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Großbaustelle in Berlin-Tempelhof: 60 Bäume weg – oder zehn Jahre Umleitung
Der Tempelhofer Damm muss saniert werden. Nach langem Streit gab es einen Plan, um die Bäume auf dem Mittelstreifen zu retten. Nun sollen sie doch weg.
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Fast 50.000 Autos fahren jeden Tag über den Tempelhofer Damm. Was man von oben im Dauerstau nicht ahnt: Unter dem Asphalt verlaufen neben dem Tunnel der U6 drei Abwasserdruckleitungen aus dem 19. Jahrhundert, deren Zustand die Wasserbetriebe mit dem Begriff „Zeitbomben“ beschreiben.
Wegen der immensen Verkehrsbelastung der Nord-Süd-Achse verweigerte die Verkehrsverwaltung viele Jahre die Genehmigung, die Straße aufzureißen. Nachdem es endlich ein Konzept gegeben hatte, wurde wieder neu geplant, um die 60 Bäume auf dem Mittelstreifen zwischen Platz der Luftbrücke und Autobahnanschluss zu retten. Doch nun soll es wieder anders kommen.
Die Tempelhof-Schöneberger Verkehrsstadträtin Saskia Ellenbeck (Grüne) berichtete von einer Mitteilung des Verkehrsstaatssekretärs Johannes Wieczorek (CDU), wonach die Bäume nun doch gefällt werden sollen – wegen besserer Ökobilanz dieser Variante und einfacherer Baustellenlogistik. „Jahrelange Planungen und Abstimmungen, die den Erhalt der Bäume, ein Verkehrskonzept zur großräumigen Umleitung des Verkehrs und den Schutz der Gartenstadt zum Ziel hatten, sind nun hinfällig“, erklärte die Bezirkspolitikerin.
Auf Bluesky schrieb Ellenbeck, der Kurswechsel erschüttere ihr „Vertrauen in gute Verwaltungsprozesse“ und sei angesichts der Klimakrise nicht zeitgemäß. Sie halte „diese autogerechte Verkehrsbetrachtung“ für wissenschaftlich überholt und empirisch nicht gedeckt. Eine Begutachtung habe ergeben, dass die Bäume zu 90 Prozent gesund seien und selbst unter Baustellenbedingungen noch 20 bis 50 Jahre leben könnten.
Unsere Stoßgebete werden lauter.
Stephan Natz, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe, zum Zustand der Abwasserleitungen unter dem Tempelhofer Damm.
Der Umweltverband BUND sekundierte, indem er den „bedingungslosen Pro-Auto-Kurs der Mobilitätsverwaltung seit Übernahme durch die CDU“ kritisierte und die Senatsbehörde aufforderte, „dieses offenbar unnötige Baummassaker“ zu stoppen.
Die Verkehrsverwaltung begründet ihren Sinneswandel auf Anfrage damit, dass es unterm Strich deutlich besser sei, die Bäume zu opfern, um während der jahrelangen Bauarbeiten jederzeit zwei Fahrspuren pro Richtung zu erhalten. Die sonst notwendige Umleitung würde die Anwohner der Umgebung massiv belasten und immensen zusätzlichen CO₂-Ausstoß verursachen, konkret: 30.000 Tonnen mehr Emission durch die bisher geplante Umleitung stünden rechnerisch nur 8,75 Tonnen durch die Vernichtung der Bäume gegenüber.
Aus Sicht von Ellenbeck vernachlässigt diese Rechnung nicht nur die weiteren Umwelteffekte von Bäumen wie Kühlung und Feinstaubbindung, sondern auch die Doppelbelastung von Anwohnern des Tempelhofer Damms und der angrenzenden Gartenstadt durch Verkehr und Bauarbeiten. Mit dem bisherigen Konzept – zwei Spuren stadteinwärts auf dem Tempelhofer Damm und Umleitung stadtauswärts via General-Pape- und Wilhelm-Kabus-Straße während der Bauzeit – würden weniger Anwohner belastet und die Wege für viele Autofahrer gar nicht länger.
Der Sinneswandel der Verkehrsverwaltung wurde offenbar von außen befördert: Nach Angaben der Wasserbetriebe hatte deren damaliger Chef Christoph Donner Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) im Oktober gedrängt, lieber die Bäume zu opfern und endlich loszulegen, als weitere Verzögerungen und Millionenkosten für die Herrichtung der Umleitungsstrecke zu riskieren.
Dass der Geduldsfaden der Wasserbetriebe dünner wird, liegt auch an der Vorgeschichte: Um überhaupt den Tempelhofer Damm aufreißen zu dürfen, hatten sie bereits im Jahr 2017 die Koordination der Baustellenplanung mit BVG, Stromnetz Berlin und anderen Unternehmen übernommen, deren Infrastruktur ebenfalls saniert werden soll. Bereits die ursprüngliche Planung habe je zwei Fahrspuren während der Bauzeit vorgesehen. Auf Veranlassung der damals grün geführten Verkehrsverwaltung seien dann Alternativen erarbeitet worden, um die Bäume zu retten.
Je mehr Zeit vergehe, desto höher werde das Risiko großer Rohrbrüche. „Unsere Stoßgebete werden lauter“, sagt Wasserbetriebe-Sprecher Stephan Natz. Und zur Frage des Baubeginns: „In diesem Jahr wird das nichts mehr.“
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