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Denkmal. Am Bahnhof Friedrichstraße erinnert eine Skulptur an die Rettung.

© Thilo Rückeis

Holocaust-Überlebende sind als Gäste in Berlin: Zu Besuch in der Heimat, die keine war

Holocaust-Überlebende und ihre Angehörigen besuchen Berlin. Sie fahren die Strecke der Kindertransporte nach, durch die sie gerettet wurden.

Ralph Mollerick war acht Jahre alt, als er von seinen Eltern aus Kassel nach England geschickt wurde. Die Geschichte seiner unfreiwilligen Reise erzählte er am Freitag im Empfangssaal des Berliner Abgeordnetenhauses. Zur Reisegruppe des 89-Jährigen gehörten drei weitere Holocaust-Überlebende, außerdem Angehörige und Kinder – insgesamt 19 Personen. Sie wurden begrüßt von Ralf Wieland, Präsident des Abgeordnetenhauses, und Sawsan Chebli, Staatssekretärin für Bürgerliches Engagement.

Mollerick und die Gruppe sind bloß noch zu Gast, in einem Land, in dem sie eigentlich zu Hause wären, hätte das NS-Regime nicht versucht, alle Juden zu ermorden. Gemeinsam nehmen sie an einer Reise teil, die sie zurück an ihre Ursprünge führt: Sie fahren die Strecke der Kindertransporte nach, durch die sie gerettet wurden. „Es ist nicht selbstverständlich, Sie hier begrüßen zu dürfen, und ich weiß, dass manche sich zum ersten Mal dazu entschieden haben, in dieses Land zu reisen“, sagte Sawsan Chebli.

Am Donnerstagabend kam die Gruppe aus Wien nach Berlin, Montag wird es weiter nach Amsterdam gehen. Die Reise soll in England enden, so wie Mollericks Transport damals auch.

Kindertransporte "durch die Zivilgesellschaft möglich"

Er erinnert sich noch genau an den Abend, an dem sein Vater mit den Zugtickets nach Hause kam. Bis zur Abreise waren nur zwei Tage Zeit. „Worüber bislang viel zu wenig gesprochen wurde, sind die Traumata, die mit den Kindertransporten einhergingen“, sagt er. Die Ungewissheit, ob es ein Wiedersehen geben werde, und das unbestimmte Warten auf die Abreise seien furchtbar gewesen.

Kindertransporte gab es nur vom 1. Dezember 1938 bis zum 1. September 1939. Größtenteils jüdische Kinder aus Deutschland, Österreich, Polen und Tschechien wurden ohne ihre Eltern nach England geschickt. Dort lebten sie in Gastfamilien oder Internaten. Der Bedarf an Tickets war weit größer als das Kontingent. Trotzdem konnten fast 10 000 Kinder auf diesem Weg vor dem NS-Regime geschützt werden.

„Das Besondere an den Kindertransporten war, dass sie durch die Zivilgesellschaft, nicht durch Institutionen oder die Regierung möglich wurden“, sagt Melissa Hacker, selbst Tochter einer Frau, die dank der Kindertransporte überlebte. Hacker, die heute in New York lebt, organisierte die Reise. Finanzieren müssen sie die Teilnehmer selbst, doch Hacker konnte Fördergeld einwerben. Beispielsweise die Fährgesellschaft Stena, die damals Kinder von Amsterdam nach England transportierte, stellte vergünstigte Tickets zur Verfügung. Am Wochenende werden historische Orte besucht, darunter das Jüdische Museum und das Haus der Wannseekonferenz.

Joana Nietfeld

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