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Freiheit vs. Sicherheit. Wie viel Videoüberwachung brauchen wir?

© picture alliance / Patrick Pleul

Debatte um Videoüberwachung: Gesichtserkennung soll Trefferquote von 99 Prozent aufweisen

Im Innenministerium ist man mit den bisherigen Ergebnissen zur Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz scheinbar zufrieden. Doch ist sie wünschenswert?

Werden Städte sicherer durch mehr Videoüberwachung? Kann ein Ausbau der Überwachung, kombiniert mit künstlicher Intelligenz, die Kriminalitätsrate senken oder gar Terroranschläge verhindern? Zu diesen Fragen debattierte auf einer Podiumsdiskussion des Tagesspiegels im Berliner Kornversuchsspeicher am Mittwochabend Günter Krings (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, mit Saskia Sassen, Professorin für Soziologie an der Columbia Universität in New York. Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt moderierte die Veranstaltung.

Im Mittelpunkt der Debatte: ein Pilotprojekt am Bahnhof Südkreuz. Dort werden seit August 2017 durch Videokameras Gesichter aufgezeichnet. Drei Computerprogramme vergleichen anschließend alle Aufnahmen mit den gespeicherten Profilen von 300 Testpersonen. Ende Januar wurde das Projekt um sechs Monate verlängert. Bei einem positiven Ergebnis soll die Videoüberwachung flächendeckend an Bahnhöfen und Flughäfen eingeführt werden.

Datenschützer kritisieren das Projekt scharf

Im Innenministerium ist man mit den bisherigen Ergebnissen offensichtlich zufrieden: Die Gesichtserkennung funktioniere in mehr als 99 Prozent der Fälle, sagte Staatssekretär Krings. Das sei ein sehr guter Wert. Nach Abschluss des Testlaufs sollen nun auch Tests zur Verhaltenserkennung und zu alleine stehendem Gepäck folgen. „Digitale Technologien verändern unser Leben, aber auch Straftaten und ihre Planung.“ Es müsse daher Technik genutzt werden, die der heutigen Zeit angemessen sei. Krings sprach zudem auch den Fall an, dass ein Reisender etwa mit einer Herzattacke zusammenbricht. Moderne Kameras könnten Alarm schlagen. Diese Technik würde er jedoch nicht für jeden Bahnhof empfehlen. Auch verfassungsrechtliche Fragen seien zu klären.

Datenschützer kritisieren das Projekt ohnehin scharf und sehen Persönlichkeitsrechte massiv verletzt. Auch der Deutsche Anwaltsverein äußerte Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Tests. „Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgern an Bahnhöfen gescannt werden, dann greift der Staat schwerwiegend in Grundrechte ein“, kritisierte der Verein im vergangenen August. Auf nicht viel weniger Kritik stößt der Ausbau der Videoüberwachung der BVG. Bis Ende 2018 will das Unternehmen alle 182 U-Bahnhöfe vollüberwachen und mit entsprechender Videotechnik ausstatten. Die Berliner Datenschutzbehörde um Maja Smoltczyk kritisiert dies ebenso wie die Pläne der S-Bahn, ihre Videoausstattung, auch in Zügen, auszubauen und zu modernisieren.

"Überwachung kann Schein sein"

Auch die Mitdiskutantin Sassen sprach sich dagegen aus, alle Möglichkeiten zu nutzen, die technisch zur Verfügung stehen. „Überwachung kann ein Schein sein. Ich glaube nicht, dass es diese Systeme sind, die uns sicherer machen. Das nehme ich Verantwortlichen so nicht ab.“ Die entscheidende Frage sei, wie in Menschen das Gefühl gestärkt werde, Teil des öffentlichen Raumes zu sein – und dass es ihr Raum ist.

Wie passt überhaupt zusammen, die Videoüberwachung auszubauen, während die Kriminalität statistisch sinkt? „Kriminalität ist immer eine Sache der Perspektive. Der Wunsch der Menschen nach Sicherheit ist höher als vor 20 oder 30 Jahren. Das müssen wir ernst nehmen“, sagte Krings. Zudem sei eine sehr große Mehrheit der Bürger für mehr Videoüberwachung. Krings nennt das derzeit laufende Berliner Volksbegehren als Beleg. Im März konnten die Initiatoren um Heinz Buschkowsky (SPD) genügend gültige Stimmen vorbringen, um einen Volksbegehren einzuleiten. Sie fordern 1000 neue Kameras für 50 kriminalitätsbelastete Orte in der Stadt.

Sassen blieb kritisch. „Wenn du Überwachung deiner eigenen Person im Sinn hast, verhältst du dich nicht natürlich. Die wirkliche Gefahr der westlichen Welt besteht darin, dass wir nicht mehr wir selbst sein können.“

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