Prozess zur rechten Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: „Für uns war eindeutig, wer die Täter sind“
Im Verfahren wegen mehrerer Brandanschläge wurde der damalige Ermittlungsleiter angehört – demgegenüber einer der verdächtigen Neonazis den anderen belastet haben soll.
Stand:
Tilo P. ist offensichtlich empört. P. ist einer der beiden hauptverdächtigen Neonazis, die sich derzeit vor dem Berliner Amtsgericht wegen zweier Brandanschläge verantworten müssen.
Am Montag wurde unter anderem der frühere Leiter der Ermittlungsgruppe Resin des Berliner Landeskriminalamtes, die die Serie von insgesamt mindestens 72 rechtsextremen Straftaten in Berlin-Neukölln aufklären sollte, angehört. Und der äußerte sich eindeutig: „Wenn Sie mich fragen, ob Herr P. die hellste Kerze auf der Torte ist, sage ich klar: Nein.“
Der frühere Staatsschutzbeamte Michael E., der laut eigenen Angaben rund 30 Jahre in der rechten Szene ermittelte, berichtete dem Gericht von einem Gespräch mit P. Dieser war im Februar 2018, nach Brandanschlägen auf die Autos des Linken-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann, festgenommen worden. Zudem sei damals seine Wohnung durchsucht worden, sagte E.. Er beschrieb, dass P. damals noch unter dem Eindruck der Festnahme gestanden habe.
„Herr P. hatte Tränen in den Augen, das war ein offensichtlicher Gefühlsausbruch“, schilderte er die Situation der Vernehmung. Eine offizielle Aussage habe P. verweigert. Dennoch entwickelte sich E. zufolge nach Ende der Vernehmungssituation eine Art Gespräch zwischen Ermittler und Verdächtigem: Fast monologartig habe er an P.s Gewissen appelliert, vor allem auch an seine Verantwortung gegenüber seinem Kind, beschrieb E.
Obwohl P. da längst das Polizeipräsidium hätte verlassen können, sei er geblieben und habe dem Ermittler zugehört – was dieser auf den emotionalen Ausnahmezustand zurückführte.
Wir wissen doch alle, wer die Autos anzündet. Ich weiß es, du weißt es, jeder weiß es. Aber man kann es T. einfach nicht nachweisen.
Das soll Tilo P. zu Ermittler Michael E. gesagt haben
Irgendwann sei P. dann auf Toilette gegangen und von dort völlig verändert, sehr aufgebracht, zurückgekehrt. Als E. ihn dann nach draußen begleitete, soll sich ein weiteres kurzes Gespräch entwickelt haben: E. habe nochmals auf P.s Verantwortung seinem Kind gegenüber hingewiesen und ihm gesagt, er solle „keine Scheiße bauen“. Daraufhin soll P. gesagt haben: „Wir wissen doch alle, wer die Autos anzündet. Ich weiß es, du weißt es, jeder weiß es. Aber man kann es T. einfach nicht nachweisen.“
Sebastian T. ist der zweite Hauptangeklagte. Während Ermittler E. und P.s Verteidiger Mirko Röder über P.s Intelligenzquotienten und die Frage, inwiefern das Gespräch außerhalb der Vernehmung überhaupt hätte fortgesetzt werden dürfen, debattierten, hörte er schweigend zu. Immer wieder richtet E. sich auch direkt an die beiden Hauptangeklagten. Die Frage, ob bei Durchsuchungen auch Handys beschlagnahmt worden seien, kommentiert er Richtung T. mit: „Ja, da haben Sie es uns nicht gerade leicht mit gemacht.“
Michael E. beschrieb den politischen Druck auf die Ermittlungen
Damit spielte er auf die Schwierigkeiten an, die die Behörden mit der Entschlüsselung der Datenträger hatten. E. beschrieb auch, unter welch großem Druck die Ermittler:innen gearbeitet hätten: „Sieben-Tage-Wochen waren für uns Standard“, sagte er. Vorwürfe aus Politik und von Betroffenen, die den Ermittler:innen mangelhafte Arbeit vorwarfen, habe er als „zutiefst unfair“ empfunden.
Der Justiz warf er vor, die Ermittlungsergebnisse lange nicht ernst genommen zu haben. Es habe zwar keine direkten Beweise gegen T. und P. gegeben. „Für uns war eindeutig, wer die Täter sind – für Ihre Behörde leider nicht“, sagte er in Richtung der Richterin. Wer alle Ermittlungsergebnisse zusammenführe, müsse aus seiner Sicht zu dem Schluss kommen, dass die beiden Angeklagten hinter den Anschlägen stecken.
Bei einer Durchsuchung bei T. waren den Ermittler:innen auch zwei gelbe Zettel in einem Buch aufgefallen. Darauf: Eine Liste von Namen, Adressen und Kennzeichen. Darunter waren auch der Name und die private Wohnanschrift von Ermittler Michael E. Da die Ermittler:innen davon ausgingen, dass die Daten auf der Liste zu bisherigen und potentiellen weiteren Betroffenen von Brandanschlägen gehörten, zählte E. nun plötzlich selbst zum Kreis der Betroffenen – und musste die Leitung der Ermittlungsgruppe abgeben. Der Prozess wird am 14. November fortgesetzt.
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