Berlin: Karriere im Schatten des Reichstags
Seit 1999 ist Berlin wieder Sitz von Parlament und Regierung. Im Dunstkreis der Politik sind über 50000 Arbeitsplätze entstanden
DIE SPRECHERIN
Kathrin Klinkusch gehört zur Vorhut eines Nachzüglers. Noch hat der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) seinen Hauptsitz in Bonn. Ab 2007 residiert dann auch der traditionsreiche Umweltschutzverband in Berlin. Die Pressestelle, in der Kathrin Klinkusch seit März arbeitet, ist schon mal vorgezogen. „Es ist entscheidend, möglichst nah an der Politik zu sein“, sagt sie.
Der Satz gilt ebenso für Mittelstandsvereinigungen, Sozialnetzwerke oder Unternehmensverbände: Berlin, seit 1999 wieder deutscher Regierungssitz, lockt noch immer Interessenvertreter an. Im Umfeld der Politik sind viele Jobs entstanden, die man auch ohne Parteibuch ergreifen kann. Rund 400 Verbände sind bei der Bundesregierung akkreditiert. Eine Studie zählte 52000 neue Stellen in Berlin durch den Regierungsumzug.
Dazu gehört auch die von Pressesprecherin Kathrin Klinkusch. Die 34-jährige gelernte Journalistin arbeitete zuletzt bei der Deutschen Presse-Agentur. Sie bewarb sich auf eine Zeitungsannonce. „Es hat sicher geholfen, dass ich auch schon als Journalistin über Umwelt-Themen geschrieben habe“, sagt sie. Aber auch der Naturschutzbund vergibt Stellen nicht an Bewerber, die besonders viele Frösche über die Straße getragen haben. Im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit von Politikern und Öffentlichkeit können nur Profis bestehen. 30000 bis 50000 professionelle Öffentlichkeitsarbeiter gibt es in Deutschland, schätzt die Public Relations Gesellschaft. Das Einstiegsgehalt liegt im Durchschnitt bei 2150 Euro.
Kathrin Klinkusch muss sich täglich in ganz unterschiedliche Themen einarbeiten, von Gentechnik bis Feinstaub. „Die Kunst liegt darin, die Sprache der Fachexperten allgemein verständlich zu übersetzen“, sagt sie. Zurzeit bereitet sie die „Stunde der Gartenvögel“ vor: Vom 20. bis 22. Mai sind Naturfreunde aufgerufen, die Vögel in ihrem Garten zu beobachten und dem Nabu zu melden. avi
DER PERSONENSCHÜTZER
In den Fernsehnachrichten sind sie leicht zu erkennen: Die Männer in grauen Anzügen, Knopf im Ohr. Sie stehen nah an den Politikern und sehen angestrengt in alle Richtungen. Sie sind die Bodyguards der Oberen in der Republik.
Personenschützer heißen sie beim Bundeskriminalamt (BKA), und sie machen viel mehr als ein Bodyguard. „Der direkte Personenschutz ist nur der kleinste Teil eines mehrstufigen Schutzkonzepts“, erläutert Jochen Rudolph, Gruppenleiter der Sicherungsgruppe beim BKA. Hinter den Personenschützern stehen noch viele Kriminalbeamte der Sicherungsgruppe, die im Hintergrund arbeiten.
Anspruch auf Schutz haben theoretisch alle Mitglieder der Verfassungsorgane. Doch nur ein kleiner Teil muss dauerhaft bewacht werden: der Bundespräsident, der Kanzler, einige Minister. „Dazu kommen zum Teil auch Familienangehörige“, sagt Rudolph. Aber auch für weniger hochrangige Politiker, die in der Öffentlichkeit zu besonders umstrittenen Themen Stellung bezogen haben, kann Personenschutz notwendig werden.
550 Mitarbeiter sind beim BKA mit Personenschutz beschäftigt. Auf die dreijährige Ausbildung des BKA zum Kriminalkommissar oder beim Bundesgrenzschutz im mittleren Dienst folgt ein Personenschutzlehrgang: grundlegende einsatztaktische Fragen, Fahrsicherheitstraining, Schießtraining, Erste Hilfe, Rechtsgrundlagen und vieles mehr. Für etwa zwei Jahre übernehmen Berufseinsteiger dann Aufgaben im Hintergrund. Erst nach weiteren Fortbildungsmaßnahmen werden sie im direkten Personenschutz eingesetzt. Frauen haben gute Chancen. Ihr Anteil bei den Personenschützern liegt derzeit bei 18 Prozent. Für weibliche Schutzpersonen werden sie aber unbedingt gebraucht. „Außerdem haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht: Das Auftreten von Frauen wirkt in bestimmten Situationen deeskalierend“, sagt Rudolph. Bezahlt werden die Personenschützer beim BKA nach der Bundesbesoldungsordnung. Berufsanfänger steigen mit der Besoldungsstufe A 9 ein, die bei rund 1800 Euro pro Monat liegt. Es gibt zwar keine Gefährdungszulag, aber meist einen Ausgleich für die Mehrarbeit, die häufig ansteht. Auch weil die Arbeitszeiten der Schutzpersonen immer länger werden. „Das hat sich seit dem Umzug nach Berlin sehr gewandelt“, hat Rudolph beobachtet. „Es kommen immer mehr kurzfristige Termine dazu.“ oel
DER LOBBYIST
In zwei Minuten ist Thomas Haberkamm bei der Vertretung der Europäischen Union, in vier Minuten im Bundestag. Thomas Haberkamm, 40, der die Interessen des Pharma- und Chemiekonzerns Altana in Berlin und Brüssel vertritt, lebt von der Nähe zur Politik. „Wir müssen frühzeitig unsere Interessen einbringen, um Planungssicherheit zu gewinnen“, sagt er. Von seinem Büro am Brandenburger Tor kann er fast das Rascheln hören, wenn Gesetzentwürfe vorbereitet werden, dann kann er rüberspringen in die Ministerien, um den Fachbeamten zu erklären, welche Folgen ihr Gesetz für das Bad Homburger Unternehmen haben könnte. Eigentlich ein klassischer Lobbyist – auch wenn er den Begriff nicht gerne benutzt. „Das hat immer noch einen negativen Beiklang“, findet er.
In die Politik hat ihn der Zufall geführt. Haberkamm hat in Bonn und Lausanne Jura studiert und fing schon als 21-Jähriger an, nebenbei für Bundestagsabgeordnete zu arbeiten. „Ich habe schnell gemerkt, dass es mehr Spaß macht, die pure Juristerei mit Wirtschaft und Politik zu verbinden.“ Nach dem Examen arbeitete Haberkamm als Anwalt, wurde dann von dem Pharmaunternehmen Aventis angeworben und wechselte vor zweieinhalb Jahren zu Altana, um die Hauptstadtrepräsentanz aufzubauen.
Er muss seinen Vorstandschef auf den neuesten Stand bei der EU-Chemikaliengesetzgebung oder der Festbetragsdiskussion bei Arzneimitteln bringen. Außerdem ist er der kommunikative Strippenzieher des Konzerns: Haberkamm koordiniert die verschiedenen Positionen innerhalb des Unternehmens und muss sie zu einer einzigen verschmelzen. Wenn er wollte, könnte Haberkamm jeden Abend bei Rotwein und Häppchen weitere Kontaktpflege im politischen Berlin betreiben. „Ein toller Job für Singles“, sagt der Familienvater, „aber da muss man wirklich nicht überall auftauchen.“ pet
DIE ÜBERSETZERIN
Angela Göritz war nicht lange beim Auswärtigen Amt angestellt, da kam der Falklandkrieg von 1982. Die junge Frau musste, oft mit mächtiger Angst im Bauch, wichtige Texte zum britisch-argentinischen Krieg um die Inselgruppe übersetzen – aus dem Englischen und Spanischen. Mittlerweile arbeitet Angela Göritz seit fast 25 Jahren im Sprachendienst des Ministeriums. „Das Auswärtige Amt stellt Übersetzer ein, die sehr gute Sprachkenntnisse und ein gutes Allgemeinwissen haben. Man muss nicht unbedingt Sprachen studiert haben,“ sagt sie, „aber man braucht in jedem Falle einen Hochschulabschluss.“ Das Einstiegsgehalt liegt bei 3000 Euro und kann auf bis zu 5500 Euro steigen. Das Amt schreibt regelmäßig Stellen aus, auf die man sich bewerben kann, Initiativbewerbungen haben kaum Chancen.
In der Übersetzerabteilung sitzen 35 Personen, die 15 Sprachen abdecken. „Wir übersetzen zum Beispiel Korrespondenz zwischen Regierungschefs,“ sagt Angela Göritz. Englisch ist immer noch die geläufigste Sprache, auch wenn viele Politiker sich heute auf ihre eigenen Kenntnisse verlassen. „Wir arbeiten viel an Reden für das Auswärtige Amt, den Bundeskanzler und das Bundespräsidialamt“, sagt die 49-jährige. Zuletzt hat sie an der englischen Fassung der Rede Horst Köhlers zum 8. Mai gefeilt. „Der Bundespräsident hat sehr gewählte Worte benutzt, zum Beispiel ’Begabung zur Freiheit’. Wir haben uns mit dem Redenschreiber abgestimmt, und es als ’talent for freedom’ übersetzt.“ Eine regelmäßige Dienstreise führt Angela Göritz zum Weltwirtschaftsgipfel. „Da ist man mitten im politischen Geschehen und bekommt mit, wie um jedes Wort gefeilscht wird.“ Das findet sie auch nach 25 Jahren noch aufregend. cof
DER POLITIKBERATER
Was Politiker in ganz Europa gemeinsam haben? „Sie müssen lernen, sich in ihren Statements kurz zu fassen und die Kernbotschaften schnell und verständlich zu formulieren“, sagt Dominik Meier. Er ist seit über zehn Jahren auf dem politischen Parkett in Brüssel und Berlin als unabhängiger Berater tätig. Gemeinsam mit seiner ehemaligen Studienkollegin Constanze Miller leitet er die Berliner Politikberatung Miller und Meier. Einen klassischen beruflichen Werdegang gibt es für seinen Beruf nicht. Durch Praktika bei Bundestags- und Europaabgeordneten wurde Meier während seines Studiums auf sein heutiges Tätigkeitsfeld aufmerksam und gründete 1997 ein Beratungsbüro in Bonn. Mit dem Umzug der Regierung kam der 35-jährige nach Berlin.
„Weil unsere Kunden nicht die Zeit haben, hunderte Seiten Text zu lesen, gehört es zu unseren Aufgaben, die Kernaussagen wichtiger Studien auf wenige Thesen zu reduzieren“, sagt Meier. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Beratung von Politikern im Umgang mit den Medien. „Vor allem die Schnelllebigkeit der Medienbranche verursacht vielen Offiziellen Probleme“, sagt Meier. Während sich viele deutsche Politiker „beratungsresistent“ zeigen, hat sich der Berufsstand im angelsächsischen Raum bereits fest etabliert. Das will Meier als Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung auch hierzulande erreichen. Die rund 100 im Verein organisierten Berater folgen einem strengen Verhaltenskodex: Alle sind parteiübergreifend tätig und tragen kein politisches Mandat.mds
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