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Im Widerstand. Theo Diekmann will verhindern, dass das Haus abgerissen wird.

© Doris Spiekermann-Klaas

Folgen der Privatisierung: Der Kampf um einen Berliner Plattenbau

Das Haus in der Habersaathstraße gehörte dem Land, heute sind von 106 Wohnungen nur noch 20 bewohnt. Hier könnte sich die Zukunft der Mietenpolitik entscheiden.

Das Haus muss weg. Findet jedenfalls der Eigentümer. Ein Hingucker ist es tatsächlich nicht. Habersaathstraße 40–48. Vormals Ost-Berlin, jetzt Berlin-Mitte, mit Blick auf das riesige Areal des Bundesnachrichtendiensts in der Chausseestraße, der Verlängerung der Friedrichsstraße nach Norden hin. Ein fünfstöckiger Plattenbauriegel mit 106 Wohnungen, gebaut 1984 im Waschbetonlook der DDR-Wohnungsbauserie 70. 2007 wurde die Fassade renoviert, sprich mit Dämmplatten zugeklebt. Die Wände sind seitdem dicker, die Fenster- und Türöffnungen kleiner geworden. Weshalb das Haus etwas aufgeschwemmt und verquollen aussieht. Wie ein alternder Rockstar nach einer missglückten Schönheitsoperation.

Das Haus verleitet deshalb dazu, dass man es – wie bereits in der Vergangenheit – abschreibt und unterschätzt. Sieht man ihm ja nicht an, dass sich hier nicht nur die Berliner Mietenpolitik der vergangenen Jahre spiegelt – sondern auch deren Zukunft entscheidet.

Die Kassen waren klamm, das Haus teilweise sanierungsbedürftig

Theo Diekmann, 50 Jahre alt, wohnt seit 2005 in diesem Haus. Als er einzog, war es noch Eigentum des Landes Berlin, als Schwesternwohnheim der Charité. Diekmann sah mit an, wie der Senat das Haus ein Jahr später für zwei Millionen Euro verkaufte. Die Kassen waren klamm, das Haus teilweise sanierungsbedürftig. Dann, wie der neue Eigentümer es wieder verkaufte. Angeblich für 20 Millionen Euro.

Auch Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel spricht von dieser Summe. Der Eigentümer will den Kaufpreis weder bestätigen noch dementieren. Und nun erlebt Diekmann, wie der jetzige Eigentümer es abreißen und einen Neubau errichten lassen will. Dass das Haus immer noch steht, ist zu großen Teilen wohl Diekmanns Verdienst. Das Haus hat ihn zu einem Mieteraktivisten werden lassen.

Diekmann ist ursprünglich Westfale. Er sagt „entsorcht“ und „enteichnen“, und dass Wohnen ein Grundrecht sei. Er geht auf Demos, in dieser Woche waren es mindestens zwei. Auf einem Foto von Montag steht er in seiner blauen Jacke und mit Sonnenbrille da und sieht zufrieden aus, in der Hand ein Schild mit der Aufschrift „Entmieten verbieten“. Vor Kurzem hat er seine dritte Kündigung bekommen, man hat ihn abgemahnt, mehrmals, man hat ihm Geld angeboten, damit er auszieht, und ihm gedroht, seine Miete werde sich verdoppeln, wenn das Haus modernisiert würde.

Unbekannte haben seinen Briefkasten aufgebrochen und sein Auto in Brand gesteckt, im September vergangenen Jahres war das. Meterhoch schlugen die Flammen aus seinem Volvo, bis nur noch ein verkohltes, in den Asphalt eingeschmortes Wrack übrig war. Doch nun, fünf Monate später, sieht es ganz danach aus, als ob Diekmann gewonnen hätte.

13 Jahre führt er nun diesen Kampf um den blassgelben Plattenbauriegel.

Im Innenhof, wo das Gras kniehoch wächst und sich zwischen den metallenen Wäscheständern die Leinen quer über die Wiese wie Gitarrensaiten spannen, kann man sich vorstellen, dass es hier einst aussah wie in der Serie „Deutschland 86“. Als unten im Keller die Waschmaschinen für das ganze Haus rumpelten und an den Leinen die Blusen und Hosen der Mieter hingen, allesamt Angestellte der Charité. Als sich auf der anderen Straßenseite noch kein gesamtdeutscher Geheimdienst ausbreitete, sondern das Stadion der Weltjugend, die Zickenwiese, benannt nach Walter Ulbrichts Bart. Nur wenige Hundert Meter nördlich von hier standen die Autos Schlange am Grenzübergang Chausseestraße, dahinter der Wedding, eine Sackgasse West-Berlins, die hier an der Mauer endete.

Theo Diekmann läuft durch den Keller und die Treppenhäuser. Er sieht hier eine fehlende Glühbirne, da eine nicht schließende Eingangstür, dort einen kaputten Briefkasten und die Spuren tropfender Rohre im Keller. „Erst kommt die Vernachlässigung, dann kommt die Verwahrlosung“, sagt er und hebt Reste einer Fastfoodpackung auf, dann schließt er die Mülltonne im Hinterhof. Er versucht mit den rund 20 verbleibenden Mietern in Eigenregie, das Haus halbwegs in Schuss zu halten.

Eine von rund 20 ausharrenden Mietern im Haus findet, es sei schon sehr ruhig abends, wegen des vielen Leerstands. Eine andere, Marion R., von Beruf Krankenpflegerin und seit 2004 Mieterin im ersten Stock, sagt, sie fühle sich manchmal wie in einem Geisterhaus. Fünf Treppenaufgänge gibt es, mit je vier Wohnungen auf jeder Etage. In vielen Stockwerken ist nur noch eine, in manchen gar keine Wohnung mehr bewohnt.

Einen Hausmeister gebe es auch nicht, sagt Frau R., „keine Aushangtafeln, keine Notdienstnummer, nichts!“. Vor Kurzem habe sie bei einem Wasserrohrbruch um 1 Uhr nachts selber den Haupthahn im Keller zugedreht, „ich wusste ja, dass das irgendwann mal passiert!“, sagt sie. In dem Haus patrouillieren Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma. Sie sollen laut Eigentümer dafür sorgen, „dass sich da niemand in den unbewohnten Wohnungen einnistet“. Einige Mieter fühlen sich damit eher unwohl.

Das Haus ist vor allem eines – ein Präzedenzfall

Trotzdem sehen er, Frau R. und die anderen Mieter in dem Gebäude, für das längst eine Abrissgenehmigung beantragt ist, ihr Zuhause.

Ephraim Gothe, SPD, Baustadtrat von Mitte, sieht darin: „Wohnungen, die erhalten bleiben sollen“. Vor allem aber: einen Präzedenzfall. Es sei das erste Mal, dass das verschärfte Zweckentfremdungsverbotsgesetz dazu angewendet werde, einen Abriss von Bestandswohnungen zu verhindern. Zwar spricht theoretisch nichts dagegen das Haus abzureißen. Bedingung wäre aber, dass der Eigentümer in gleichem Umfang Wohnraum schafft. Zu vermieten nettokalt für 7,92 Euro. Praktisch wäre das schlicht nicht wirtschaftlich.

Denn der Markt sieht in dem Haus die Möglichkeit eines Neubaus an gleicher Stelle. Er sieht einen möglichen Quadratmeterpreis zwischen 8000 und 10 000 Euro, für den man den Neubau dann verkaufen könnte. Und dem steht die Platte hier nun mal im Weg.

Im Weg steht auch Herr Diekmann, und die anderen Mieter, die in den 106 Wohnungen noch ausharren. Schließlich stehen im Weg, seit Neuestem, Baustadtrat Gothe, Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel und die Verschärfung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes, beschlossen vom Berliner Abgeordnetenhaus im April 2018.

"Ich bin ein Kind der 1970er: Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt"

Der, dem hier alle im Weg stehen, heißt Andreas Pichotta, seines Zeichens Dipl.-Kfm. und Geschäftsführer und Gesellschafter der Arcadia Estates Habersaathstr. 40–48 GmbH, der das Haus gehört. Pichotta hat im Grunde kein Problem damit, dass einige versuchen, sich ihm in den Weg zu stellen. „Ich lasse mich nicht ins Bockshorn jagen“, sagt er, und: „Ich bin ein Kind der 1970er: Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.“ Eine Einstellung übrigens, die er mit Theo Diekmann teilt. Den nennt Pichotta zwar einen „Rädelsführer der Mieter“, aber er sagt auch, dass er ihn schätze. „Ich bin exakt so wie Herr Diekmann“, sagt Pichotta, „im Ton höflich und nett, aber in der Sache genauso hart.“

Die Sache, in welcher Pichotta hart sein will, sind seine Pläne für das Haus. 2017 hat er es zusammen mit einem Kompagnon von dem ersten privaten Eigentümer und Nutznießer der Privatisierung gekauft: einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts namens R. Klust & Dr. Th. Bodemann. Letztere hatten die Platte 2006 vom Senat für zwei Millionen Euro bekommen, also für weniger als 400 Euro pro Quadratmeter.

Um mehr aus dem Haus rauszuholen, ließen sie Dämmplatten auf der Fassade anbringen, bauten neue Fenster ein, erneuerten die Tapete im Treppenhaus und installierten eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach. Dann wandelten sie einen Teil in Hotelzimmer und Hotelwohnungen um, welche sie zur möblierten Kurzzeitmiete mit Wäschedienst und Concierge zum dreifachen Preis anboten, bevor sie das Haus 2017 an Herrn Pichotta weiterverkauften.

Den Mietern bietet er Geld, damit sie freiwillig ausziehen

Pichotta schickt 2018 als Erstes eine Modernisierungsankündigung an die Mieter, in der er mitteilt, dass er das Haus zu renovieren und die Kosten auf die Mieter umzulegen gedenke, wodurch sich deren Miete wie im Falle von Diekmann für 39 Quadratmeter von 300 Euro auf 600 Euro und mehr verdoppeln würde. Doch sehr bald, sagt Pichotta, sei er die Sache mit „Ingenieuren und Sachverständigen noch mal durchgegangen“, wobei sich herausgestellt habe, dass „eine Sanierung wirtschaftlich und auch technisch sinnlos“ sei. Weshalb er nicht nur Anfang 2018 eine Baugenehmigung für 91 Wohnungen und 46 Tiefgaragenplätze beantragt und erhält, sondern auch im Sommer 2018 eine Abrissgenehmigung für das noch immer im Weg stehende Haus beantragt.

Den Mietern bietet er Geld, damit sie freiwillig ausziehen. Zwischen 2000 und 30.000 Euro, laut Diekmann. Denen, die sich weigern, schickt Pichotta im September eine sogenannte „Verwertungskündigung“. Eine Kündigung also, die argumentiert, dass die bestehenden Mietverhältnisse den Eigentümer an einer „angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks“ hindern. Der Berliner Mieterverein ist indes optimistisch, dass Pichotta damit vor Gericht nicht durchkommen wird.

Im Dezember erhält Pichotta einen Ablehnungsbescheid: Nein, er dürfe das Haus nicht abreißen, teilt ihm das Bezirksamt Mitte mit, weil er den Erfordernissen des nunmehr verschärften Zweckentfremdungsverbotsgesetzes nicht Genüge getan habe, sprich nicht dargelegt, wie er in gleichem Umfang Wohnraum zu 7,92 Euro je Quadratmeter entstehen lassen werde.

Der Ablehnungsbescheid sei juristisch nicht korrekt

Damit ist Pichotta wenig überraschend nicht einverstanden: „Jeder, der klar denken kann“, sagt er, „weiß, dass man in dieser Lage, direkt neben dem BND und 500 Meter vom Hauptbahnhof, nicht Ersatzwohnraum für 7,92 Euro schaffen kann.“ Der Ablehnungsbescheid sei juristisch nicht korrekt, weil ihm eine Fristverlängerung versagt worden sei, weshalb er dagegen Widerspruch eingelegt habe. Und überhaupt werde er die 7,92 Euro vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen.

Das Schicksal dieser etwas verquollenen Platte in Berlin Mitte wird also vor Gericht landen. Ephraim Gothe, Mittes Baustadtrat, findet das gut: So könne ein Gericht noch mal bestätigen, dass das Zweckentfremdungsverbotsgesetz Bestand habe. Investor Pichotta allerdings gibt er zu bedenken, dass der so viel Zeit wohl nicht habe. Er könne das Rentenalter erreichen, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden habe. Pichotta biete er deshalb an, das Haus lieber der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Mitte zu verkaufen. Mit der stehe er deswegen bereits in Kontakt. So hat er es am vergangenen Mittwoch auch den verbliebenen Mietern in der Habersaathstraße verkündet.

13 Jahre nachdem der Senat das Haus dem Markt überlassen hat, könnte es dann wieder dem Land gehören. Nur etwas heruntergekommener. Und vor allem: teurer.

Wem gehört Berlin? Im Rahmen unserer Langzeitrecherche beschäftigen wir uns damit, wem die Häuser gehören, in denen wir leben. Und welche Lösungen es für den Berliner Wohnungsmarkt geben könnte. Alle Texte dazu finden Sie auf unserer Sonderseite.

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Pepe Egger

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