
© AFP/JOHN MACDOUGALL
„Unsere Herzen sind zerbrochen“: Hunderte zeigen bei Chanukka-Feier am Brandenburger Tor Solidarität mit Opfern des Anschlags in Sydney
Am Brandenburger Tor gedenkt die Jüdische Gemeinde Chabad Berlin der Opfer des bewaffneten Angriffs auf eine Chanukka-Feier in Sydney. Die Veranstaltung wird von der Polizei schwer bewacht.
Stand:
Der Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor ist am Sonntagabend zum ersten Mal in diesem Jahr entzündet worden. Den Opfern eines bewaffneten Angriffs auf eine Feier zum jüdischen Lichterfest in Sydney wurde dabei ein Solidaritätsgebet gewidmet. Die Polizei sprach von etwa 250 Teilnehmenden. Als Reaktion auf die Ereignisse in Sydney verstärkte die Behörde den Schutz der Veranstaltung.
Am frühen Abend strömten mehrere Hundert Menschen zum Brandenburger Tor. Sie mussten eine Sicherheitskontrolle passieren, der Pariser Platz war abgesperrt und von Polizisten schwer bewacht. Auf dem Platz wehten mehrere Israel-Fahnen. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender waren anwesend, um ihre Solidarität zu zeigen.
„Wir sind alle entsetzt, alle im Schmerz und alle sprachlos über das schlimme Ereignis, das in Sydney, Australien, passiert ist. Die Gemeinde dort wollte nur Licht über Dunkelheit feiern“, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin, Rabbiner Yehuda Teichtal. „Sie wollten ein universelles Zeichen setzen für Miteinander, für positive Zusammenarbeit, und dass alle Menschen, egal ob Juden, Muslime, Christen oder Nicht-Gläubige, unter einem Gott stehen.“
Mit brüchiger Stimme berichtete Teichtal von einem Rabbiner, der bei dem Anschlag ermordet worden sei. Er sei ein „persönlicher Freund“ von ihm gewesen. Teichtal entfachte gemeinsam mit Steinmeier und Büdenbender eine Fackel, mit der die erste Flamme am Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet wurde.

© AFP/JOHN MACDOUGALL
Eine junge Frau tanzte zur fröhlichen Musik, die nach dem Anzünden des Chanukkias, des neunarmigen Leuchters, auf der Bühne gespielt wurde. Darauf angesprochen, warum es ihr wichtig war, heute zu kommen, reagierte sie sichtlich bewegt. „Heute wurden wieder Jüdinnen und Juden ermordet, weil sie Jüdinnen und Juden sind“, sagte sie. „Sie konnten sich nicht unbeschwert am Strand treffen und den Tag begehen, an dem es darum geht, zu feiern, dass sie überlebt haben, dass es sie noch gibt.“
„Auch die Entwicklung in Deutschland macht uns Sorgen“
Auch Ervin Güvercin war zum Brandenburger Tor gekommen. Er ist Muslim und arbeitet für die Alhambra-Gesellschaft, die sich für einen pluralen und säkularen Islam einsetzt. Er sei ebenfalls aus Solidarität gekommen, sagte Güvercin. „Das Erschreckende ist, dass das, was heute in Sydney passiert ist, genauso gut auch bei uns passieren kann.“ Im Netz würden gezielt Fehlinformationen und Judenhass gesät, insbesondere in den sozialen Medien.

© Anna Thewalt
Unter den Anwesenden war auch ein Paar aus Charlottenburg, er Berliner, sie Israelin. „Für mich ist es wichtig, hier Solidarität zu zeigen“, sagte der Berliner, der anonym bleiben möchte. Normalerweise entzündeten sie die erste Chanukka-Kerze zu Hause, aber nach dem Anschlag in Sydney sei es ihnen wichtig gewesen, ein Zeichen zu setzen. Auch wenn sie selbst nicht der Chabad-Gemeinde angehören, die die Solidaritätskundgebung veranstaltet.
„Auch die Entwicklung in Deutschland macht uns Sorgen“, sagte er. Seine Frau ergänzte, man müsse seinen jüdischen Glauben inzwischen verstecken. Kein Tag vergehe, ohne dass Personen aus der Gemeinde beschimpft oder bespuckt würden.
„Unsere Herzen sind zerbrochen“
„Unsere Herzen sind zerbrochen, aber wir blicken nach vorne voller Vertrauen“, sagte ein Vertreter der Chabad-Gemeinde Berlin, kurz bevor die erste Kerze entzündet wurde.
Die erste Chanukka-Kerze wolle man am Sonntag um 17.30 Uhr „als Zeichen von Licht, Zusammenhalt und Solidarität mit den Opfern des Anschlags“ entzünden, hatte die Gemeinde im Voraus mitgeteilt. „Wir bringen Licht dorthin, wo es dunkel ist“, hieß es in der Ankündigung. Die Veranstaltung zum Zünden der Kerze war bereits seit Längerem geplant gewesen.
Am Bondi Beach in Sydney, Australien, ist es am Sonntagnachmittag (Ortszeit) zu einem bewaffneten Angriff auf eine Feier zum jüdischen Lichterfest gekommen. Mindestens zwölf Menschen wurden getötet und mindestens weitere 29 Menschen verletzt. Die Behörden bezeichneten die Tat als „antisemitischen Terroranschlag“.
Nach dem Anschlag in Sydney gebe es keine konkreten Hinweise auf eine Gefährdung für Berlin, teilte die Polizei mit. Gleichwohl wolle man „vor dem Hintergrund des Geschehens in Sydney die Maßnahmen nochmals intensivieren“. Die Chanukka-Feier am Brandenburger Tor werde daher mit einer verstärkten Polizeipräsenz begleitet. Den „umfassenden Schutz“ der Veranstaltung habe die Polizei ebenfalls seit Längerem geplant.
Auch Bundestagspräsidentin will Chanukka-Kerze entzünden
Kurz vor dem achttägigen jüdischen Lichterfest war der große Chanukka-Leuchter am Brandenburger Tor am Freitag wieder eingeweiht worden. Der rund zehn Meter hohe Leuchter wird seit mittlerweile 20 Jahren auf dem Pariser Platz aufgestellt, als Zeichen eines lebendigen jüdischen Lebens hierzulande. Während der Feiertage wird er täglich entzündet.
Am Mittwoch will dort auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) ein Zeichen der Solidarität mit Jüdinnen und Juden setzen. „Überall dort, wo in diesen Tagen Chanukka-Kerzen entzündet werden, sollten wir Solidarität und Gesicht zeigen. Ich werde das am Mittwoch vor dem Brandenburger Tor tun, die Kerze entzünden und das Wort ergreifen“, teilte Klöckner mit. „An Antisemitismus dürfen wir uns nie gewöhnen, ihn nie unter uns dulden – nie dürfen wir schweigen, wenn jüdisches Leben bedroht ist.“
Mit dem achttägigen Lichterfest erinnern Juden an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem im zweiten Jahrhundert vor Christus. Während dieser acht Tage wird jeden Abend eine weitere Kerze am Chanukka-Leuchter angezündet. Begleitet wird das Fest von traditionellen Speisen, die in Öl gebraten sind. Besonders verbreitet sind Latkes (Kartoffelpuffer) sowie Sufganiot, mit Marmelade gefüllte Krapfen. Auch am Brandenburger Tor wurden Sufganiot verteilt. (mit dpa)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: