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Der ehemalige Generalstaatsanwalt Ralf Rother.

© Mike Wolff

Update

Ex-Ermittler im Amri-Ausschuss: Observation nur bis Juli? „Ich wollte es nicht glauben“

Anis Amri war den Behörden vor dem Breitscheidplatz-Anschlag aufgefallen. Ex-Generalstaatsanwalt Rother schilderte nun, warum sie ihn aus den Augen verloren.

Von Sabine Beikler

Er ist seit gut eineinhalb Jahren nicht mehr im Dienst. Aber Ralf Rother, der frühere Berliner Generalstaatsanwalt, erinnert sich am Freitag als Zeuge vor dem Amri-Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus gut an den Anfang des Jahres 2016. Es hätten bei der Staatsanwaltschaft Unterlagen der Polizei vorgelegen, dass „möglicherweise ein Anschlag auf ein Haus in Berlin geplant sei, um sich dort Geld für Gewehre vom Typ AK-47 zu beschaffen“. Und möglicherweise sollte es auch ein Attentat geben.

Das war Anfang 2016 eine vage Erkenntnis, die am 19. Dezember 2016 furchtbare Realität wurde. Bei dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz ermordete Anis Amri zwölf Menschen und war für mehr als 70 Leicht- und Schwerstverletzte verantwortlich. Nur einen Monat zuvor kam man laut Rother im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) noch zu der Erkenntnis, dass „von diesem Mann keine Gefahr ausgeht“. Ein tödlicher Fehler.

Rother betonte wie Beamte des LKA im Untersuchungsausschuss mehrfach zuvor, dass „alle Beteiligten davon ausgingen, von Amri gehe keine Gefahr aus“. Bei einem Überfall in einer Shisha-Bar in Neukölln im Juli 2016 war Amri beteiligt. Es ging damals offenbar um Drogengeschäfte: Das polizeibekannte Clan-Mitglied Ali A.-C soll sich nach früheren Zeugen-Aussagen in der Toilette versteckt haben, als die Schlägerei und Messerstecherei begann, bei der wie berichtet Ahmed Z. verletzt wurde.

„Im Grunde genommen war Amri selbst keine vernünftige Tatbeteiligung in der Shisha-Bar vorzuhalten“, sagte Rother. Im Laufe der Zeit sei die Behörde zu der Erkenntnis gekommen, dass „der Mann keine solche Bedeutung mehr hat wie am Anfang gedacht“. Bekannt war allerdings, dass Amri sich in salafistischen Kreisen in der Fussilet-Moschee bewegte.

Ende Februar/Anfang März 2016 erhielt die Generalstaatsanwaltschaft Erkenntnisse aus verdeckten Ermittlungen in Nordrhein-Westfalen. Damals habe man noch von „Anis Amir“ und nicht von „Anis Amri“ gesprochen. Der Tunesier Amri lebte mit 14 Identitäten in Deutschland, wie später bekannt wurde. Es wurden zwischen April und Juni 2016 Überwachungen bei Amri vorgenommen, nämlich Observation und Überwachung der Telekommunikation. Im Laufe der TKÜ kam heraus, dass Amri im Bereich der Drogenkriminalität unterwegs war. Eine feste Wohnanschrift habe er zu dieser Zeit nicht gehabt, so Rother. Und er sei „in der einen oder anderen Moschee“ untergekommen.

Welche Bücher waren in den Knast-Bibliotheken zu lesen?

Die TKÜ und die Observation wurden von der Staatsanwaltschaft beantragt. „Als ich erfahren hatte, dass die Observation aber nur bis Juli durchgeführt wurde, wollte ich es nicht glauben“, sagte Rother.“ Aber selbst wenn Amri durchgängig überwacht worden wäre, „ist es eher unwahrscheinlich, dass er der Anschlag hätte verhindert werden können“. Das IS-Kalifat habe Handlungsanweisungen ausgegeben, wie man nicht ins Visier der Behörden komme. Das sei die Hauptschwierigkeit gewesen, dass es vor einem Anschlag „kaum einer Vortat bedarf“. Selbst wenn die Observation weiter gelaufen wäre, hätte es nicht zwingend zu einer Verhinderung des Anschlags kommen können.

Rother war in einer bundesweiten Arbeitsgruppe tätig, die sich mit islamistischem Terror beschäftigt hatte: vier Generalstaatsanwälte, vier Landeskriminalämter und die Bundesanwaltschaft. Im Jahr 2005/2006 habe man bereits erkannt, dass islamistischer Terror auch Auswirkungen auf Deutschland haben könnte. Interessante Fragen stellte sich die Arbeitsgruppe damals: Welche Bücher waren in den Knast-Bibliotheken zu lesen? Und können die Justizvollzugsbeamten überhaupt erkennen, wenn salafistische Literatur in den Haftanstalten umgeht, wenn sie nicht arabisch sprechen und lesen können?

Diese Arbeitsgruppe wurde „leider einer Veränderung unterworfen“, so Rother. „Man hat wohl nicht gewollt, dass wir eine Aktivität entwickelten. Die Landeskriminalämter sollten daran nicht mehr beteiligt werden.“ Rother forderte die Weiterführung der Arbeitsgruppe – auch ohne Landeskriminalämter.

Unter seiner Leitung wurde die „Arbeitsgruppe Islamismus“ mit anderen Generalstaatsanwälten aus München, NRW, Baden-Württemberg und natürlich Berlin weitergeführt. „Wir erkannten damals eine Nahtstelle: Der Generalbundesanwalt brauchte Nachweise für den Nachweis einer Beteiligung in einer terroristischen Vereinigungen. Und die fanden sich in den lokalen Staatsanwaltschaften.“ Deshalb habe man sich regelmäßig mit der Bundesanwaltschaft abgestimmt.

Rother hatte 2014 die Abteilung Extremismus gegründet

„Es kann nicht sein, dass die einzelnen Staatsanwaltschaften der Länder Erkenntnisse haben. Diese müssen gebündelt werden“, erinnerte sich Rother. 2014 hatte er die Abteilung Extremismus bei der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin gegründet. Er initiierte zwei Beschlüsse, die dem Bundesjustizministerium mitgeteilt wurden. Der erste war eine Installationsbefugnis für Telekommunikationsgeräte. „Denn wir konnten viele Telefonate nicht mehr mithören, da eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorhanden war.“ Gespräche über Whatsapp hätten nicht mehr abgehört werden können. Deshalb brauchten die Behörden eine andere juristische Grundlage.

Der zweite Beschluss war der Aufbau eines Gefährdermanagements. Rother gab die interne Anweisung, dass er eine Liste aller Berliner Gefährder haben wolle mit Hinweisen über feste Wohnorte und einzelne Ermittlungen. „Wir wollten alle Verfahren gegen Einzelne zusammenführen, auch Verfahren aus anderen Bundesländern.“ So wurden analog zur Abteilung 17 „Islamistischer Terrorismus“ in der Staatsanwaltschaft bundesweit Kompetenzzentren eingerichtet. Wie viele Verfahren diese Abteilung in den Jahren 2016 bearbeitet hatte, konnte Rother nicht sagen. Er ging im März 2018 in den Ruhestand. Ob die Berliner Generalstaatsanwaltschaft auch heute noch regelmäßig eine Liste von Gefährdern erhalte, beantwortete Rother mit den Worten: „Ich hoffe.“

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