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Nach tödlichem Baumunfall in Berlin: Gericht verhandelt gegen Förster – im Wald
Im Herbst 2019 krachte ein Baum aufs Auto einer 40-Jährigen. Sie starb. Nun steht der Förster wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Es geht um Grundsätzliches.
Stand:
Man könnte den Zettel für einen Scherz halten, der da mit bunten Nadeln an eine hohen Buche gepinnt worden ist: „Öffentliche Sitzung des Amtsgerichts Tiergarten“, Hauptverhandlung an der Koenigsallee, 52°470029 Grad nördlicher Breite, 13°2556573 Grad östlicher Länge.
Aber das Thema, das an diesem nasskalten Dienstagmorgen mitten im Grunewald verhandelt wird, ist todernst: Am Abend des 28. Oktober 2019 war hier bei nur schwachem Wind ein etwa 100 Jahre alter und 40 Zentimeter dicker Spitzahorn auf einen vorbeifahrenden Jeep gekracht. Die 40-Jährige am Steuer erlitt schwere Kopfverletzungen, an denen sie wenig später starb. Ihr Ehemann auf dem Beifahrersitz kam mit leichten Verletzungen davon.
Der Schmerz über das Unglück steht ihm ins Gesicht geschrieben, als er jetzt als Nebenkläger im Wald steht – ein paar Meter entfernt von einem anderen, kräftigen Mann, von dessen Gesicht wenig zu sehen ist hinter OP-Maske und beschlagener Brille. Es ist der Revierförster, angeklagt wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung. Ein Beamter der Berliner Landesverwaltung, der laut Anklageschrift den fraglichen Baum möglicherweise nicht sorgsam genug kontrolliert hat.
Das Verfahren gegen den Förster war zunächst eingestellt, aber auf Betreiben von Angehörigen des Opfers wieder aufgenommen worden. Zwei Sachverständige haben Gutachten zu der Frage verfasst, ob die Gefahr durch den geschädigten Ahorn vorab erkennbar war. Sie kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Nun hat die Vorsitzende Richterin hierher geladen und erklärt: „Ich möchte verstehen, was ein Förster tun muss, wie ein Baum kontrolliert werden muss und was eventuell falsch gelaufen sein könnte.“
Wie weit muss man die Gefahren der Natur unter Kontrolle bringen?
Zumindest bei einem Schuldspruch dürfte die Sache weit über den konkreten Fall hinaus wirken: Selbst beim geringsten Zweifel an der Standsicherheit eines Baumes würde künftig wohl zur Säge gegriffen, war vorab aus der Verwaltung zu hören. Insofern geht es auch um die Frage, wie konsequent man die Gefahren der Natur unter Kontrolle bringen will und muss. Und letztlich auch darum, wie weit man das überhaupt kann mit den allzu oft arg begrenzten Ressourcen der Berliner Verwaltung und bei einem Baumbestand, der zu 60 Prozent leicht und zu 34 Prozent deutlich geschädigt ist.

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Der fragliche Ahorn war zuletzt im Februar 2019 kontrolliert worden, also unter ähnlichen Bedingungen wie jetzt und acht Monate vor dem Unglück. Der angeklagte Förster schweigt während der Verhandlung. Aber der erste Sachverständige hat das für solche Kontrollen übliche Werkzeug mitgebracht: Gummihammer, Sondiernadel, Fernglas, Gärtnermesser. Auf insgesamt 59 mögliche Schadensanzeichen seien Stamm und Wurzelansatz zu prüfen. Augenfälligstes Alarmsignal sei Pilzbefall, denn wo Pilze wachsen, wird Holz abgebaut, also die Substanz verzehrt, die den Baum senkrecht hält.
Der geschulte Kontrolleur erkenne den Zustand des Holzes am Klang der Hammerschläge, erklärt der Experte. Die Buche, an die er jetzt klopft, klingt schon auf Kopfhöhe viel hohler als direkt über dem Wurzelansatz. Der Klang sei vor allem Erfahrungssache, sagt der Gutachter. Als er am Tag nach dem Unglück zufällig vorbeigekommen sei, habe er auf den liegenden Ahorn geklopft – und nach zwei Schlägen gewusst: „Das Holz war umfassend zersetzt.“
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Immer wieder erwähnt er auch einen großflächigen Rindenschaden des Ahorns, der wohl mindestens zehn Jahre alt sei. Die Frage der Richterin, ob nicht bereits die Vorgänger des erst 2018 hierher gewechselten Revierförsters hätten reagieren müssen, beantwortet er weitschweifig, aber vage: „Er hat jetzt keine Kleinigkeit übersehen“, sind die deutlichsten Worte, die er sich entlocken lässt. Und dass im Oktober viel Hallimasch – eine hier weit verbreitete Pilzart – um den Baum gestanden habe. „Und im Februar?“, fragt die Richterin. „Dann nicht“, erwidert der Gutachter.

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Sein von den Berliner Forsten aufgebotener Kollege weiß es genauer: Die innere Fäule des Ahorns sei ebenso von Hallimasch verursacht worden wie der frühere Rindenschaden. Er beschreibt wiederkehrende Angriffswellen des Pilzes gegen den Baum, der sich irgendwann nicht mehr zu wehren vermochte. Und er betont, dass der Hallimasch einen Baum schlimmstenfalls binnen Wochen zersetzen könne.
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Die extreme Trockenheit der Sommer 2018 und 2019 dürfte solche Angriffe begünstigt haben Inwieweit die Schädigung bei der Kontrolle im Februar – abgesehen von dem alten Rindenschaden – bereits erkennbar war, sei im Nachhinein nicht sicher festzustellen.
Nach zwei Stunden und einem Regenschauer ziehen sich die Prozessbeteiligten zur Beratung zurück, ein paar Meter den Waldweg hinein. Dann verkündet die Vorsitzende einen Fortsetzungstermin: Am 1. März, im Gerichtssaal.
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