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Eine Polizeikontrolle im Sommer 2016 am Kurfürstendamm.

© Cay Dobberke

Gefährliche Suche nach Lebenssinn: Was Autofahrer zum Rasen auf öffentlichen Straßen treibt

Erneut verursachen Raser auf dem Ku'damm einen schweren Unfall. Ihr Selbstbewusstsein beziehen sie oft nur über Geschwindigkeit, sagt ein Verkehrspsychologe.

Der Raser-Unfall am Montagabend auf dem Ku’damm ähnelt jenem tragischen Geschehen, bei dem am 1. Februar 2016 bei einem illegalen Rennen, auch am Ku’damm, ein 69-jähriger unbeteiligter Arzt getötet wurde. Der Verkehrspsychologe Charalambos Roussos hatte, räumlich gesehen, direkten Bezug zu dem damaligen Unfall. Seine Praxis liegt nur eine Querstraße vom Tatort entfernt.

Roussos kennt natürlich nicht den Fahrer des BMW, der am Montag in das Auto einer 45-Jährigen Frau und ihrer Tochter geprallt ist, aber er kennt die typischen Merkmale von Rasern. „Häufig sind das Menschen, die auf der Suche nach Anerkennung und Lebenssinn sind“, sagte er.

Die Anerkennung und die Zufriedenheit, die viele Menschen im Beruf oder in Hobbys finden, die fehlten solchen Menschen. „Deshalb suchen sie diese Anerkennung in solchen Rasereien. Das gibt ihnen Selbstwertgefühl.“ Solche Menschen definierten sich sehr über ihr Auto, über ihre angeblichen Fahrkünste.

Eine große Rolle spielten bei diesen riskanten, mitunter lebensgefährlichen Aktionen „die Gefühle von Lust und Angst“. Die Lust, Grenzen zu überschreiten, Dinge zu tun, die einen Kick, ein hohes Maß an Adrenalin erzeugen. Und Angst im Sinne von Herausforderung einer Gefahr und der Einschätzung, diese Gefahr zu beherrschen.

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„Diese Menschen könnten ja auch auf einer abgesperrten Strecke rasen, zum Beispiel bei einem Rennen auf dem Nürburgring“, sagt Roussos. „Aber das ist für sie nicht so viel wert, weil es dort einen klaren Rahmen gibt.“ Rasen auf Strecken, auf denen es verboten ist, erzeuge bei ihnen mehr Kick.

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Für den Verkehrspsychologen ist das „ein Suchtverhalten, das sich immer wieder wiederholt“. Natürlich wüssten die Raser, dass sie sich in Gefahr begäben, natürlich wüssten sie, dass sie gesundheitliche Schäden, zumindest bei sich, riskierten. Aber das sei Teil des spektakulären Auftritts. „Wer viel Alkohol trinkt, weiß auch, dass er seiner Gesundheit schadet, er tut es trotzdem.“ Das ist die Sucht, sie lässt sich nicht einfach abstellen.

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Deshalb hätten auch harte Urteile kaum abschreckende Wirkung. Hamdi H., der 2016 mit seinem Audi A6 mit 170 Stundenkilometern in das Auto des Arztes gerast war, ist letztlich vom Bundesgerichtshof (BGH) zu einer lebenslangen Haft wegen Mordes verurteilt worden. Ihm war schon als Fahranfänger während der Probezeit der Führerschein abgenommen worden, er hatte Unfälle, auch mit Personenschaden, verursacht; das alles hatte ihn nicht von seiner Tat abgehalten. Das rechtskräftige Urteil gegen Marvin N., der sich 2016 mit Hamdi H. das Rennen geliefert hatte, steht noch aus.

Fahrzeugteile liegen nach dem tödlichen Autorennen Anfang 2016 in der Tauentzienstraße.
Fahrzeugteile liegen nach dem tödlichen Autorennen Anfang 2016 in der Tauentzienstraße.

© Britta Pedersen/dpa

Allerdings, das sagt Roussos auch, nähmen Raser nicht bewusst einen Unfall in Kauf, der unvorhersehbare Folgen haben könnte. „Sie glauben vielmehr, dass sie mit ihren Fahrkünsten alles kontrollieren können. Aber sie überschätzen sich.“

Wie hoch ist das Risiko, erwischt zu werden?

Am Montagabend flüchteten mehrere Personen aus dem BMW, das heißt, es gab zumindest einen Beifahrer, der durch so eine Raserei natürlich auch gefährdet ist. Hemmt der Umstand, dass jemand mit im Auto sitzt, generell den Drang zur Raserei? „Nein“, antwortet Roussos, eher gelte das Gegenteil. „Da kann der Fahrer dem oder den anderen zeigen, was er angeblich für ein toller Fahrer ist.“ Solche Raser, sagt Roussos, „haben kein realistisches Gefahrenbewusstsein“.

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Die Verkehrspsychologin Jacqueline Bächli-Biétry aus der Schweiz hat Hamdi H. beim Prozess vor dem Landgericht begutachtet. Sie erklärte, dass der Audi A6 für H. eine sehr emotionale Bedeutung gehabt habe. Er habe sich in dem Auto extrem sicher gefühlt und auch sehr viel in das Auto investiert.

Für die Psychologin, das hat sie in einem Interview mit „Zeit Online“ erklärt, führen nur häufige Kontrollen dazu, die Raserei einzuschränken. Nur das führe zu „richtigem Verhalten“. In der Schweiz werde häufig kontrolliert. „Ergo wissen die Fahrerinnen und Fahrer: Wenn ich mich falsch verhalte, ist das Risiko hoch, erwischt zu werden.“

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