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Fotoband und DVD: Bunte Bilder einer dunklen Zeit

Eine Doppel-DVD und ein Fotoband zeigen den Berliner Alltag der NS-Zeit in Farbe – die Kommentare ordnen alles politisch ein.

Der Stechschritt klappt, dutzendfach schwingen lange Frauenbeine zackig durch die Luft, die Tänzerinnen tragen diesmal lange Hosen, schwarz mit roten Streifen. Die Waffenröcke passend in Preußisch-Blau, der Helmbüsche in strahlendem Weiß, die Gewehre exakt ausgerichtet, die Formation präzise wie ein Uhrwerk – der letzte Kaiser hätte wohl gejauchzt vor Vergnügen.

Nur das Musikkorps der SS-Ehrengarde könne die Darbietung noch übertreffen, so stand es 1938 in einer Zeitung, als die Hiller-Girls zur 50-Jahr-Feier des Varietés „Wintergarten“ in der Friedrichstraße eine tänzerische Hommage an Preußens Glanz und Gloria beisteuerten. Ein Wehrmachtsoffizier hatte ihnen beim Einstudieren der militärischen Tanznummer geholfen, die viel Beifall fand, ein Jahr später aber, nach Ausbruch des Krieges, ausgerechnet dem Oberkommando der Wehrmacht übel aufstieß. Mit dem Exerzieren auf der Bühne hatte es ein Ende, doch die Hiller-Girls durften sich bald über neue Auftrittsmöglichkeiten freuen: Nach dem Sieg im Westen ging es auf Tournee nach Frankreich und Belgien.

Ein vergessenes Kapitel der Berliner Varietégeschichte, jetzt wieder in Erinnerung gerufen in einer vom Tagesspiegel herausgegebenen Doppel-DVD: „Hitlers Berlin in Farbe (1933–1945)“. Es ist ein von dem Autor Hermann Pölking und der Filmemacherin Linn Sackarnd zusammengestellter und kommentierter Streifzug durch die alte Reichshauptstadt, grob gegliedert in Friedens- und Kriegsjahre und nach Themen wie „Stadtlandschaften“, „Alltag unterm Hakenkreuz“ oder „Abseits der Weltstadt“.

Ihre Quelle waren Amateuraufnahmen aus dem Bestand des Filmesammlers und -händlers Karl Höffkes, dem zwar schon Nähe zur braunen Welt seiner Bilderschätze vorgeworfen wurde, bei dem sich aber auch politisch unverdächtige Medien wie ZDF und Spiegel-TV gern bedient haben. Die Herkunft der in der Doppel-DVD zusammengestellten Amateurfilme – die aus dem „Wintergarten“ beispielsweise hatte ein Ufa-Kameramann privat gedreht – ist ohnehin unproblematisch: Sie entstanden (anders als die in Goebbels’ Auftrag entstandenen, gleichwohl unentwegt für TV-Dokumentationen ausgeschlachteten Ufa-Wochenschauen) nicht für propagandistische, sondern private Zwecke, sind zudem ohne Ton – historisch wertvolle, politisch aber neutrale, in dieser wie jener Richtung interpretierbare Zeitdokumente, und dazu äußerst selten. Nur wenige Amateurfilmer konnten sich das 1936 von Kodak für sie auf dem deutschen Markt gebrachte 16-mm-Material leisten, und viele der Privatfilme sind im Krieg verbrannt.

Ohnehin müssen die Texte des Autorenduos jedem, der sich beim Zuschauen an brauner reichsdeutscher Herrlichkeit berauschen will, sehr missfallen. Die Bilder, gerade wenn sie familiäre Situationen wie ein Weihnachtsfest oder einen Badeausflug zum Wannsee zeigen, mögen Idylle und Frieden vorgaukeln, der Kommentar aber durchstößt die glatte Oberfläche und bleibt historisch stets präzise, erläutert, gibt Hintergrundinformationen, ordnet politisch und historisch ein. Nichts gegen Bilder vom sommerlichen Badevergnügen am Wannsee also, aber ein Hinweis auf das in der Nähe befindliche Haus der Wannseekonferenz darf dann nicht fehlen – und er fehlt auch nicht.

Der Reiz der Bilder liegt zunächst einmal darin, dass man in Farbe ein noch unzerstörtes Berlin besichtigen kann, eine im Bombenhagel vielfach spurlos verschwundene Welt, den Alltag der Menschen, wie sie lebten, sich vergnügten, feierten und, ja, das auch, ihrem „Führer“ zujubelten und marschierten.

Wenn die Bilder fehlen, muss der Kommentar ergänzen: Auf den Abtransport der jüdischen Berliner in den Tod hatte bestimmt kein Amateurfilmer die Kamera zu richten gewagt. Auch Bilder von den Bombenangriffen und dem Kampf um Berlin fehlen notgedrungen: Filmen verboten. Und Hitler selbst, obwohl doch die Titelfigur der Doppel-DVD, kommt persönlich kaum vor: Der Amateurfilmer kam ihm nur selten nahe genug, und ohnehin machte sich der Diktator, je weiter der Krieg voranschritt, in der von ihm ungeliebten Hauptstadt Berlin zunehmend rar.

In dem Buch „Berlin in frühen Farbdias 1936–1943“ von Michael Sobotta fehlt Hitler sogar völlig. Die dort gezeigten Fotos sind das fotografische Gegenstück zu den bewegten Bildern der Doppel-DVD. Die Diapositivfilme „Kodakchrome“ (1935) und „Agfacolor“ (1936) waren für den Privatmann sehr viel erschwinglicher als die 16-mm-Farbfilme, dennoch haben auch hier nur wenige Fotosammlungen den Krieg überstanden, zudem oft in desolatem Zustand, was mittels digitaler Reparatur halbwegs reparabel ist.

Auch hier machen besonders die Motive der gezeigten und knapp auf Deutsch und Englisch erläuterten Fotos das Spannende des Buches aus. Man sieht das alte Berlin intakt und in Farbe, erhält Einblicke in einen längst vergangenen Lebensalltag, mit letzten Pferdefuhrwerken auf den Straßen, kostümierten Blumenverkäufern auf dem Leipziger Platz oder einem weihnachtlichen Gabentisch, vollgestellt mit Panzern und Soldaten. Und man erfährt, warum die Bronzefigur am „Haus der Schweiz“ Unter den Linden Ecke Friedrichstraße nicht Wilhelm Tell zeigt, sondern seinen Sohn Walther samt Armbrust und durchbohrtem Apfel: Der zunächst geplante Vater, ein erfolgreicher Tyrannenmörder, war den nationalsozialistischen Baubehörden suspekt und wurde als Häuserschmuck untersagt.

„Hitlers Berlin in Farbe 1933–1945“. Film von Hermann Pölking und Linn Sackarnd. Box mit Doppel-DVD, 120 Minuten, Deutsch/Englisch, 19,95 Euro. Erhältlich unter (030) 290 21-520, www.tagesspiegel.de/shop und im Verlagshaus, Askanischer Platz 3, Mo–Fr 9 bis 18 Uhr;

Michael Sobotta: Berlin in frühen Farbdias 1936 bis 1943. Sutton-Verlag, Erfurt. 120 Seiten, Deutsch/Englisch, 22,95 Euro

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