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Gedränge auf dem zugefrorenen Landwehrkanal in Berlin-Kreuzberg: Die Polizei schritt ein.

© John MacDougall

Exklusiv

Einsätze wegen Infektionsschutz: Fast eine Million Polizeistunden zur Durchsetzung der Corona-Regeln in Berlin

Immer wieder war die Polizei für Corona-Kontrollen im Einsatz – auch wegen illegaler Partys. Eine Statistik dazu fehlt. Zwei Bezirke zählten händisch nach.

Stand:

Die Berliner Polizei leistete seit Beginn der Pandemie bis Anfang März dieses Jahres "für die Durchsetzung der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung" genau 932.554 Einsatzkräftestunden. Diese Zahl nannte die Innenverwaltung in einer bislang unveröffentlichten Antwort auf eine Frage des AfD-Abgeordneten Karsten Woldeit. Die Antwort liegt dem Tagesspiegel vor. 

Jeder der 17.000 Berliner Polizisten hat also ziemlich genau sieben Arbeitstage von je acht Stunden ausschließlich mit Corona-Kontrollen verbracht. Zum Vergleich: ein 1. Mai verbraucht etwa 100.000 Stunden.

Diese Größenordnung war bislang völlig unbekannt. So gab es beim Kälteeinbruch im Februar Massenpartys auf dem Eis des Landwehrkanals in Kreuzberg, bei denen die Polizei auch per Hubschrauber im Einsatz war. Nach diesem Großeinsatz hatte der AfD-Abgeordnete Woldeit seine Anfrage zu Corona-Partys gestellt.

Doch abgesehen vom Umfang des Polizeieinsatzes weiß der Senat fast nichts. Die Polizei erfasst demnach illegale Corona-Partys gar nicht in einer Statistik, wie Innenstaatssekretär Torsten Akmann schrieb. Die von der Polizei geahndeten Ordnungswidrigkeiten nach der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung werden nur "den örtlich zuständigen Bezirksämtern zur Sachbearbeitung übermittelt".

Die Bezirke wurden vom Senat aufgefordert, ihre Daten zuzuliefern. Zehn Bezirke antworteten, Charlottenburg-Wilmersdorf und Spandau nicht. Acht der zehn Bezirken gaben diese Antwort: "Keine Angabe". Hintergrund ist offenbar eine Lücke in den verwendeten Computerprogrammen.

Zwei Bezirke zählen Partys händisch

Laut Senat erfassen die Bezirke die übermittelten Daten "über das computergestützte Fachprogramm Eurowig", schreibt die Innenverwaltung. Der "in dem Fachprogramm enthaltene Statistikgenerator lässt die erforderliche Auswertung nach den Tatbeständen der aktuell geltenden SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und nach den Veranstaltungsorten (in Gebäuden/Grünanlagen) nicht zu".

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Zwei Bezirke machten sich immerhin die Mühe zu einer sogenannten "händischen Auswertung", nämlich Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf. Diese Auszählung von Akten per Hand ergab in Marzahn-Hellersdorf 486 und in Reinickendorf 80 Ordnungswidrigkeiten zu „illegalen Partys bzw. Versammlung auf öffentlichen Grünflächen bzw. Parks“ seit Beginn der Pandemie bis Anfang März dieses Jahres.

Sehr viele dieser Anzeigen wurden eingestellt und nicht verfolgt. Von den 240 Anzeigen in Marzahn-Hellersdorf, die bereits abgeschlossen sind, wurden 73 eingestellt. 52 endeten mit einer Verwarnung, 115 mit einem Bußgeld.

In Reinickendorf wurden 28 dieser Anzeigen abschließend bearbeitet: 15 Einstellungen, 13 Bußgelder. Pankow meldete als dritter Bezirk, dass in acht Anzeigen 9000 Euro Bußgelder verhängt wurden, aber erst zum Teil eingetrieben wurden. Vier Feiernde haben den Bescheiden widersprochen. Ansonsten: "Keine Angabe." 

Viel Aufwand, wenig Erkenntnisse

Dies kommentierte der Abgeordnete Karsten Woldeit so: "Erstaunlich, dass die Bezirke keine Daten liefern können." Für den AfD-Politiker "entfällt damit eine wichtige Grundlage für die bisherige Lockdown-Politik." Es sei sinnlos, "immer wieder Polizeikräfte zur Einhaltung der Corona-Regeln abzuziehen", wenn es hinterher "fast null Erkenntnisse über Verstöße gibt". 

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Die Größenordnung der Corona-Partys ergibt sich aus der Zahl der berlinweiten Strafanzeigen bei der Justiz. Diese haben seit Beginn der Pandemie 2344 Verfahren wegen Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz eingeleitet, 184 weitere gegen unbekannt. Die meisten Strafanzeigen gab es in den Sommermonaten Juni bis September – ein Indiz dafür, dass es sich um Partys in Parks oder auf Plätzen handelte.

556 gab es allein im Juli, im Mai, Juni und September jeweils über 300. In den Lockdown-Phasen gab es kaum Anzeigen, zum Beispiel im Dezember 72. Von den 2344 Verfahren wurden fast 700 zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft, etwa 900 ganz eingestellt. 

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