einem Freund?

Unsere Kolumnistin Hatice Akyün ist von der Haltung der deutschen Politik gegenüber der Türkei enttäuscht. Denn Werte wie Meinungsfreiheit und Toleranz sind dort nicht selbstverständlich - und ein guter Freund muss auch solche bitteren Wahrheiten ansprechen.

Offiziell kommt Recep Tayyip Erdogan, um Angela Merkel zu besuchen. Wie sich unsere Bundeskanzlerin dem Land meiner Vorfahren gegenüber verhält, ist mehr als enttäuschend. Zu lange und zu zögerlich hat man alles getan, um die Türkei nicht wegzustoßen, aber auch nichts getan, um sie mitzunehmen. Da gerade alle von der größeren Rolle Deutschlands in der Welt schwadronieren: Hier könnte man ein Beispiel geben. Die Türkei ist an der Grenze zu vielen Brandherden der Welt. Man könnte Frieden mitgestalten. Es tut mir weh, in welche Richtung sich mein Ursprungsland entwickelt.

Bei mir ist er schon lange durchgefallen, der Ministerpräsident der Türkei. Zugegeben, er hat das Land modernisiert, die Wirtschaft ist explodiert, überall gibt es neue Bauprojekte. Nur hat er vergessen, die mitzunehmen, die er für ein modernes Land braucht – Junge, Gebildete, Aufsteiger. Wasserwerfer und Tränengas sind keine Antwort auf eine Gesellschaft, die Teilhabe, Gewaltenteilung und Bürgerrechte einfordert. Das ist nicht die ganze Wahrheit und nicht die ganze Türkei, aber immer noch genug Bewegung, um ein Land zu spalten.

Im letzten Sommer gingen Tausende Berliner auf die Straße und solidarisierten sich mit den Menschen in der Türkei. Her yer Taksim, her yer direnis, überall ist Taksim, überall ist Widerstand, riefen sie. Ich ging auch mit, als Deutsche, als Türkin, als Demokratin, als Mensch. In Deutschland bin ich mit Rechten und Werten wie Meinungsfreiheit und Toleranz aufgewachsen. Sie sind für mich selbstverständlich. Und gerade deshalb fühle ich mich so stark mit der Türkei verbunden. Die Türkei fordert endlich diese Rechte auch für sich ein.

Nun wird er also in Berlin reden, am Dienstag, im Tempodrom. Will er die dunklen Mächte, die er so stoisch bekämpft, bemühen, um sich reinzuwaschen? Braucht er die Kulisse der ihm treu Ergebenen, um zu Hause sein Image als Landesvater, auch der Auslandstürken, zu polieren? Für mich ist da längst der Lack ab. Mich stört es nicht, dass er kommt. Mich stört auch nicht, dass er redet. Mich stört nur, dass er sich in eine Szenerie flüchtet, anstatt sich zu stellen, und auch mal der anderen Seite zuhört.

Ja, unsere deutsche Konsensdemokratie ist mühsam, langweilig und alles andere als fehlerfrei. Nur, wir stellen uns den nicht enden wollenden Diskussionen – auch, wenn meist nur der kleinste gemeinsame Nenner entscheidet. Auch in meiner Familie streiten wir wie die Kesselflicker über die Politik des Ministerpräsidenten. Auch wenn ich in der Minderheit bin, sind wir trotzdem allesamt ein gutes Stück mehr Demokratie und Freiheit gewohnt. Wir sind schon längst angekommen in Deutschland. Und die Türkei wird sich auf Dauer Freiheit und Demokratie nicht vorenthalten lassen. Oder wie mein Vater sagen würde: „Dost aci söyler.“ Ein Freund sagt auch bittere Wahrheiten.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Hier schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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