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Berlin: Im Dorf packt jeder mit an

Der Bundespräsident ehrte siebzig verdiente Bürger – darunter auch die Balower aus Mecklenburg-Vorpommern

Ob June oder Mädchen, in Balow, Mecklenburg-Vorpommern, wird jedes neue Gemeindemitglied freudig willkommen geheißen. Das 370-Seelen-Dorf will größer werden. Die Kinder können sich allerdings auch auf eine schöne Jugend freuen, in der sie überall gefragt sind. Egal, ob ein Stall zur Festscheune umgebaut wird, oder ob ein Spielplatz gebaut wird, die Balower machen am liebsten alles zusammen. Dafür sorgt Kriemhild Kant, seit 1994 ehrenamtliche Bürgermeisterin und selbst Mutter von vier Kindern. Jetzt steht sie zwischen etwa siebzig anderen verdienten Bürgern und den amtlichen Spitzen der Gesellschaft im Schloss Bellevue beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten. Eine Einladung zum Neujahrsempfang ist noch kein Bundesverdienstkreuz, aber der erste Schritt aus einem meist von der breiten Öffentlichkeit nie wahrgenommenen Helferdasein in jenes Rampenlicht, das Vorbilder brauchen, um nachgeahmt zu werden. Bundespräsident Johannes Rau, für den dieser Vormittag einer der händeschüttelintensivsten des Jahres ist, wirbt dafür, dass mehr Frauen und auch mehr junge Menschen vorgeschlagen werden, zum Beispiel fürs Bundesverdienstkreuz. An diesem Vormittag sind die Frauen immerhin sogar leicht in der Überzahl, und es ist nicht so, dass sie es nicht registrieren. Sabine Bamberg, einzige Frau unter etwa 80 Männern beim Technischen Hilfswerk in Zwintschöna, kochte beim Hochwassereinsatz rund um die Uhr für etwa 200 Helfer. Jetzt steht sie zusammen mit Eva Arnold-Schaller aus Tübingen, die sich nicht nur um ihre drei Kinder, ihren Beruf und ihren Pfarrgemeinderatsvorsitz kümmert, sondern viele Stunden in der Woche Flüchtlingen bei der Kinderbetreuung, der Wohnungs- und Arbeitssuche hilft; beide freuen sich, dass Frauen und Männer gleich berücksichtigt wurden. Mit Leonie Büse, Tim Kayser und Eva Wever aus Rastede sind auch ein paar Teenager dabei, die zusammen mit ihren Mitschülern 86 000 Euro bei einem Wohltätigkeitslauf für eine flutgeschädigte Grundschule in Dessau aufbrachten. Sicher, jeder tut das, was er am besten kann.

Fensterbauunternehmer Tobias Flügel aus Grunewald in Brandenburg etwa hilft auch mit logistischen Kenntnissen beim Aufbau einer christlichen Schule in Kasachstan, drei bis vier Wochen im Jahr packt er dort mit an.

Aber das Klischee, dass Männer vor allem über Schützenvereine zu verdienten Bürgern werden, stimmt hier nicht, es kommen auch pflegende Männer vor. René Bollerey, Altenpfleger aus Köpenick, hat schon zweimal seinen Urlaub in Nepal verbracht, um dort Leprakranke zu pflegen. Mit seiner von Leprakranken gefertigten nepalesischen Landestracht, erregt der Vater von zwei Kindern bewusst Aufsehen, um Spenden für sein Projekt zu sammeln. Gerlinde Haker hat sich mit dem Ehrenamt gar einen Jugendtraum erfüllt. In der DDR durfte sie wegen ihres Kirchenengagements nicht Jura studieren; seit 1991 aber ist sie Jugendschöffin beim Landgericht Schwerin.

Die meisten Frauen haben neben dem Ehrenamt auch noch Familie und Beruf zu managen. Bemerkenswert an all den Vertretern der Bürger dieses Landes ist ihre rundum positive Ausstrahlung. Anders als die per Amt definierten Spitzen der Gesellschaft, die gelegentlich mit individuellen Ankunftszeiten den geplanten Ablauf auf die Probe stellen, sind sie ganz pünktlich und so in jeder Hinsicht vorbildlich. Man kann dem neuen Jahr nur wünschen, dass der Bundespräsident diesen Schwerpunkt weiter pflegt. Vielleicht erholt sich die Gesellschaft ja von der Basis aus.

In Balow beispielsweise gibt es die üblichen Probleme mit Jugendlichen kaum. Dazu sind sie dort alle viel zu beschäftigt. Und die Bürgermeisterin zeigt beispielhaft, wie man den Hut aufhaben und trotzdem was für Kinder tun kann.

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