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Eine Verkehrskontrolle in der Weserstraße am Mittwoch.

© Kai-Uwe Heinrich

Schwerpunktkontrollen der Polizei: Gute Ausrede erspart das Bußgeld

1200 Polizisten kontrollieren an 200 Stellen drei Tage lang Verkehrsverstöße. In der Weserstraße standen Beamte in einer Fahrradstraße. Ein Ortstermin.

Die Lösung prangt doch direkt vor ihm, nur zehn Meter entfernt, sie steht da in weißen Buchstaben auf schwarzem Grund, er müsste jetzt nur ablesen. Aber der Mittvierziger im blauen Hemd starrt stattdessen erst auf sein Navi, dann auf Polizeihauptkommissar Normen Lentzer, der sich vor seiner Fahrertür aufgebaut hat, und murmelt dann: „Das Navi hat mich hierher geleitet.“ Tja, Pech gehabt.

Lentzer beugt sich zur offenen Scheibe, setzt einen betrübten Blick auf und sagte: „Ihr Joker wäre jetzt gewesen, wenn Sie gesagt hätten, Sie wollten hier zum indischen Restaurant, das hätte ich Ihnen abgenommen.“ Dann hätte der Mittvierziger in seinem Opel regelkonform in der Weserstraße in Neukölln fahren dürfen. Obwohl die bereits seit der Ecke Sonnenallee eine Fahrradstraße ist.

Jetzt aber steht der Opel an der Ecke Weser-/Hobrechtstraße, gestoppt von Hauptkommissar Lentzer, und der Fahrer muss sich belehren lassen, dass man so eine Fahrradstraße als Autofahrer nur nutzen darf, wenn man ein Anliegen hat. So ein Anliegen kann der Besuch eines Arztes, von Tante Martha oder einem Anwalt sein, es kann aber auch einfach nur der Weg zum Einkaufen sein.

Wer die Straße freilich nur nimmt, weil sie eine Abkürzung darstellt, der hat Pech gehabt. Kostet 15 Euro Bußgeld. Normalerweise. Aber Polizeihauptkommissar Lentzer zeigt Nachsicht. „Weil Sie nach Navi gefahren sind, lasse ich Sie diesmal durch.“ 15 Euro gespart.
Es ist Mittwochmittag und Lentzer einer der rund 1200 Polizeibeamte, die insgesamt drei Tage lang Schwerpunkt-Verkehrskontrollen vornehmen, an 200 Kontrollstellen in der ganzen Stadt. Rainer Paetsch, der Leiter der Verkehrsüberwachung im Stab der Polizeipräsidentin, steht 50 Meter von Lentzer entfernt, neben sechs anderen Polizeibeamten, die hier eingesetzt sind. Rund ein Dutzend Polizisten sind hier.

„Jede Polizeidirektion kann selber entscheiden, welcher thematische Schwerpunkt ihr am wichtigsten ist, sie wissen am besten, was ihnen am stärksten unter den Nägeln brennt“, sagt er. Zur Auswahl steht die komplette Palette von Themen. Handynutzung am Steuer, Alkohol, Drogen, E-Scooter, Verstoß gegen Abbiege-Regeln, alles, was das Gesetz beim Verkehr hergibt.

Bewusster öffentlichkeitswirksamer Effekt

Kontrollen gehören zur Routine der Polizei, eine solche Schwerpunktaktion aber ist eine Besonderheit. Sie hat auch ganz bewusst einen öffentlichkeitswirksamen Effekt. Die Leute sollen mitbekommen, dass die Polizei aktiv ist.
In der Weserstraße zum Beispiel.

Bis zur Pannierstraße ist sie Fahrradstraße, und Lentzer steht mit Kollegen am ersten Kontrollposten. Hier hält er Autofahrer an, fragt, weshalb sie hier fahren und winkt sie bei Bedarf zur Seite. Oder er informiert seine Kollegin Nadja Damaschke per Funk, wer gerade aus der Hobrechtstraße in Richtung Reuterstraße abgebogen ist und kontrolliert werden soll.

Die Polizeikommissarin Damaschke steht 50 Meter weiter mit ihrer Kelle, zehn Meter neben Kollegen, die das Bußgeld einziehen.

Wichtig ist der Ton der Ansprache

Lentzer ist eine ziemlich gute Wahl für diese Kontrolle. Eine Mischung aus Verkehrserzieher, verständnisvollem Onkel und strengem Beamten. Er trägt eine blaue Schirmmütze, ein neonfarbenes Leibchen mit der Aufschrift „Polizei“ über der schusssicheren Weste und einen Drei-Tage-Bart. Seit 16 Jahren ist er bei der Polizei, er hat jenen Ton drauf, der Vertrauen schafft und trotzdem Autorität vermittelt.

Jetzt steht er neben einer jungen Frau, die leicht erschrocken ihren roten Ford gestoppt hat, als sie den Polizisten Lentzer sah. „Darf man hier nicht durch?“, fragt sie einigermaßen arglos. „Nein“, antwortet Lentzer, „schauen Sie doch mal auf das Schild, was steht da?“ - „Fahrradstraße“- „Richtig. Und was steht darunter?“ – Anlieger frei.“ – „Genau.“ – „Ich habe aber kein Anliegen.“ Zwei Sekunden Pause. Dann, mit Rehaugen-Blicken: „Ich habe doch gehalten.“ Damit, so lautet wohl die Botschaft dahinter, habe ich doch meine Pflicht erfüllt.

Eine Fahrerin muss 15 Euro bezahlen

Die Botschaft ist angekommen, nur hilft der Fahrerin das nicht. „Es ist ja auch gut, dass Sie gehalten haben“, sagt Lentzer. Dann darf die Frau weiterfahren, allerdings nur bis zur Einfahrt Hobrechtstraße. Dort sind 15 Euro fällig. Die Begründungen sind die Achillesferse dieser Kontrollen. Wer ein Anliegen hat, der darf fahren, auch wenn er das Blaue vom Himmel lügt.

„Wer abgebrüht genug ist, sich die entsprechende Ausrede einfallen zu lassen, der hat gute Chancen, ohne Bußgeld wegzukommen“, sagt einer der Beamten. Letztlich liege es an der Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, ob man eine Erklärung glaube. Freilich: Wie soll ein Polizist beweisen, dass der Fahrer nicht Tante Martha vier Häuser weiter besuchen will?

Mit 15 Euro ist auch der Fahrer eines Transporters dabei, der mit seinem verzwirbelten Bart, der pechschwarzen Sonnenbrille, der Baseballkappe und der Zigarette in der rechten Hand eine interessante Erscheinung ist. Ihm fällt auf die Schnelle kein Anliegen ein, nur der Satz: „Dann habe ich einen Fehler gemacht.“ - „Ja, der Fehler kostet 15 Euro.“

Lentzer dreht sich zu seinem Kollegen und sagt: „Der Herr möchte bezahlen.“ Kleiner Joke, den der Fahrer wohl zu seinem Glück nicht hörte.

Als plötzlich ein roter Golf von der Hobrechtstraße in die Weserstraße brettert, im heftigen Slalom ein paar Fahrradfahrer umkurvt und auf die Polizeikommissarin Nadja Damaschke zufährt, ist dann allerdings Schluss mit lustig. „Den Golffahrer auf jeden Fall anhalten und ein bisschen deutlicher ermahnen“, sagt Lentzer in sein Funkgerät. Der Golffahrer muss aber auch nur 15 Euro bezahlen, weil ja niemand die Geschwindigkeit gemessen hat.

Einen UPS-Fahrer dagegen lässt Lentzer in Ruhe; der Mann sucht erkennbar ein Ziel in der Nähe, hat also ein Anliegen. Außerdem, sagt Lentzer, „steht so jemand ohnehin schon unter Druck“. Wäre er illegal gefahren, dann hätte er natürlich trotzdem mit einem Bußgeld rechnen müssen.

Es gibt keine Aggressionen

Lentzer hilft mitunter ja auch mit ganz praktischen Lebenstipps, da hat er doch überhaupt keine Probleme. Den Fahrer eines Mini Coopers fragt er: „Was steht denn auf dem blauen Straßenschild?“ Tja, was denn? Der Fahrer sucht auf dem Asphalt intensiv nach einer Antwort. Nach drei Sekunden sagt Lentzer väterlich: „Straßenschilder stehen meist oben, nicht unten.“

Es ist zwar warm, aber nicht mehr unerträglich heiß, vielleicht ist das der Grund dafür, dass alles entspannt abläuft, die Belehrungen ebenso wie die Reaktionen der Betroffenen. „In diesem Kiez ist es aber ohnehin friedlich“, sagt Lentzer, „in der Sonnenallee ist es anders, da müssen wir uns nichts vormachen.“

Den einzigen aggressiven Fahrer hat auch nicht er abbekommen; mit dem musste sich seine Kollegin Damaschke herumschlagen: „Warum muss ich jetzt hier halten?“, herrscht er die Polizeikommissarin an. Die Antwort ist nicht so furchtbar schwer. Nadja Damaschke hat gern weiter geholfen.

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