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Berlin: Jüdisches Museum: Vornehmes Gerangel

Nicht eingeladen zu sein, wo man eigentlich dazu gehört, ist ein schreckliches Gefühl. Marie-Luise Steinschneider, Leihgeberin für das Jüdische Museum, ist derzeit ziemlich geknickt, weil sie nicht zur großen Eröffnungsgala eingeladen wurde.

Nicht eingeladen zu sein, wo man eigentlich dazu gehört, ist ein schreckliches Gefühl. Marie-Luise Steinschneider, Leihgeberin für das Jüdische Museum, ist derzeit ziemlich geknickt, weil sie nicht zur großen Eröffnungsgala eingeladen wurde.

Am 9. September werden Gäste aus aller Welt nach Berlin kommen, um die Eröffnung des Jüdischen Museums zu feiern. Das beginnt mit einem Konzert des Chicagoer Symphonie Orchesters unter der Leitung von Daniel Barenboim in der Philharmonie. Anschließend werden Bundespräsident Rau und Bundeskanzler Schröder mit den handverlesenen Gästen durch die Ausstellung geführt, und zum Schluss gibt es ein Galadinner. 850 sind eingeladen. Mehr passen nicht hinein. Das ist das Problem.

In einem offenen Brief an den Direktor des Museums, Michael Blumenthal, klagt Marie-Louise Steinschneider, dass sie sich wie ein Ehrengast zweiter Klasse fühlt, weil sie eben nicht zur Gala, sondern erst einen Tag später, am Tag der Erinnerung, der den Stiftern und Leihgebern gewidmet ist, die Ausstellung zu sehen bekommt. Sie hat Zeichnungen eines jungen Künstlers zur Verfügung gestellt, der im Alter von 22 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Kennengelernt hat sie ihn in Südfrankreich, wo sie 1944 ihren Vater verlor, erschlagen von der SS.

"Die Kosten, die ein Gala-Dinner für 850 Personen verursacht, hätte man wohl lieber dazu verwandt, den Spendern und Leihgebern aus aller Welt die Reisekosten zu bezahlen", fügt sie hinzu. Auch ärgert sie sich darüber, dass Glamourstars eingeladen sein sollen, die gar nichts damit zu tun haben.

Für Bernhard Purin, Leiter des Jüdischen Museums Franken in Fürth, war die Aussicht "auf Small-Talk mit Claudia Schiffer" und die Notwendigkeit, sich einen Smoking auszuleihen, ein ausreichender Grund, die Gala am Sonntag abzusagen. "Dazu hatte ich keine Lust", sagt er schlicht. "Ich fühle mich unter den Stiftern und Museumskollegen einfach wohler". Deshalb hat er sich auf den Montag umbuchen lassen. Er hätte es klüger gefunden, wenn man für die Beteiligten eine Vorbesichtigung vor allen Feierlichkeiten auf die Agenda gesetzt hätte. Das wäre ohne Restriktionen möglich gewesen.

Gerüchte, nach denen Claudia Schiffer oder André Agassi geladen seien, weist Isa Gräfin von Hardenberg, die die Gala organisiert, allerdings entschieden zurück. "Das stimmt einfach nicht." Wie auch die Sprecherin des Jüdischen Museums, die sich schwer tut, einzelne Namen zu nennen, "weil eigentlich alle 850 Geladenen gleich wichtig sind", hält sich Berlins erfahrenste Gastgeberin eher bedeckt, was die Gästeliste betrifft. Darauf aber legt sie Wert: "Es kommen wirklich nur Leute, die für das Museum auch auf Dauer sehr wichtig sind und einen direkten Bezug dazu haben." Da am gleichen Tag die American Academy ihre neuen Stipendiaten präsentiert und zu diesem Anlass sowohl den Kuratoriumsvorsitzenden Richard Holbrooke als auch ihren Ehrenpräsidenten Henry Kissinger erwartet, darf man davon ausgehen, dass die auch zur Eröffnung kommen. Der ungarische Staatspräsident Ferenc Madl und der Bürgermeister von Shanghai weilen ebenfalls am 9. September in Berlin. Auch der Gründungsdirektor des Lauder Jüdischen Lehrhauses, Joel Levy, kommt aus New York hierher. Aus der Kulturszene werden wohl die vielseitig engagierte Iris Berben, Marcel Reich-Ranicki und Heinz Berggruen teilnehmen. Vielleicht entscheidet sich das Jüdische Museum ja doch noch, die Gästeliste zu veröffentlichen, um Unmut abzubauen.

Isa Gräfin von Hardenberg widmet sich, mit gelegentlichen Konferenzschaltungen zum Museumsleiter, derweil einer Beschäftigung, die auch einem Spitzendiplomaten Sorgenfalten auf die Stirn treiben würde. Wie verteilt man 850 sehr, sehr wichtige Gäste auf sieben Räume an Zehnertische, so, dass sich wenigstens die Geladenen alle rundum wohlfühlen. Die 850 Namen kennt sie auswendig, und ihr Arbeitstisch ähnelt einem gigantischen Puzzle. Aus allen Teilen der Republik hat sie 110 Hostessen zusammengetrommelt. Ein Albtraum war der Senatswechsel. "Den alten hatten wir komplett eingeladen." Es gab eine hohe Zusagenquote. Nach dem Wechsel musste auch der neue Senat eingeladen werden.

In einer Stadt, in der ein Botschaftsempfang zum Nationalfeiertag schon um die 1500 bis 2000 Wichtige und Sich-wichtig-Fühlende mobilisiert, kennen viele keine falsche Scham, um doch noch auf begehrte Listen zu kommen. Schon jetzt umfasst die Warteliste der potentiellen Nachrücker mehrere 100 Namen. Wenn Gustav Mahlers Symphonie Nr. 7 e-moll verklungen ist, werden die Gäste zum Museum gebracht, wo die Ausstellung besichtigt wird. Das Galadinner beginnt zwei Stunden später, wird aber eher schlicht ausfallen: drei Gänge, auf Wunsch auch koscher.

Das Dinner ist Marie-Luise Steinschneider, deren Urgroßvater in Berlin das Studium der Judaistik auch für Nicht-Juden geöffnet hat, ganz einerlei. Sie würde so gern das Konzert hören und sich deswegen nun auch schon an den Bundeskanzler und den Bundespräsidenten gewandt hat. Vielleicht kann ihr doch noch geholfen werden.

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