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„Jetzt hole ich die Badehose raus“: Lotte Mies brachte Berlins Oben-ohne-Verbot zu Fall
Die Aktivistin von der Initiative „Gleiche Brust für alle“ erlebte den Rauswurf aus einem Berliner Schwimmbad – weil sie ihre Brüste nicht bedeckte. Ihr Fall gab Anstoß für einen Wandel.
- Johanna Treblin
- Sönke Matschurek
- Alexander Fröhlich
Stand:
Die Berliner Bäder-Betriebe erlauben jetzt Frauen, „oben ohne“ zu schwimmen – und Lotte Mies hat das erkämpft. Im Dezember besuchte sie das Hallenbad in Kaulsdorf. Weil sie ihre Brüste nicht bedeckt hatte, rief das Personal die Polizei. Mies wurde der Halle verwiesen. Die 33-Jährige reichte Beschwerde bei der Berliner Ombudsstelle für das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) ein. Und auch die Bäder-Betriebe nahmen den Vorfall zum Anlass, die Kleidervorschriften neu auszulegen.
„Ich freue mich natürlich, dass jetzt alle Menschen Sicherheit haben, einfach in Badehose schwimmen zu können“, sagt Lotte Mies. Es gehe nicht nur um sie und andere Frauen, sondern auch um trans, inter oder nonbinäre Personen. „Aber jetzt von ,dürfen’ oder ,erlauben’ zu sprechen, ist etwas weit hergeholt.“ Schließlich sei das Baden oben ohne schon vorher erlaubt gewesen, sagt Mies.

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Die 33-Jährige macht bei der Initiative „Gleiche Brust für alle“ mit, die gegen eine Sexualisierung der weiblichen Brust kämpft. Mit einer Petition setzt die Gruppe sich dafür ein, dass alle Menschen sich unabhängig von ihrem Geschlecht mit freiem Oberkörper bewegen dürfen. Der Besuch oben ohne im Hallenbad war für Mies ein Experiment: Sie habe schauen wollen, in was für einem Kontext ihre Brust anfängt, sie einzuschränken.
Damit hat man sich auf die Seite der Sexisten gestellt.
Lotte Mies über bisherige Praxis der Bäder-Betriebe.
Bisher sei es in den Bädern lediglich so gehandhabt worden, dass Menschen nicht oben ohne baden durften, wenn sich andere Badegäste gestört fühlten. „Damit hat man sich auf die Seite der Sexisten gestellt“, sagt Mies. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel hatte Mies Ende Februar noch gesagt, seit dem Vorfall in Kaulsdorf schwimme sie wieder mit Badeanzug. Zu präsent sei noch die erfahrene Bloßstellung. „Solange es da keine klare Regelung gibt, gebe ich mir den Stress nicht.“
Offenheit als Herausforderung
Jetzt erklärten die Bäder-Betriebe, die Badeordnung mache keine geschlechtsspezifischen Vorgaben in Bezug auf die Badebekleidung. Die bisher „gelebte Auslegung“, der zufolge „handelsübliche Badebekleidung für Frauen beziehungsweise als weiblich gelesene Personen in der Regel bedeutet, dass der Oberkörper bedeckt ist“, habe nun ein Ende.
„Wir wissen, dass es Menschen gibt, die irritiert darauf reagieren, wenn im Bad eine Frau oder eine trans- oder intergeschlechtliche Person mit nicht-bedeckter Brust schwimmen oder baden geht“, heißt es in der Handreichung. „Wir bauen auf Sensibilität und Toleranz unserer Kunden. Intern führen wir intensive Gespräche, um langsam damit umzugehen“, sagte BBB-Vorstandschef Johannes Kleinsorg dem Tagesspiegel.

© Foto: Tsp/Doris Spiekermann-Klaas
Die Mediation mit den Gästen sei nicht immer leicht. „Aber das ist die Welt, in der wir leben. In Berlin gibt es halt auch Situationen, wo die Offenheit eine besondere Herausforderung darstellt“, sagte Kleinsorg. Die Bäder-Betriebe „bitten alle um angemessene und situative Toleranz“. Bei Nachfragen anderer Badegäste, die sich an der nicht bedeckten weiblichen Brust störten, sollen die Mitarbeiter nun um Verständnis werben. Reicht das nicht, sollen sie die Gäste an das Kundenzentrum verweisen.
Auf eine aufrichtige Entschuldigung warte ich bis heute.
Lotte Mies
Und was hält Lotte Mies davon? „Jetzt hole ich die Badehose wieder aus dem Schrank“, sagt sie. „Sie soll ja nicht umsonst gekauft worden sein.“ Doch in einem Punkt ist sie unzufrieden. „Auf eine aufrichtige Entschuldigung warte ich bis heute. Es ist nicht korrekt, was die Bäderbetriebe damals sagten. Und auch vonseiten der Polizei wäre eine Entschuldigung das Mindeste“, sagt sie t-online.
Doris Liebscher, Leiterin der Ombudsstelle für das Landesantidiskriminierungsgesetz, begrüßte die Entscheidung der Bäder-Betriebe, „weil sie gleiches Recht für alle Berliner:innen, ob männlich, weiblich oder nicht-binär herstellt“ und Rechtssicherheit für das Personal schaffe. „Jetzt geht es darum, dass die Regelung konsequent angewendet wird und keine Platzverweise oder Hausverbote mehr ausgesprochen werden“, sagte Liebscher.
Was ist „handelsübliche Badebekleidung“ – und auf wen bezieht sich Bikini?
Bereits zuvor hatte sie erklärt: Die Formulierung „handelsübliche Badebekleidung“ sei nicht mit einer geschlechterspezifischen Bekleidung gleichzusetzen. Dem hatte das Landgericht in einem anderen „Oben-ohne“-Fall widersprochen. In dem Urteil einer Richterin vom September 2022 heißt es: Nach gewöhnlichem Sprachgebrauch seien Bikini, Badeanzug und Burkini auf Frauen bezogen und diese hätten ihre Brüste zu bedecken.
„Denn auch ein Bikini besteht nicht nur aus einer Hose“, ist im Urteil zu lesen. Das Grundgesetz untersage nicht, „geschlechtliche Unterschiede Anlass für unterschiedliche Behandlung sein zu lassen“. Die „Ungleichbehandlung des Ungleichen“ sei zulässig. Die Richterin erklärte zudem, die Ansicht der Ombudsstelle, Badeordnungen dürften eine „gleichheitswidrige Sexualisierung der weiblichen Brust“ durch die Gesellschaft nicht übernehmen, treffe nicht zu. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, das Kammergericht muss darüber befinden.
Die Bäder-Betriebe rechnen nun jedoch auch mit neuen Konflikten. In der neuen Handreichung heißt es: „Der Grundsatz der Gleichheit steht hier über anderen Rechten – zum Beispiel dem Recht der Religionsfreiheit.“ Badegäste, die aus religiösen Gründen nicht im Schwimmbad bleiben könnten, weil dort Frauen „oben ohne“ baden, „haben keinen Anspruch darauf, zu verlangen“, dass die weibliche Brust bedeckt wird.
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