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Is' hier schön? Der Weddinger "Magendoktor" soll sich zuletzt von der klassischen Kneipe zum Szene-Treff gemausert haben.

© dpa

Pilssuche in Berlin: Gibt's hier keine ordentlichen Kneipen?

Einfach mal ein schönes Feierabendbier am Tresen ums Eck – in Berlin ist das nicht so einfach zu bekommen. Zwischen coolen Bars und schlimmen Absturzläden fehlt der Mittelbau. Gibt’s hier wirklich keine soliden Allerweltspinten?

Als wir das Haus betraten, sprach aus K. der Teufel. Es war etwa 0 Uhr, zuvor hatten wir einen erschütternd erwachsenen Abend verbracht, auf der Terrasse der neuen Bleibe in einem Berliner Vorort, grillend mit den Ehefrauen, und oben schlief das erste Kind. Jetzt sagte K., der alte Heimatfreund auf Berlin-Besuch: „Es gibt hier nicht zufällig noch so was wie ’ne Kneipe, wo wir beide jetzt noch mal schön ein gepflegtes Pils trinken können?“ Ich atmete tief durch. Dies war also der Moment, den ich lange herbeigesehnt, vor dem ich aber auch etwas Angst hatte. Ich würde mich den Kneipen meines neuen Kiezes stellen müssen. Aufgrund der Erfahrung mit vorherigen Kneipen in vorherigen Berliner Kiezen ahnte ich hier, im JWD, das Schlimmste.

Fünf Stunden später hatten wir es hinter uns: die erste Kneipe, in der zwischen Staub und großen Hunden trunken-unverständliches, aber offenkundig aggressives Zeug über „die Ausländer“ gebrabbelt wurde. Die zweite Kneipe, in der menschliche Hüllen die Daddelautomaten glühen ließen. Die dritte Kneipe mit den Glatzköpfen, die sich davon erzählten, wann, wo und mit was einer einem Nebenbuhler in die Beine geschossen hatte. „Das ist hier leider irgendwie immer so“, sagte ich zu K. auf dem Heimweg, und dann schwärmten wir noch ein bisschen von „zu Hause“, von den beseelten Sprücheklopfern in den Kneipen des Ruhrgebiets, von der „Georgsklause“ in Dortmund-Aplerbeck und dem „Treff“ in Essen-Burgaltendorf. Dessen Ex-Wirtin Rosi traf mit ihrem legendären Satz „Einen nehmwa noch, dann wecke ich die Kinder“ genau jenen Grad zwischen Exzess und Wohlanstand (bei ausbleibendem Absturz), der eine gute Kneipe auszeichnet.

Studenten, Alt-Linke, Geldsäcke - alle Milieus haben ihre eigenen Treffpunkte

Die Kneipe als Ort des geistesgegenwärtigen Dialogs und des milieuübergreifenden Austauschs scheint es in Berlin nicht zu geben, so zumindest mein Ergebnis nach vierjähriger (durchaus eifriger) Empirie. Den stieren Suff, die reine Selbstzerstörung, die bestürzende Stumpfheit, die manchmal fast geisteskrank wirkt – sie alle gibt es andernorts zwar auch, in den Eckkneipen der Hauptstadt scheint das Gegengewicht aus soliden Fleischermeistern und Feierabend habenden Sozialpädagogen jedoch völlig zu fehlen.

Woran liegt das? Die Möglichkeit, im großen Berlin ohne großen Reiseaufwand nur unter seinesgleichen zu verkehren, ist sicherlich die wesentliche Begründung. Die Jugend hat ihre Neuköllner Wohnzimmerbars, die Alt-Linken haben ihre Charlottenburger Jazzkeller, die Vornehmeren finden auch nach 22 Uhr noch geöffnete Speisegastronomie. Die Notwendigkeit, die Schichtmeister, Studentinnen und pegeltrinkende Gitarrenlehrer irgendwann „nach 11“ an ein und denselben Ort, ein und denselben Tresen führt, gibt es einfach nicht. Hinzu kommt vielerorts noch Folgendes: Wo die Mittelschicht zunehmend muslimisch geprägt ist, bleiben in der „deutschen“ Eckkneipe die kaputtgesoffenen Nichts-mehr-Checker sitzen und schimpfen auf die Ausländer. Schön ist anders.

Aber ist es deshalb gleich schlimm? Oder anders gefragt: Lässt sich daran etwas ändern? Letztlich wäre es ja das, was einen Text an dieser Stelle rechtfertigen würde. Ein flammender Appell: Sauft nicht so viel! Oder, an die anderen: Geht da mal hin! Lasst die Hänger nicht hängen! Aber wie macht man da deutlich, dass die seltsame Mischung aus ironischer Erhabenheit und untertänigster Ranwanzerei, mit der Berlins Hipster in letzter Zeit verstärkt die Eckkneipen der Innenstadtbezirke heimsuchen, auch irgendwie schlimm ist?

Deshalb muss dieser Text mit Fragen enden: Stimmt die Beobachtung? Welche Kneipen gibt es, die sie widerlegen können? War es in Berlin je anders? Und ist es für diese Stadt überhaupt interessant, Orte zu haben, an denen man sich, auch abseits großer Fußballturniere, beim Bier begegnen kann? Vielleicht ist das ja auch nur so eine Ruhrpott-Macke, dass selbst in düsterster Vorstadt nachts noch „schön ein gepflegtes Pils“ getrunken werden muss. Für den Fall, dass die Kulturtechnik Kneipenbesuch vielen hier wirklich fremd ist, steht hier noch eine Empfehlung: Probieren Sie’s aus! Dann wird’s, irgendwann, vielleicht, noch richtig nett.

Dieser Text erschien in der Rant-Rubrik auf den Mehr-Berlin-Seiten des gedruckten Tagesspiegels.

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