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Der Angeklagte Mario K. verbarg auch am Freitag sein Gesicht im Saal des Landgerichts in Frankfurt (Oder). Sein Anwalt Axel Weimann begann bald danach mit seinem Plädoyer.

© Patrick Pleul/dpa

Update

"Maskenmann"-Prozess in Frankfurt (Oder): Gericht ließ DNA-Proben prüfen

Überraschung kurz vor Ende des spektakulären "Maskenmann"-Prozesses: Das Gericht steigt doch noch einmal in die Beweisaufnahme ein. Speichelproben eines Brandenburger Ex-Polizisten und seiner Frau bringen jedoch kein Ergebnis.

Irgendwann am Nachmittag gab Axel Weimann Nachhilfe. „Wir sind hier ja nicht in Bangladesch“, donnerte Verteidiger Weimann durch den Saal 07 des Landgerichts Frankfurt (Oder). Genau gegenüber saß Jochen Westphal, der Ankläger im „Maskenmann“-Prozess. Der Hinweis galt ihm, er hatte in seinem Plädoyer erklärt, der Angeklagte Mario K. komme auch deshalb als Täter in Frage, weil er mal Seewasser getrunken habe. Der Banker Stefan T, der auf eine Schilfinsel entführt worden war, musste auch Seewasser schlucken. Der Täter wollte es so. Übereinstimmung also.

Aber am Donnerstag war Weimann mit dem Plädoyer an der Reihe, und er konterte die Seewasser-These so ökologisch, dass Umweltschützer vermutlich jubeln. „Wir haben gutes Wasser in den Brandenburger Seen. Können Sie sich vorstellen“ – Blickrichtung Westphal –, „dass auch andere Menschen Seewasser trinken?“

Ob sich Westphal das vorstellen kann, blieb offen. Er musste ja schweigend zuhören. Dafür redete Weimann, und er zielte darauf ab, die Westphal'sche Täter-Pyramide zum Einsturz zu bringen. Nach dieser These steigen Tatverdächtige Stufe um Stufe nach oben, stehen bleiben alle Personen, die ein Tätermerkmal nicht erfüllen. Und für die Staatsanwaltschaft kommt am Ende nur Mario K. oben an, ein mehrfach vorbestrafter Dachdecker aus Berlin. Der bestreitet allerdings die Taten in dem spektakulären Indizienprozess, bei dem es nur Indizien und kein klares Motiv gibt.

Für Weimann ist die Pyramide des Staatsanwalts jedenfalls „völlig unwissenschaftlich“, in deutschen Gerichtssälen komplett unüblich und ungeeignet, intellektuell gesagt: „Sie bauen hier Potemkinsche Dörfer auf, eine Fassade, aber nichts dahinter.“ Bodenständiger zusammengefasst: Blödsinn. Denn die Frage nach Alternativen, nach Menschen, die ebenfalls Tätermerkmale erfüllen, werde überhaupt nicht beantwortet. Weimanns Kopf schwenkte kurz nach links, er sprach nun das Gericht direkt an: „Sie als Gericht müssen sagen können, dass dieses Indiz nur auf diesen Täter zeigen kann und nicht auf einen Dritten.“

Und dann begann die Feinarbeit, Weimann nahm sich Punkt für Punkt der Indizienliste der Staatsanwaltschaft vor. Zum Beispiel die These, der Täter zweier Überfälle in Bad Saarow auf die Frau eines Immobilienmaklers sowie auf seine Tochter, deren Leibwächter dabei so schwer verletzt wurde, dass er jetzt im Rollstuhl sitzt, sei der Gleiche, der den Investmentbanker Stefan T. in Storkow entführt habe.

"Der Zeuge meint 1,85 Meter, wenn er 1,70 Meter sagt"

Warum eigentlich der Gleiche? „Einmal hatte der Täter ein Netz als Maske, dann eine Sturmhaube, dann einen Helm.“ Oder die Größe. Mehrere Opfer und andere Zeugen hätten vor der Polizei ausgesagt, der Täter sei zwischen 1,70 Meter und 1,85 Meter groß. Der Angeklagte ist 1,85 Meter groß. Mehrere Zeugen hatten ihre Aussagen später dann leicht relativiert, und Westphal erklärte in seinem Plädoyer: „Es kommt darauf an, was der Zeuge meint.“ Was er damit meine? Toller Satz, für den hatte Weimann nur Ironie übrig: „Das heißt also, der Zeuge meint 1,85 Meter, wenn er 1,70 Meter sagt.“

Oder die Tatsache, dass sich der Angeklagte bei seiner amtlichen Betreuerin abgemeldet habe und auch in seinem Schützenverein nicht mehr aufgetaucht sei, just in dem Zeitraum, in dem ein Teil der Taten passierten. „Vergleichen Sie mal diese Zeiträume mit den Unterlagen der Wohnungsbauverwaltung“, sagte Weimann zu Westphal. „Das korrespondiert mit der Zeit, in der der Angeklagte klamm war, Mietrückstände hatte und schlicht nicht das Geld für seinen Verein hatte.“

Und dann die Munition und die Ceska, mit der Mario K. im Verein geschossen hatte. Der gleiche Munitionstyp und der gleiche Waffentyp ist in Bad Saarow und in Storkow verwendet worden. „Mit dieser Munition wird in ganz vielen Vereinen geschossen“, sagte Weimann. „Und die Ceska ist seit Mauerfall die in Deutschland am meisten verwendete Waffe.“ Also wieder kein Indiz, das ausschließlich auf Mario K. hinweise.

Ein Plädoyer zwischen Empörung und Sarkasmus

Den bedeutsamen Dritten, der zumindest für die Entführung in Frage kommen könnte, gibt es für Weimann. Es ist ein Hubschrauberpilot aus Brandenburg, dessen Alibi Weimann in Frage stellt und das auch seine Frau nicht in Gänze bestätigen wollte. Der Tagesspiegel hatte aufgedeckt, dass nicht allen Hinweisen auf diesen möglichen anderen Tatverdächtigen konsequent nachgegangen worden war. Auf Westphals Hinweis, seit Mario K. im Gefängnis sitze, sei keine wesensgleiche ähnliche Tat mehr verübt worden, antwortete Weimann sarkastisch: „Es ist sicher ein Zufall, dass der Pilot bis März 2015 in Afrika war.“ Der Pilot quittierte 2013 den Dienst, gegen ihn wurde auch wegen Bestechlichkeit im Amt ermittelt.

Der Sarkasmus kam später, am Anfang war Weimann vor allem einem anderen Gefühl beherrscht: Empörung. Und die demonstrierte er in Form von Attacken auf die Staatsanwaltschaft, weil sie Dokumente nur zeitverzögert ans Gericht weitergeleitet habe. Videos, Rekonstruktionsunterlagen, andere Mittel, alles sei nur scheibchenweise aufgetaucht. „Der Gipfel waren Fotos von Tauchern, die erst mal nicht in den Akten waren.“

Genauso empört war Weimann über die Attacken, die Westphal, aber auch die Nebenkläger, in ihren Plädoyers gegen diverse Ermittler gefahren hatten. Diese Ermittler hatten auch der These nachgehen wollen, dass die Entführung nicht so abgelaufen war wie vom Opfer später detailreich, aber zunächst auch widersprüchlich geschildert. „Ich habe es noch nie erlebt, in welcher Weise hier erfahrene Ermittler behandelt worden sind“, donnerte Weimann. „Was ist denn nun mit den Urteilen, die auf den Ergebnissen dieser Ermittler basieren?“

Für Weimann ist der Pilot unverändert Tatverdächtiger, für das Gericht definitiv nicht. Das hat es vor den Plädoyers noch mal deutlich gemacht. Die Kammer ist zwar gestern wieder in die Beweisaufnahme eingetreten und verkündete, dass sie auf Antrag der Verteidigung Speichelproben des Brandenburger Polizisten und seiner Frau habe nehmen lassen. Die Beiden waren freiwillig dazu bereit – die neue Lebensgefährtin des Polizisten aber nicht. Auf einer Plane, die nach der Entführung auf der Schilfinsel im Sumpf am Storkower See lag, wurde eine weibliche DNA-Spur gefunden.

Gericht lehnt Pilot und seine Frau als Zeugen ab

Doch von der Ehefrau des Piloten stammt sie nicht. Auch die DNA ihres Mannes hat mit dem genetischen Material, das bei den Spuren der Entführung gefunden wurde, nichts zu tun. Das sagte ein LKA-Beamtin, welche die Speichelproben ausgewertet hatte. Andere Spuren brachten keine weiteren Erkenntnisse, der Richter bezeichnete sie als „verbraucht“. Auch vom Angeklagten Mario K. fand sich keine DNA an den Tatorten.

Weimann wollte den Piloten und seine Frau als Zeugen laden, das Gericht lehnte dies aber ab. Begründung: Der Pilot käme als Täter nicht in Frage. Das Gericht hatte bereits zuvor klargemacht, dass aus seiner Sicht der Polizist nicht als Täter in Frage komme, weil er ein Alibi für eine der drei Taten vorweisen könne. Mit der gleichen Begründung lehnte das Gericht einen anderen Antrag der Verteidigung ab. Weimann wollte DNA-Profile von Personen aus dem Umfeld des Piloten abgleichen. Möglicherweise könnten sie eine Verbindung zu dem Fall herstellen. Das käme einer mikrobiologischen Reihenuntersuchung nahe, beschied das Gericht.

Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Dann will die Verteidigung weiter plädieren. Für ihren Mandanten Mario K., für den die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft und die Nebenkläger darüber hinaus Sicherheitsverwahrung fordern.

Die komplette Tagesspiegel-Recherche zu neuen Widersprüchen und Indizien im Maskenmann-Prozess lesen Sie hier.

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