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Kunstpakete.

© Georg Moritz

Berlin: Friedenau fordert Mitte

Szene gibt’s hier auch, sagen Künstler im Südwesten. Heute öffnen sie ihre Ateliers zum Rundgang.

„Kannst Du Dir vorstellen, nach Schanghai zu ziehen?“, fragte Sabine Wild ihre Tochter. Anlässlich einer Ausstellungseröffnung war die Künstlerin mit ihrer Tochter nach China gereist. Die prompte Reaktion ihrer Tochter überraschte sie. „Aber, Mami!“, sagte die 14-Jährige empört, „wer soll denn dann die ’Südwestpassage’ organisieren?“ Diese Wertzuordnung machte Sabine Wild erst einmal sprachlos. Dabei geht die von ihr initiierte „Südwestpassage Kultour“, der Atelier-Rundgang in Friedenau, bereits ins sechste Jahr und ist umfangreicher als je zuvor: 58 Ateliers und vier Galerien mit mehr als 80 Künstlern nehmen in diesem Jahr teil. Im vergangenen Jahr kamen mehr als 4000 Besucher.

Sabine Wild, Fotografin und studierte Sprachwissenschaftlerin, hängt gerade neue Arbeiten in ihrem Atelier in der Eschenstraße auf. Die digital überarbeiteten, strukturbetonten Panoramen von Hongkong, New York und Frankfurt bilden einen Kontrast zu den 4,70 Meter hohen Stuckdecken, typisch für Friedenaus üppigen Jugendstil. Die Gegend wurde ja nicht selten als leicht verschnarchtes Schöngeisterviertel verspottet. An diesem Klischee sägt Sabine Wild so gut sie kann.

Die Idee zu einem eigenen Kulturrundgang kam ihr, kurz nachdem sie ihr erstes Atelier am Südwestkorso eröffnet hatte. Viele Besucher sagten zu ihr: „Endlich passiert mal etwas in Friedenau. Wir wollen nicht immer nach Mitte.“ So entstand die Idee der offenen Ateliers. Mit 38 Künstlern hat alles begonnen, inzwischen fragen immer mehr an, auch aus anderen Bezirken und Ortsteilen. Da allerdings ist Sabine Wild rigoros: Aus Friedenau müssen die Künstler schon sein. Ansonsten verzichtet sie aber bewusst auf eine Kuratierung. „Es geht ja auch um eine Vernetzung der Künstler untereinander“, sagt sie. „Man kann es auch als Stadtteilfest ansehen.“

Unterstützt wird Wild seit diesem Jahr von der Kunsthistorikerin Andrea-Katharina Schraepler, die vor allem an Friedenaus Tradition als Künstlerviertel anknüpfen will – einst lebten hier Hannah Höch, Max Frisch, Uwe Johnson, Günter Grass, Karl Schmitt- Rottluff und viele mehr, erzählt sie. „Wir wollen ein heutiges Abbild der Kunst in Friedenau zeigen. Alle, die sich als Kulturschaffende erleben, werden hier präsentiert.“

Die Routen werden immer umfangreicher. Mindestens sechs Wochen brauchen die beiden für die Organisation der Kultour, die von der PSD-Bank unterstützt wird, nicht nur finanziell: In der Filiale in der Handjerystraße liegen an diesem Wochenende Informationen zu allen Künstlern und Touren aus. Zudem gibt es hier ein Klezmer-Konzert, und Besucher können Scherenschnitte von sich anfertigen lassen.

Die Mischung der Künstler ist vielfältig. Auch Eric Pawlitzky, der schon mehrere Preise gewonnen hat, macht mit. In seinem Atelier in der Beckerstraße verwandelt Rémy Mouton den Auftritt einer Tänzerin am Computer in Malerei. Tinka Bechert, vertreten in internationalen Sammlungen, stellt in der hufeisenförmigen Stubenrauchstraße aus. Hier hat auch die berühmte Galerie „Brutto Gusto“ aus Rotterdam einen Ableger. Schräg gegenüber liegt der Laden „unser“ mit Kunst aus Museumsprojekten. Es sind allerdings auch Aussteller dabei, die eher nebenher Kunst schaffen und ihre Bilder in der Küche präsentieren oder hinter dem Sofa hervorzaubern. Viele Besucher schätzen gerade diese Entdeckungen auf Hinterhöfen, verschnörkelten Treppenhäusern und versteckten Gärten. So lernen sie das Viertel kennen. Dorothee Tackmann

Die Ateliers können am Sonnabend von 15 bis 22 Uhr und am Sonntag von 13 bis 19 Uhr kostenlos besichtigt werden. Die drei geführten Kultourwalks kosten 10 Euro und starten an verschiedenen Ausgangspunkten, Anmeldung unter 288 335 63 oder schraepler@via-artis-berlin.de, alle Informationen zum Programm unter: www.suedwestpassage.com.

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