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Mehrere Gegendemonstranten stürmen die Bühne des „Marsch für das Leben“.

© Dominik Lenze / Tagesspiegel

Update

Gegendemonstranten stürmen Rednerbühne: Hunderte Abtreibungsgegner protestieren beim „Marsch für das Leben“ in Berlin

Am Sonnabend demonstrieren Hunderte Menschen in Berlin-Mitte gegen Schwangerschaftsabbrüche – unter ihnen ist AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Ein Video zeigt, wie Gegendemonstranten die Bühne stürmen.

Stand:

Mit dem sogenannten „Marsch für das Leben“ protestierten Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen am Sonnabend rund um das Brandenburger Tor gegen Abtreibungen. Die Berliner Polizei sprach gegen 16 Uhr auf Nachfrage von einer Teilnehmerzahl im „unteren vierstelligen Bereich“. Die Veranstalter sprachen am Nachmittag von 4500 bis 5000 Menschen. Bei einer Gegendemonstration lag die Teilnehmerzahl laut der Polizei im mittleren dreistelligen Bereich.

Als jedoch um kurz nach 16 Uhr Matthias Heinrich, Weihbischof im Erzbistum Berlin und Bischofsvikar für außergerichtliche Ehesachen, bei der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor mit den christlichen Fundamentalisten Kirchenlieder sang, stürmten rund 20 Personen die Bühne. Sie ergriffen das Mikrofon und störten das Programm mit dem Ausruf: „My body, my choice, raise your voice!“ Mehrere Polizisten hinderten die Gegendemonstranten am Entrollen eines roten Transparents auf der Bühne.

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Ein Reporter beobachtete, dass „Lebensschützer“ die Demonstranten angriffen; ein Teilnehmer am „Marsch für das Leben“ entgegnete der Polizei nach der Störaktion äußerst gereizt, dass die Versammlung geschützt werden müsse. Die Polizei nahm nach Auskunft eines Sprechers 17 Demonstranten fest, die versucht hatten, die Bühne zu stürmen. Zuvor wurde eine Person festgenommen, weil sie eine mit Buttersäure befüllte Flasche auf eine Fahrbahn geworfen hatte. Abseits dieser Vorkommnisse blieben die Demonstrationen nach Auskunft eines Polizeisprechers weitestgehend störungsfrei.

Breites rechtes Spektrum beim „Marsch für das Leben“ anwesend

Am frühen Nachmittag versammelten sich Hunderte Abtreibungsgegner:innen in Berlin-Mitte. Der „Marsch für das Leben“ schien gut vorbereitet: Die Demo-Organisatoren vom „Bundesverband Lebensrecht“ brachten reichlich Schilder mit – die allermeisten davon richteten sich gegen Schwangerschaftsabbrüche. Auf einigen fanden sich jedoch auch Anklänge an rechte Parolen aus anderen Themenfeldern wie etwa „Willkommenskultur auch für Ungeborene“. Auch eine Fahne der Gruppierung „Christdemokraten für das Leben“ war zu sehen – eine Gruppierung, die sich als unionsnah versteht.

„Willkommenskultur auch für Ungeborene“ steht auf einem Demoschild.

© Dominik Lenze

Alexandra Maria Linder, Vorsitzende vom „Bundesverband Lebensrecht“, behauptete in einer Rede, es würde keine Belästigung von Frauen vor Schwangerschaftsberatungsstellen geben. „Was es gibt, sind ‚Gebete und Hilfsangebote‘“.

An einem Stand werden Plastik-Abbildungen von Embryonen gezeigt – offenbar zur Abschreckung. Es gibt auch Brezel.

© Dominik Lenze

„Den Leuten auf der anderen Seite läuft die Zeit davon“, sagte sie mit Blick auf die Gegendemonstration. Nach der kommenden Bundestagswahl, so hofft Linder, werde es andere Mehrheiten geben. Die AfD zählt zu den Unterstützern der Anti-Abtreibungs-Bewegung.

Während Linders Rede enthüllten zwei Aktivist:innen ein Transparent, auf dem „Selbstbestimmung“ stand. Ordner vom „Marsch für das Leben“ drängten die beiden weg, dann geleitete die Polizei sie aus der Versammlung.

Besuch gab es für den „Marsch für das Leben“ auch vom rechten Rand der USA: Trump-Unterstützer Pablo Munoz Iturrieta schwärmte davon, in den USA hätten sich inzwischen zahlreiche „Kulturkämpfer“ zusammengetan. „Wir sind dabei, den Kampf gegen die Kultur des Todes zu gewinnen“, sagte er.

Trump-Unterstützer Pablo Munoz Iturrieta beim „Marsch für das Leben“ in Berlin.

© Dominik Lenze

Als Feinde benannte Pablo Munoz Iturrieta „Feministinnen und die Antifa“. Nach ihm berichtete eine Frau, dass angeblich Babys zerstückelt würden, dabei brach ihre Stimme weg.

Auf der anderen Seite des Brandenburger Tors sammelte sich derweil der Gegenprotest, organisiert vom „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“. „Es ist wichtig, in den aktuellen Zeiten klarzumachen, dass alle Menschen selbst über ihren Körper entscheiden können“, sagte eine Teilnehmerin. Mit Sorge blicke sie auf die USA, wo in zahlreichen Bundesstaaten restriktive Abtreibungsgesetze herrschen. „Fundamentalistische Christen arbeiten international zusammen – das empfinde ich als sehr gruselig“, sagte sie.

„Mind your own uterus“ („Kümmere dich um deinen eigenen Uterus“) steht auf dem Plakat einer Gegendemonstrantin am Brandenburger Tor.

© Dominik Lenze

Am Rande der fundamentalistischen Versammlung riefen Gegendemonstrierende: „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“, auf einem Transparent stand „Patriarchat abtreiben“. Eine Frau aus der Menge der selbst ernannten Lebensschützer:innen hielt den Gegendemonstranten ein Baby entgegen und rief: „Für die, die keine Kinder haben“. Dann ging sie, das Baby immer noch hocherhoben, zurück zur Versammlung.

AfD-Politikerin Beatrix von Storch nimmt am „Marsch für das Leben“ teil

Kurz nach 14 Uhr setzte sich der „Marsch für das Leben“ dann in Bewegung, um durch das Regierungsviertel und über den Potsdamer Platz zurück zum Platz des 18. März zu ziehen.

Teilnehmende einer Demonstration gegen den „Marsch des Lebens“.

© Dominik Lenze

Im vorderen Bereich des Protestzugs lief die AfD-Politikerin Beatrix von Storch mit, die schon vor ihrer AfD-Mitgliedschaft in radikal christlichen Netzwerken und gegen Abtreibung aktiv gewesen ist. „Für das Leben und gegen eine Kultur des Todes“ stehe sie hier, sagte sie dem Tagesspiegel-Reporter. Die Frage, ob restriktive Abtreibungsgesetze wie in den USA aus ihrer Sicht wünschenswert seien, beantwortete sie nicht klar. Für sie sei Abtreibung ab dem ersten Monat „die Tötung eines Menschenlebens“. Sollte der umstrittene Paragraf 218 fallen, dann bräche „ein Kulturkrieg“ aus, „den wir dann führen werden“.

Die Diskussion um den Paragrafen 218 des deutschen Strafgesetzbuchs dreht sich um die rechtliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen. Aktuell sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland grundsätzlich strafbar. Sie bleiben jedoch straffrei, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind – zum Beispiel Beratung und Einhaltung einer Zwölf-Wochen-Frist. SPD und Grüne wollen den Paragrafen 218 abschaffen und Abtreibungen entkriminalisieren. Eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission empfiehlt die Legalisierung von Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft.

Doch zurück zur Demonstration: Im Regierungsviertel bildeten rund 50 Gegendemonstranten eine Sitzblockade. Die Polizei leitete die Fundamentalist:innen um die Blockade herum. Schon am Bundestagsgebäude waren die selbst ernannten „Lebensschützer“ von Gegenprotest empfangen worden. „Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben“, skandierten Gegendemonstrant:innen.

Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben.

Parole von Gegendemonstranten

In der Straße Unter den Linden hielten einige offenbar tiefgläubige junge Männer Symbole im Stil orthodoxer Ikonen-Darstellungen hoch und murmelten Gebete. Während der gesamten Strecke gab es Widerspruch von Gegendemonstrant:innen, aber auch Passant:innen durch Zwischenrufe oder provokante Reime.

Gegendemonstrierende haben die offiziellen Schilder des „Marsch für das Leben“ ein wenig bearbeitet.

© Dominik Lenze

Der „Marsch für das Leben“ ist eine umstrittene, jährlich stattfindende Demonstration, die vom Bundesverband Lebensrecht organisiert wird und 2002 das erste Mal stattfand. Ziel ist laut Veranstalter der Schutz menschlichen Lebens von der Zeugung bis zum Tod. Damit stellen sich die Teilnehmenden insbesondere gegen das Recht auf Abtreibung und die aktive Sterbehilfe. Gegendemonstranten werfen den Teilnehmenden zudem vor, gegen queere Paare oder Familien und die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten zu hetzen.

Zu den Teilnehmenden des „Marsch für das Leben“ zählten in den vergangenen Jahren konservative Christen, Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche sowie verschiedene Gruppen von Abtreibungsgegnern.

Auch rechte Parteien unterstützen die Bewegung. Bereits 2015 führte Beatrix von Storch, die damalige AfD-Abgeordnete im Europaparlament, die Demonstration mit an. Auch in diesem Jahr hatte sie zu der Demo aufgerufen.

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