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Fest im Sattel: Ariane Bemmer testet das Cowboyreiten in Brandenburg.

© Kitty Kleist-Heinrich

"Big DD Ranch": Grenzenloses Cowboyleben in Brandenburg

Cowboyreiten, ein Saloon, schwere Westernsattel: Auf der „Big DD Ranch“ verwandelt sich das Havelland in ein Stück Wilden Westen. Ein Ausritt.

Westernpferde, das merkt man gleich, sind ziemlich lässig. Eben standen sie noch als Herde auf der sonnigen Weide, jetzt stehen fünf von ihnen nebeneinander in der luftigen Boxengasse. Kaum haben wir sie dort angebunden, was sie sich widerstandslos gefallen lassen, sinken ihre Augenlider auf Halbparterre. Als würden sie gleich einschlafen. „Mein Pferd ist ganz müde!“, rufe ich. Aber da habe ich mich getäuscht.

Das Pferd ist nicht müde, es managt sich. Es weiß, dass ein Mensch, der es anbindet und weggeht, wiederkommen wird, um loszureiten. Man kennt das aus Westernfilmen, in denen Pferde dösend vor dem Saloon herumstehen, bis ihr Reiter als Folge einer üblen Schlägerei durch die Schwingtüren geflogen kommt, sich aufrappelt, in den Sattel hüpft und schnell davongaloppiert.

Bis dahin heißt es für das Pferd: Chill, so lange du kannst. Vielleicht steckt das den Tieren seitdem im Blut – jedenfalls klappt es bei allen. Miss Juni, eine zehnjährige Stute, bewegt, nachdem ich sie angebunden habe, kein Ohr mehr, und der Hals wird immer länger. Fehlt nur noch, dass sie sich gegen die Wand lehnt und schnarcht.

Die Stute und ihre Artgenossen sind „Quarter Horses“. Quarter nicht von Quadrat, was zu ihrer „im Rechteck stehenden Körperform“ (Pferdejargon) auch passen würde, sondern von dem „Quarter Mile Race“, das die schnellsten von ihnen zu Cowboyzeiten liefen. Ob Miss Juni auch Rennqualität zeigt, falls sie die Augen je wieder aufmacht?

Ein Familienbetrieb

Ach, das sei eine ganz Liebe, sagt Martina Deichsel, Jahrgang 1962, blaue Augen, braungebrannt, Jeans und Cowboyreitboots mit Verzierung. Sie hat hier den Hut auf, auf der „Big DD Ranch“ westlich von Berlin. Eine 2,5 Hektar große Anlage und dazu noch mal 20 Hektar Weideland. Ein Familienbetrieb. Aufgebaut wurde die Ranch 1997 von ihrem Schwager, der dem lieblichen Havelland damit ein Stück Wilden Westen abgezwackt hat. Seit 2004 führen Martina Deichsel und ihr Mann Hartmut den Betrieb.

Ein hohes Holztor mit gusseisernen Cowboyfiguren drauf bildet stilecht den Eingang. Dahinter geht es Richtung Saloon oder zur Pension, denn man kann hier auch übernachten. Dann kommen noch die Reithalle und der Stall mit den großen, luftigen Boxen.

Draußen hinter einer kleinen Wiese liegt der ausgedehnte Reitplatz mit hoher Richterbühne und US-Flagge. Und dahinter ist noch ein Kuh-Korral, denn auf der Big DD Ranch kann man sich auch im Cutting üben, dem Kuhtreiben vom Pferd aus. Das sei aber nicht so ihrs, sagt Martina Deichsel. Das sei mehr ein Service für die richtigen Cowboy-Fans, die zum Trainieren oder für Turniere der „Ersten Westernreiter Union“ zu ihr kommen.

Sie steht inzwischen in der großen ordentlichen Sattelkammer und stellt jedem Reiter ein Set aus Striegel, Bürste, Hufkratzer zusammen. Die Pferde lassen sich putzen, ohne den Chill-Modus aufzugeben, vielleicht macht das eine oder andere einen noch längeren Hals, während der Striegel durch das Fell kreist. Haben Revolverhelden ihre Pferde eigentlich auch geputzt?

Schwere Westernsattel

Martina Deichsel bringt die Sättel zu jedem Pferd. In einer Hand trägt sie die, fest am Knauf gepackt, in der anderen hat sie die dicke gemusterte Sattelunterlage. Sie geht ganz schief vor lauter Ungleichgewicht, denn so ein Westernsattel wiegt um die zwölf Kilo. Den mittig aufs Pferd zu bekommen, erfordert also eine entschlossene Anstrengung, auch wenn Quarter Horses nicht allzu groß sind.

Verschnallt wird das schwere Ding mit einem breiten Gurt nach einem komplizierten Nippel-Laschen-Fädelsystem, über das ich mir vergeblich das Hirn zermartere, während Martina Deichsel die nächsten Sättel zu den anderen Tieren schleppt.

Ausritte machen durstig – auch die „Quarter-Horses“. Generell aber führen sie ein entspanntes Leben auf der „Big DD Ranch“.

© Kitty Kleist-Heinrich

Dann führen wir die gesattelten Pferde raus auf den Hof. Und siehe: Mein Pferd, Miss June in Blue, kurz Juni, macht seine Augen auf. Es wird allmählich ernst. Jeder erklimmt seinen Sattel, die Chefin hilft dabei, und oben angekommen sackt jeder sogleich probeweise in den Westernsitz, wie ihn John Wayne in unzähligen Filmen vorgemacht hat: Katzenbuckel, Unterarm auf den Knauf legen, Beine nach vorn strecken. Yeehah!

Als letztes holt Martina Deichsel ihr Pferd aus der Gasse, dann startet der Trail. Runter vom Hof und scharf links, da fängt das Gelände an. Straßen, Autos? Nichts dergleichen stört hier mehr die Idee vom grenzenlosen Cowboyleben – außer vielleicht zwei strenge Ansagen von Martina Deichsel. „Erstens: Wenn ich etwas ansage, wird das gemacht. Und zweitens: Niemand überholt mich!“

So trotten wir hintereinander weg in den Wald hinein, es duftet nach Fichte, und man kann sehen, wo hier die letzten Stürme entlanggetobt sind und Schneisen ins gebrechliche Holz geschlagen haben. Die Pferde schnauben gelegentlich, und wir Reiter wohnen uns allmählich in den großen Sätteln ein. Was nicht schwerfällt, schließlich sind die schweren Dinger für tagelanges Viehtreiben konstruiert, da sollte man auch einen Ausritt ohne Blase durchstehen.

Sie haben breite Sitzflächen, hinten einen kleinen Rand, den Cantle, vorn den Knauf, um den man die Zügel wickeln könnte, und breite Steigbügel. Alles recht komfortabel und gefühlt so bombensicher, dass auch Reitneulinge sich sofort wohlfühlen – und dass außer mir niemand einen Helm trägt. Martina Deichsel macht da keine Vorschriften, wenn es Erwachsene sind.

Auf den Cowboytrichter gekommen

Sie und ihr Mann haben viel um die Ohren. Außer ihren eigenen beherbergt die Big DD Ranch rund 50 Pferde, die auf Paddocks und in Boxen zur Miete wohnen. Die Inhaber machen Heu selbst, sie füttern, putzen, sorgen dafür, dass alles in Ordnung ist, und nebenan ist auch noch ihre Baufirma, die parallel weiterläuft. Und dann bieten sie zudem Reitstunden an für alle, die Westernreiten lernen wollen.

Martina Deichsel ist selbst erst spät auf den Cowboytrichter gekommen. Sie ist in Rathenow aufgewachsen und als Kind schon immer geritten – auf den Ponys und Pferden, die auf dem nahen DDR-Großlandwirtschaftsbetrieb zur Verfügung standen. Als sie nach dem Mauerfall nach Amerika fuhr, nach Oregon, wohin es Freunde gelockt hatte, und sie dort mit deren Quarter Horses in Kontakt kam, war's um sie geschehen: dieses Gemüt, diese Freundlichkeit, diese Trittsicherheit!

Ihrem Mann und dessen Bruder ging es ähnlich. So reisten sie ein zweites Mal dorthin – und kauften sich sechs Pferde, einen Hengst und fünf Stuten. Natürlich war das ein Risiko, inklusive Flug kostete es allerhand. Aber sie waren sicher, wenn uns das so gut gefällt, dann wird das auch anderen gefallen. Und sie behielten recht.

Im Chill-Modus blieb auch unsere Autorin Ariane Bemmer, hier mit Pferd „Miss Juni“.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Wir traben jetzt!“, Martina Deichsel hat sich noch einmal umgedreht und überprüft, ob auch jeder noch im Sattel sitzt, wo er hingehört. Dann wird aus dem gemächlichen Schritt ein flotter Zweitakt. Wir traben leicht, wie man so sagt, also im Wechsel Sitzen und Stehen, um die Pferde zu entlasten, denn die Alternative, das Aussitzen, erfordert Übung. Wer die nicht hat, plumpst schnell unkontrolliert im Sattel herum, was auch fürs Pferd nicht schön ist.

Dank dem Sattelknauf, an dem man sich gut festhalten kann, ist diese Balanceübung auch für Anfänger schnell machbar, alles easy im Cowboymodus. Die Pferde bleiben in allen Gangarten gesittet in ihrer Reihenfolge, nur Elvis, der Senior der Gruppe, entdeckt irgendwann die Gier nach Tempo und will sich vordrängeln. Da heißt Martina Deichsel die Vornereiter, die Lücken zu schließen und Elvis auszubremsen. Tja, Alter. Er fügt sich. Sein Reiter lacht.

Zeit und Raum gehen schnell verloren auf dem Ritt durch den Wald, vorbei an Wiesen und Feldern. Wo wir sind, weiß keiner außer Martina. Es ist ja auch egal. Stadt, Lärm, Stress – was ist das?

„Würden die Pferde auch allein zurückfinden?“, frage ich. Da lacht Martina Deichsel und zeigt nach vorn. Da ist schon der Zaun der Weide zu sehen. Wir sind zurück. Verrückt. Die Zeit ist einerseits verflogen – und andererseits kam sie einem vor wie eine Ewigkeit, weil der entspannte Ausritt einen so weit weggebracht hat von allem. Spätestens, als die Hufe wieder auf Stein treffen, ist die Illusion dahin. Klack-klack-klack. Hallo Gegenwart, da sind wir wieder.

Und da vorn an der Halle stehen auch schon die nächsten Reitgäste, die sich im Cowboysattel lässig einrichten und im Havelland eine Prärie entdecken wollen.

Der Beitrag stammt aus dem Magazin Tagesspiegel „Brandenburg“: 194 Seiten mit Tipps für große und kleine Freizeittouren, Restaurants, Feriendomizile. Erhältlich im Tagesspiegel-Shop, im Handel, an Kiosken.

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