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Berlin: In Gysis Schatten

Seit 15 Jahren sitzt Siegfried Scheffler für die SPD im Bundestag. Das könnte der PDS-Star nun beenden

Der Mann hat keine Chance. Da kann Siegfried Scheffler von der SPD im Nachbarschaftshaus von Altglienicke noch so fundiert über Bildungs- oder Wirtschaftspolitik dozieren – die Sympathien des Publikums liegen beim Herausforderer. Gregor Gysi, brillanter Redner, kluger Kopf und unterhaltsamer Selbstdarsteller, ist der Star bei dieser Wahlveranstaltung.

Sollten sich die Umfragen bestätigen, wird der 57-jährige Spitzenkandidat der Linkspartei/PDS am 18. September die 15-jährige Bundestagskarriere von Scheffler (60) beenden. Seit 1990 hatte der Sozialdemokrat sein Mandat in Treptow-Köpenick gegen die traditionell starke PDS verteidigt, zuletzt mit 39 Prozent der Stimmen. Die PDS schaffte es bisher gerade mal auf 30 Prozent. Bis die Sozialisten beschlossen, ihr Zugpferd Gysi antreten zu lassen. Scheffler ist nicht auf der Landesliste seiner Partei abgesichert, das heißt: Gewinnt Gysi, ist Scheffler draußen.

Es ist ein ungleicher Kampf. Wo der graubärtige Scheffler solide und sachlich, aber etwas dröge wirkt, ist der quirlige Gysi schlagfertig und witzig. Wenn Scheffler langatmig doziert, ist Gysi pointiert, macht einen frechen Spruch und hat die Leute auf seiner Seite. Und wenn sich Scheffler als Sachwalter des Bezirks präsentiert und mit Detailkenntnis glänzen will, dann kontert Gysi das mit der abschätzigen Bemerkung, er bewerbe sich ja nicht um das Amt des Bezirksbürgermeisters, sondern wolle die große Politik beeinflussen. Die Reaktionen im Saal sind eindeutig: Lachen und Applaus für Gysi, Zurückhaltung oder Desinteresse für Scheffler. „Es ist schon schwierig, sich gegen Gysi zu behaupten“, seufzt Siegfried Scheffler nach der Debatte. Während Gysi – wegen Drohungen von drei LKA-Leibwächtern umgeben – zum nächsten Termin eilt, tritt Scheffler alleine und nachdenklich blickend auf die Straße. „Gysi ist von morgens bis abends im Fernsehen zu sehen“, sagt der Sozialdemokrat, „und bei den Wahlveranstaltungen, die wir gemeinsam haben, ist zu wenig Platz, um zu erzählen, wofür er und ich wirklich stehen“.

Wofür Scheffler steht, erlebt man zum Beispiel am Rande einer Baugrube in Adlershof. Unternehmer und Vertreter von Bund und Land stehen beisammen, um die Grundsteinlegung eines Produktionsgebäudes am Wissenschaftsstandort zu feiern. Hier ist der SPD-Politiker in seinem Element. „Scheffler ist unsere regionale Säule“, sagt der Staatssekretär des Bundesforschungsministeriums, Ulrich Kasparick. Ein Institutsleiter schwärmt, wie sehr sich Scheffler, der als Ex-Stadtrat und Ex-Staatssekretär im Bundesbauministerium über gute Kontakte verfügt, für den Ausbau des Viertels eingesetzt hat. Und der Geschäftsführer des Standortes, Hardy Rudolf Schmitz, lobt, wie Scheffler Hindernisse für Ansiedlungen aus dem Weg geräumt habe. Gysi hingegen, so fasst der Adlershof-Chef eine zumindest in diesem Kreis verbreitete Meinung zusammen, „der ist wie Quecksilber und täte dem Bezirk nicht gut“. Kritik wie diese hält Gysi aus, Bezirksvertreter will er eh nicht sein. Statt um Autobahnanschlüsse oder Straßenbahnverbindungen geht es ihm um Gesamtpolitik, wie er es nennt: Krieg und Frieden oder Hartz IV – wobei letzteres ein Thema ist, dessen Vermittlung für Scheffler eine ähnlich große Herausforderung ist wie Gysis Popularität.

In Gysis Wahlkreisbüro ist man siegesgewiss. „So viel Zuspruch hatten wir hier schon seit Jahren nicht mehr“, sagt Wahlkampfkoordinator Axel Goldmann. Eigentlich wollte Gysi hier nur eine Hand voll Auftritte absolvieren. Inzwischen stehen mehr als 20 Veranstaltungen auf dem Programm, zusätzlich zu den überregionalen Terminen, für die der Spitzenkandidat im ganzen Land angefordert wird. Neulich habe es sogar eine Anfrage des örtlichen FDP-Kandidaten gegeben, der mit Gysi eine seiner Veranstaltungen interessanter machen wollte.

„Jemanden wie Gysi, der so klug und rhetorisch begabt ist, hätten wir auch gerne“, gibt ein SPD-Veteran zu, der am S-Bahnhof Adlershof morgens um sieben Broschüren mit Schefflers Porträt drauf verteilt. „Der Mann ist eine echte Herausforderung für uns, da gibt es nichts zu beschönigen.“ Und ein anderer SPD-Wahlhelfer sagt: „Wir werden nicht gewinnen, aber wir müssen Flagge zeigen.“ Verloren geben will Scheffler den Kampf trotzdem nicht. „Die Chancen stehen 50 zu 50“, sagt er und berichtet von Bürgern, die im Wahlkampf auf ihn zukommen und ihm Unterstützung zusagen. Dass die PDS Gysi gegen ihn ins Rennen schickt, deutet er als Auszeichnung: „Das ist eine Wertschätzung meiner Person, dass die den besten Mann gegen mich aufbringen – ich bin für die PDS eine harte Nuss.“

Darüber, was bei einem Sieg Gysis aus ihm werden wird, will Scheffler nicht reden. „Das lasse ich nicht an mich rankommen.“ Zwar habe er ein Rückkehrrecht ins Bezirksamt Treptow, wo der Ingenieur einst das Tiefbauamt leitete. Aber daran will er gar nicht denken: „Einen Plan B gibt es nicht.“

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