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Mir doch egal, was du mir empfiehlst. Wir nehmen unser Online-Leben wieder selbst in die Hand.

© dpa

Freiheit im Netz: Wir sind berechenbar und langweilig. Es lebe der Zufall!

Überall sagen uns Algorithmen, was wir schauen, kaufen und mögen sollen. Schluss damit! Unsere Autorin hat genug. Eine Abrechnung.

Neulich wollte ich mir auf Netflix einen Film angucken. Welchen, wusste ich noch nicht. Netflix schon: Der Dienst schlug mir vor, was mir gefallen könnte. Das macht nicht nur Netflix. Twitter will mir Tweets zeigen, die mir gefallen könnten. Und Facebook weiß besser als ich, mit wem ich befreundet sein will.

Was sich dahinter verbirgt, ist den meisten Nutzern nicht bewusst. Algorithmen, also mathematisch berechnete Empfehlungen, beruhen auf Informationen, die wir mit unserem Verhalten im Netz hinterlassen, sodass ein „digitaler Fußabdruck“ entsteht. Den nutzen Software-Entwickler großer Unternehmen dann, um Werbung zu schalten, die besonders gut zu uns passt.

Endlich keine Ballerfilme mehr. Toll! Oder?

Seit 2009 gibt es die personalisierte Google-Suche. Bis dahin war es egal, ob ein Schüler oder ein Steuerberater nach „Steuererklärung“ suchte, jeder bekam dasselbe Ergebnis. Inzwischen erhalten wir nur noch Vorschläge, die auf unserem vorherigen, individuellen Verhalten im Netz basieren. Das ist praktisch. Ich möchte ja schließlich Zeit sparen. Wenn ich auf Amazon immer nur Grey’s Anatomy bestellt habe, werde ich in Zukunft immer nur Arztserien angeboten bekommen. Endlich keine Werbung mehr für Ballerfilme und Schnulzen.

Formeln kennen keinen Zufall

Der Spruch „Google ist dein bester Freund“ passt. Denn Google weiß, was ich suche und brauche. Aber wird Google dadurch nicht auch zum „besten Feind“? Es ist schließlich ein Eingriff in meine Entscheidungsfreiheit, wenn mir Informationen oder Produkte vorenthalten werden.

Morgen bestellt, heute schon geliefert. Aber wollen wir das wirklich?
Morgen bestellt, heute schon geliefert. Aber wollen wir das wirklich?

© privat

Der amerikanische Internetaktivist Eli Pariser nennt es eine Filterblase, die uns umgibt. Er glaubt, dass wir in dieser Blase schweben, und denken, wir seien frei. Dabei lassen wir uns von berechneten Vorschlägen beeinflussen und leiten - der Zufall stirbt, denn Zufallstreffer kennt eine mathematische Formel nicht.

Ich will mir meine Interessen nicht vorschreiben lassen!

Wie Unternehmen Daten für sich nutzen, konnte man beim zweitgrößten Discounteinzelhandel der USA, Target, beobachten. Dort bekam eine junge Frau, die noch die Highschool besuchte, Werbeflyer für Babykleidung und Kinderbetten. Dabei wusste sie selbst noch nicht, dass sie schwanger war, Target allerdings schon vor ihr. Die Algorithmen des Unternehmens arbeiteten anhand der Informationen über ihre Einkäufe besser als die Kenntnis der zukünftigen Mutter über den eigenen Körper.

Der amerikanische Discounter speichert alle Daten, die er von den Kunden kriegen kann: Alter, Familienstand, Ausbildung, Interessen. So kann man den Kunden geschickt platzierte Werbung schicken. Der nächste Schritt ist der personalisierte Supermarkt: vielleicht stehen bald nur noch Produkte im Regal, die auch auf meiner Einkaufsliste stehen. Spontane Einkäufe? Gestrichen. Aber wollen wir uns unsere Interessen von anderen vorschreiben lassen?

Wir geben unsere Privatsphäre leichtfertig auf

Vielleicht nehmen wir alles gerade deshalb hin, weil anonyme Programmierer und Systeme dahinter stecken, die für uns nicht transparent sind. Weil es praktisch ist, sich auf WhatsApp anzumelden, auch wenn man dort seine Handynummer angeben muss. Aktuelle Studien belegen, dass sich 80 Prozent der Befragten in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen, weil AGBs lang und unlesbar, aber Voraussetzung zur Nutzung von vielen Onlineangeboten sind. Auch ich klicke lieber auf „weiter zum Installieren“, selbst wenn vielleicht in den Nutzungsbedingungen steht, dass die App meinen Standort erfahren darf. In diesem Moment gebe ich meine Privatsphäre leichtfertig auf, um irgendeine App nutzen zu können.

Der Film, den Netflix mir empfiehlt, ist ein Reinfall

Ich beobachte, wie ich zur Marionette anderer werde, indem ich Kompromisse mache. Ein praktisches Leben, in dem wir nur das konsumieren, was uns das Netz vorsetzt, ist uns lieber als ein freies, selbst bestimmtes Leben. Der Film, den Netflix mir empfohlen hat, war übrigens ein Reinfall. Das nächste Mal nehme ich mein Leben wieder selbst in die Hand und ignoriere die Algorithmen. Ich werde mal meine Freunde fragen, welche Filme sie mir empfehlen können. Die kennen mich hoffentlich besser als eine Software.

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Lena Skrotzki

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