zum Hauptinhalt
Radfahrer sind auf dem Pop-up-Radweg am Halleschen Ufer unterwegs.

© Paul Zinken/dpa

Exklusiv

Verwaltungsverfahren unzulässig vereinfacht: Gutachter hält Pop-up-Radwege in Berlin für rechtswidrig

Ein Experte hält die provisorischen Wege für juristisch wacklig – aber aus anderen Gründen als die AfD: Das Problem ist demnach ein mangelhaftes Verwaltungsverfahren.

Stand:

Der Generalangriff eines AfD-Abgeordneten auf die Pop-up-Radwege in Berlin ist zwar wegen der absehbaren Niederlage vor Gericht abgeblasen, aber ein renommierter Verkehrsjurist hält die provisorischen Spuren dennoch für juristisch wacklig – nur aus völlig anderen Gründen: Das Problem ist demnach nicht die von der AfD beklagte Einschränkung für die Autofahrer, sondern ein mangelhaftes Verwaltungsverfahren, das den Provisorien vorausging.

Die Mängel „lassen deren Anordnung als insgesamt rechtswidrig erscheinen“, schreibt Dieter Müller, juristischer Berater des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, in einem Gutachten, das der Jura-Professor für die Unfallforschung der Versicherer verfasst hat.

Im Kern hält der Gutachter der Verwaltung vor, das vorgeschriebene Anhörungsverfahren von Baubehörden und Polizei „in rechtswidriger Weise“ zu vereinfachen: „Eine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Übergabe der fachlichen Basisinformationen an die beiden anzuhörenden Behörden ist ebenso wenig sichtbar wie die schriftliche Dokumentation des gesamten Anhörungsverfahrens“, heißt es im Fazit des Gutachtens, das dem Tagesspiegel vorliegt.

Dahinter steht der Grundsatz, dass Verwaltungsentscheidungen auch später nachvollziehbar sein müssen können, wenn beispielsweise jemand dagegen klagt. Am Adlergestell gibt es nach Auskunft der Verkehrsverwaltung gerade einen entsprechenden Fall.

Der Gutachter hält nicht nur das Verwaltungsverfahren für unzulässig vereinfacht. Er bezweifelt auch, dass die Verwaltung die Spuren hätte befristen dürfen, um sich Zeit zu verschaffen, die Provisorien in dauerhafte Lösungen umzuwandeln. Zugleich beschreibt er den Ausweg: „Dieser grundsätzliche Mangel an Transparenz und Fachlichkeit kann erst im Rahmen der geplanten Überführung der Pop-up-Radwege in dauerhafte Lösungen geheilt werden.“ Dafür werde dann allerdings wieder das Anhörungsverfahren mit Polizei und Baubehörden fällig.

Brockmann: Verwaltung hätte auch vorab Betroffene einbeziehen sollen

Siegfried Brockmann, der die Unfallforschung der Versicherer leitet, die das Gutachten in Auftrag gegeben hat, schließt daraus: Sowohl Pop-up-Spuren als auch dauerhafte Radfahrstreifen werden juristisch erst dann solide, wenn „sie korrekt und nachvollziehbar angeordnet wurden“. Juristisch bestehe kein Unterschied zwischen gelben und weißen Markierungen. Nur hätte die Verwaltung etwas mehr Aufwand betreiben müssen. Sinnvollerweise hätte sie auch vorab in allen Fällen Betroffene wie BVG, Feuerwehr und Anwohner einbeziehen sollen, sagt Brockmann.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Juristisch angreifbar seien die Spuren ohnehin nur aus den genannten formalen Gründen, nicht aber mit den verkehrlichen Argumenten des AfD-Abgeordneten. Bezüglich der Verkehrssicherheit schlägt sich der Gutachter nicht nur auf die Seite der Senatsverwaltung, sondern hält sogar den beiden bereits damit befassten Gerichtsinstanzen vor, die Anforderungen „möglicherweise rechtswidrig überhöht“ zu haben.

Hinter dieser Frage steckt die Auslegung von Paragraf 45 der Straßenverkehrsordnung, der zwar unbegründete „Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs“ (womit in der StVO unausgesprochen nur der Autoverkehr gemeint ist) untersagt, aber pauschale Ausnahmen beispielsweise in Gestalt von Schutzstreifen und Fahrradstraßen sowie Tempo-30-Zonen definiert.

Verwaltung: Zu nahezu allen Anordnungen gibt es ein schriftliches Verfahren

Die Verkehrsverwaltung hat das für sie heikle Gutachten bisher „nur kursorisch geprüft“, heißt es auf Anfrage. Die Darstellung, dass das Anhörungsverfahren derart mangelhaft sei, treffe aber ausdrücklich nicht zu: Zum einen gebe es gar keine klar definierten Standards dafür, zum anderen existiere „zu nahezu allen Anordnungen“ der Provisorien ein schriftliches Verfahren – etwa in Gestalt eines Mailwechsels der beteiligten Behörden inklusive Verkehrszeichenplan.

[Der Verkehr in der Metropole: Das ist regelmäßig auch ein Thema in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Auch die Befristung halte man für unproblematisch – zumal die Provisorien bereits so gestaltet worden seien, dass sie sich unkompliziert in Dauerlösungen umwandeln lassen.

Die meisten Pop-up-Wege sind laut Verwaltung bis Ende April befristet. Für mehrere seien bereits „Daueranordnungen“ erteilt worden oder in Arbeit. Und auf dem Bauhof des Bezirksamtes von Pop-up-Pionier Friedrichshain-Kreuzberg liegt bereits ein großer Stapel grüner Protektionselemente bereit. Die sollen verbaut werden, sobald das Frühjahr auch im Kalender begonnen hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })