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Eine Aktivistin der Letzten Generation wird von Polizisten von der Straße getragen.

© REUTERS/Christian Mang

Update

Das Ende des „Wohlfühl-Biotops“ für Klimaaktivisten?: Warum Straßenblockierer in Berlin nun doch im Gewahrsam landen

Lange versuchte es die Berliner Polizei fast vergeblich. Doch nun schickten Richter gleich mehr als zwei Dutzend Klimakleber in Unterbindungsgewahrsam.

Die Berliner Justiz geht jetzt doch härter gegen Straßenblockierer der Gruppe „Letzte Generation“ vor. Am Montag und Dienstag sind nach Blockaden 24 Personen von einem Richter für einen Tag in den Unterbindungsgewahrsam geschickt worden.

Es ist die bislang mit Abstand größte Zahl an Aktivisten, die wegen der Blockaden in Berlin über Nacht im Gewahrsam bleiben mussten, um weitere Klebeaktionen zu verhindern. Am Dienstag und Mittwoch war von den Aktivisten dann kaum etwas zu sehen.

Wie aus der internen Statistik der Polizei hervorgeht, hat die Behörde an den ersten Tagen nach der Wiederaufnahme der Blockaden vor drei Wochen zunächst massiv Anträge auf Gewahrsam gestellt – je 37 am 20. und 21. Juni.

Danach gab es nur noch vereinzelt Anträge und nur wenige Richterbeschlüsse. Seit dem 20. Juni und bis vergangenen Freitag sind nur sieben Personen in den Gewahrsam gekommen. Insgesamt folgten die Richter nur 31 von 152 Anträgen der Polizei – bei insgesamt 750 festgestellten Blockierern.

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Offenbar zieht der Nachweis, dass Wiederholungsgefahr droht, erst jetzt richtig. „Wir stehen mit dem Amtsgericht und der Staatsanwaltschaft in einem vertrauensvollen Austausch, um die Verarbeitungsprozesse und Anträge auf richterliche Ingewahrsamnahme zu optimieren“, sagte ein Polizeisprecher am Mittwoch.

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Die Polizei kann nach dem Berliner Sicherheitsgesetz eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn „das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern“.

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Dann ist seitens der Polizei laut Gesetz „unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen“. Per Richterbeschluss festgehaltene Personen müssen „spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen“ wieder entlassen werden.

Die Klimaaktivisten kritisierten die Entscheidungen der Richter am Dienstagabend scharf. „Haftrichter:innen erkennen Klimakollaps nicht“, hieß es in einer Erklärung der „Letzten Generation“. Die Aktivisten geben sich trotz drohenden Gewahrsams unbeirrt.

Aktivisten sollen vor den Richtern weitere Blockaden angekündigt haben

Laut der Erklärung der Gruppe sollen sich mehrere Aktivisten vor den Richtern auf diese Weise geäußert und erneute Blockaden angekündigt haben: „Wenn Sie mich freilassen, werde ich mich direkt auf die nächste Autobahnabfahrt kleben und mich damit dem todbringenden System in den Weg stellen.“

Ein Blockierer wurde mit den Worten zitiert: „Im Versuch, den geregelten Ablauf des aktuellen fossilen Alltags störungsfrei aufrechtzuerhalten, erkennt die Judikative nicht, dass unser aller Sicherheit und Ordnung durch das kriminelle Handeln der Regierung massiv gefährdet ist.“

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Inzwischen dauern die morgendlichen Blockaden wichtiger Straßen und Autobahnanschlüsse die vierte Woche am. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 73 Personen, die sich im Januar und Februar in Berlin auf den Straßen festgeklebt haben. Bei der Polizei liegen noch mehr als 800 weitere Verfahren.

Meist geht es um Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, seltener um den Vorwurf des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Derzeit muss die Ermittlungsgruppe „Asphalt“ auf Verlangen der Staatsanwaltschaft noch die Verfahren vom Jahresbeginn wegen Ermittlungslücken nacharbeiten.

[Mehr zum Thema auf Tagesspiegel Plus: Sind Gruppen wie Letzte Generation zu radikal? "Protest muss nicht immer rechtmäßig sein"]

Opposition und Polizeigewerkschaften hatten der Justiz vorgeworfen, gegenüber den Klimaklebern besonders nachsichtig zu sein, während die Beamten täglich mit Speiseöl die festgeklebten Hände der Aktivisten von den Straßen lösen müssen.

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Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sagte kürzlich: „Es ist kein Zufall, dass dieser Protest jeden Tag auf Neue in der Hauptstadt stattfindet. Berlin gilt über die Landesgrenzen hinaus als Wohlfühl-Biotop, in dem sich Menschen auf die Straßen setzen und auch kleben können, ohne dass es juristische Folgen hat.“

Generalstaatsanwältin Margarete Koppers hatte die Kritik zurückgewiesen. „Über die Ermittlungen entscheidet die Staatsanwaltschaft, und zwar nach Recht und Gesetz und nicht nach politischen Wunschvorstellungen“, sagte Koppers. „Wenn man die jüngsten Erklärungen der Polizeigewerkschaften liest, fällt einem der Kitt aus der Brille.“

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Das führte zu einigem Unmut in der Polizei, deren Vizepräsidentin sie bis 2018 war, bevor sie von den Grünen zur Chefermittlerin protegiert wurde. GdP-Sprecher Jendro sagte am Mittwoch: „Wir haben zu keiner Zeit über ausbleibende Anklagen gesprochen, sondern die Frage gestellt, warum man die Leute nicht mal in Gewahrsam nimmt.“ Es sei der Eindruck entstanden, „dass man hier über Straftaten hinwegsieht, weil es politisch opportun“ sei. „Wir freuen uns, dass man den Anpassungsbedarf hier erkannt hat“, sagte der GdP-Sprecher.

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Wie angespannt die Debatte inzwischen ist, hatte der Rechtsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus,  Sebastian Schlüsselburg, offenbart. Er hatte dem Tagesspiegel gesagt: Forderungen der Opposition nach „De-facto-Standgerichten treten die Arbeit der Staatsanwaltschaft und der Gerichte mit Füßen“.

Es ist ein mehr als unglücklicher Nazi-Vergleich - ausgerechnet von einem Linkspolitiker. Denn die Nationalsozialisten hatten im Dritten Reich gesetzlich sogenannte Standgerichte eingeführt - zunächst für das Militär, später richteten sie sich auch ohne rechtsstaatliches Verfahren gegen Zivilisten. Historiker gehen von mehreren Tausend zivilen Opfern der Standgerichte aus. In der Bundesrepublik verbietet das Grundgesetz Standgerichte.

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