Sozialpolitik: Grüne wollen Hartz-Gesetz verbessern
Die Partei debattiert über Mindesteinkommen und Arbeitsförderung. Auf dem Landesparteitag sprachen sich die Grünen nun für höhere ALG-II-Regelsätze aus. Christian Ströbele scheitert klar mit seinem Antrag auf Mindesteinkommen.
Die derzeitige bundesweite Debatte um die Hartz-Reformen beschäftigte gestern auch die Berliner Bündnisgrünen. Auf ihrem Landesparteitag, der sogenannten Landesdelegiertenkonferenz, sprachen sie sich mit einer deutlichen Mehrheit dagegen aus, einen völlig neuen Kurs in der Sozialpolitik einzuschlagen und die seinerzeit von der rot-grünen Bundesregierung eingeleiteten Hartz-Reformen rückgängig zu machen. Stattdessen beschlossen die Delegierten mit 68 Ja- und 57 Nein-Stimmen ein Papier mit dem Titel „Der ermutigende Sozialstaat“, das jedoch einen Korrekturbedarf bei den Hartz-Regelungen sieht.
Wichtig ist den Grünen vor allem, dass die Regelsätze angehoben werden. Dies müsse besonders für Familien mit Kindern gelten. Diese Richtung hatte am Sonnabend auch der Grünen-Bundesvorsitzende Reinhard Bütikofer der Landesdelegiertenkonferenz gewiesen. Bütikofer hatte zuvor allerdings auch eingestanden, dass bei der Einführung der Reformen von den Grünen Fehler gemacht worden seien. Er plädierte gestern ebenfalls dafür, das Arbeitslosengeld II zu erhöhen. Auch Langzeitarbeitslose müssten ihre Würde wahren können, sagte er. Die Debatte verlief für grüne Verhältnisse ausgesprochen kurz und diszipliniert.
Niederlage für Christian Ströbele
Das klare Abstimmungsergebnis war eine deutliche Niederlage für Christian Ströbele. Der Bundestagsabgeordnete mit dem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg hatte für einen anderen Leitantrag geworben, wonach die Probleme der Grundsicherung auf völlig andere Art angegangen werden sollen. Der Antrag trug den Titel "Neue Wege zu einer individuellen Grundsicherung“. Seine Verfasser rechnen mit den Hartz-Reformen ab – und auch mit der grünen Beteiligung daran während der rot-grünen Koalition. Sie fordern ein Mindesteinkommen, das ohne Bedingungen gezahlt werden soll und "das zur soziokulturellen Teilhabe ausreicht“. Wie hoch dieses Einkommen sein soll, blieb etwas unklar. Im Gespräch waren 400 bis 600 Euro.
Das zweite Element dieses Vorschlags ist eine "gute öffentliche Infrastruktur“ mit Zugängen "für alle“. Ströbele plädierte für das Grundeinkommen, weil die Hartz-Reformen aus seiner Sicht dazu führten, dass Millionen Menschen als Bezieher staatlicher Transferleistungen "beobachtet“ und "gegängelt“ würden – mit dem Ziel, in den ersten Arbeitsmarkt "gedrückt“ zu werden. Für Ströbele gehört es zu den grünen Visionen von einer "wirklich repressionsfreien Gesellschaft“, dass Menschen nicht mehr „einer solchen Pression unterworfen“ werden.
Arbeitsverhältnisse von Morgen
Andere Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens beschäftigten sich weniger mit der repressionsfreien Gesellschaft von gestern als mit den Arbeitsverhältnissen von morgen. Die Abgeordnete Anja Schillhaneck sagte, die klassische „Erwerbsarbeit“ müsse infrage gestellt werden. Gerade in Berlin lebten viele in Verhältnissen, auf die der herkömmliche Begriff von Arbeit nicht mehr anzuwenden sei.
Die Gegner des Systemwechsels hatten demgegenüber in der Debatte darauf hingewiesen, dass diese Art der Existenzsicherung auch nicht gerechter sei. Dann bekämen Leute Geld vom Staat, die dieses Geld gar nicht brauchten, hieß es wiederholt. Landesvorsitzende Irma FrankeDressler sagte, Armut werde in Deutschland vererbt. Deshalb wollten diejenigen, die den "ermutigenden Sozialstaat“ befürworten, mehr Geld für die Bildung ausgeben und für eine Infrastruktur, in der Fördern und Fordern erst möglich werden.
Martina Schmiedhofer, grüne Sozialstadträtin in Charlottenburg-Wilmersdorf, sagte, dass "die Abwesenheit von Zwang“ den Bildungshunger und die Kreativität der Leute nicht von alleine freisetze. Außerdem hätten die Jobagenturen heute Möglichkeiten zur Qualifizierung, die „in dem Umfang noch nie da gewesen“ seien. Die Abgeordnete Jasenka Villbrandt sagte, das Mindesteinkommen helfe niemandem, der auf eine Pflegeeinrichtung angewiesen sei; dafür seien heute im Durchschnitt 3000 Euro im Monat zu bezahlen. Da sei das Mindesteinkommen "ein Witz“. (Tsp)