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Nachruf auf Heinz Boock (Geb. 1929): Feierabend 14 Uhr, dann ab zum Verein

Sich abends selbst auf die Schulter klopfen. Mehr Dankbarkeit brauchte er nicht. Er hatte ja seine Verdi-Opern – und den Fußball.

Die Mutter kam zu spät. Der Sohn war schon fort. Ausgerückt mit den anderen Jungen, die im April 1945 eingezogen worden waren, als würden ein paar Kinder in Uniform noch irgendeinen Unterschied machen. Der Fußball, den die Mutter ins Ausbildungslager Gardelegen getragen hatte, er wurde nicht mehr gebraucht. Um aufs Feld zu gehen, blieb den Kindern keine Zeit. Sie mussten ins Feld. Heinz Boocks Pech war, dass er so schmächtig war. Deshalb, so erfuhr die Mutter, hatte der 15-Jährige den Auftrag bekommen, belgische Beutegranaten zu sichern, die auf einem Friedhof in der Kapelle versteckt lagen. Überleben unwahrscheinlich.

Als die Mutter mit dem Ball zurückkehrte, nahm der Vater eine geliehene Pistole und kurze Lederhosen, stopfte beides in eine Aktentasche. Er setzte sich aufs Fahrrad, strampelte los. Irgendwann fand er seinen Sohn. Er nahm ihn mit. Ein Wachposten sah sie – und sah weg.

In einem Bombentrichter wechselte der Junge die Uniform gegen die kurzen Hosen. Heinz Boocks Glück war, dass er so schmächtig war. SS-Patrouillen, denen sie begegneten, ließen den Vater mit seinem augenscheinlich kleinen Kind ziehen.

Man kann also sagen, dass Heinz Boock sein Leben einem Fußball verdankt. Hätte die Mutter ihn nicht gebracht, der Vater hätte nie gewusst, wo er seinen Sohn suchen sollte. Heinz Boock revanchierte sich. Er wurde Fußballtrainer.

Zu sagen, er habe sich im Dienst aufgeopfert, wäre übertrieben

Seinem Vater wäre es lieber gewesen, er wäre Tierarzt geworden. Das „Gestüt Boock“, das nach dem Krieg von Stendal nach Köpenick umzog, hätte gut einen gebrauchen können. Ihre Pferde waren berühmt. 1941 gewann die Stute Alwa den Großen Preis von Deutschland. Aber Heinz hatte einfach zu wenig Zeit zum Lernen. Das Gymnasium, zu dem er jeden Tag alleine mit der Bahn nach Charlottenburg pendelte, schaffte er zwar. Doch schon damals hatte sein Sportlehrer ihm die Betreuung einer Jugendmannschaft übertragen. Es blieb seine Lebensaufgabe.

Weit mehr als der Job beim Bezirksamt. Er war gewissenhaft, aber zu sagen, er habe sich im Dienst aufgeopfert, wäre übertrieben. Seine ganze Energie galt dem Fußball. Um 14 Uhr machte er Feierabend, schlief eine halbe Stunde. Dann hieß es: Ab zum Verein!

1959, da wohnte er schon in Charlottenburg, war Heinz Mitglied bei BFC Meteor 06 in Wedding geworden. Dort trainierte er die Ersten Männer und parallel die Jugendmannschaften. Geld wollte er nicht dafür. Im Gegenteil: Er brachte welches mit und war sich auch nicht zu fein, im Moabiter Poststadion die schweren Ballnetze einzusammeln und zu Fuß in den Volkspark Rehberge zu schleifen. Schon bald wurde er wegen seiner Unersetzlichkeit im Verein nur noch „Mr. Meteor“ genannt.

Der spätere Weltmeister Thomas Häßler lernte von Boock. Wolfgang „Sprotte“ Sühnholz von Bayern München und Dieter Schollbach wurden von ihm in Freistoß und Freispielen unterwiesen. Als Fußballer mag Boock kein Genie gewesen sein, aber als Lehrer war er eine Autorität. „Für mich ist Fußball weit über alle Krakeelereien in den Stadien hinaus eine Wissenschaft“, erklärte er. Dass die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Russland keine Chance haben würde, wusste er schon vorher. Da gab es gar keine Diskussionen. „Es gewinnt nicht das Team, das am besten zusammenhält. Es sind immer die überragenden Individualisten, die für eine Entscheidung sorgen.“

Er war auch so einer, ein Individualist von überragendem Rang. Sagen ließ er sich nichts. Als er nach dem Krieg in der Schule zur Begrüßung der Lehrer wieder aufstehen sollte, blieb er sitzen. Als er Altersdiabetes bekam, sagte er: „Der Ärztin beweise ich, dass ich keinen Zucker habe.“ Er konnte hart sein. Wenn ihn etwas langweilte, und das war außer Fußball und Verdi-Opern eigentlich so gut wie alles, klinkte er sich aus. Hartherzig aber war er nicht. Er verlieh Geld, nicht nur kleine Summen, sah es oft nicht wieder. Es ist nicht überliefert, dass er sich jemals darüber beklagt hätte.

Eines Tages fehlte jemand beim Training. Wo war „Hacki“? Boock machte sich auf die Suche. Er fand den Halbwüchsigen im Jugendarrest in Lichtenrade. Der Junge hatte bei Raubüberfällen Schmiere gestanden. Boock nahm sich seiner an, wurde sein ehrenamtlicher Bewährungshelfer. Wenn Hacki die Schule schwänzte, fuhr der Trainer hin, hämmerte so lange an die Tür, bis der Junge mitkam. Wie vielen anderen Kindern aus dem Verein, die aus schwierigen Familienverhältnissen stammten, ersetzte er ihm den Vater. Jahre später, wenige Monate vor seinem Tod, wurde Boock es dann wirklich: Er adoptierte ihn.

Mitte der 90er bekam Mr. Meteor für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz. Freunde wissen nicht, ob ihm das viel bedeutet hat. „Dass du dir abends selbst auf die Schulter klopfen kannst, das ist der einzige Dank“, war sein Motto. Er brauchte keinen, der ihn aufbaut. Vielleicht ist er deshalb nie eine Partnerschaft eingegangen. „Soll ich mir abends sagen lassen, wo der Platz für die Pantoffeln ist?“, entgegnete er stets, wenn die Sprache darauf kam. Boock blieb lieber allein bei seinen Verdi-Aufnahmen, von denen er über die Jahre Hunderte angesammelt hatte.

2015, da war er schon schwer krank, wurde im Kino Babylon der Dokumentarkurzfilm „Mr. Meteor geht“ gezeigt. Ein Freund hatte ihm den zum Abschied als Trainer geschenkt. Boock kam als Ehrengast, auch wenn er sich nur noch mit Tabletten aufrecht halten konnte: die Wirbelsäule verwachsen, ein Auge blind, mehrere Stents, offene Beine …

Der Regisseur hätte gerne noch eine Fortsetzung gedreht. Mit Boock auf dem Pflegebett, die Welt erklärend wie „Der Pate“. Es ist nicht mehr dazu gekommen.

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