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Keiner grüßt mich: Warum bleiben die Vereinskameraden stumm?
Unsere Autorin erklärt, wie man mit komplizierten Situationen so umgeht, dass es keine Verstimmungen gibt. Diesmal: Auch im Wartezimmer gibt es keine Reaktion.

Stand:
Marc, unbeachtet, fragt: Während höfliche Menschen, sobald sie ein ärztliches Wartezimmer betreten, traditionell kurz „Guten Tag“ wünschen, verkneifen sich jüngere Menschen dies neuerdings scheinbar absichtlich. Nach längerer Zeit betrat ich das erste Mal wieder einen gemischten Sportclub. Die Umkleidekabine betretend, grüßte ich mit einem kurzen „N‘ Abend“. Die Situation endete einige Male mit eisigem Schweigen und großer Verwirrung auf meiner Seite.
Vor einigen Jahren war es in diesem Sportclub noch üblich, sich einen schönen Abend zu wünschen. Ist der fremde Instagrammer in Neuseeland neuerdings wichtiger als der Mitmensch mit ähnlichen Freizeitaktivitäten? Muss ich das einfach herunterschlucken?
Elisabeth Binder antwortet: Gefühlt intime Räume kennen andere Regeln
Die Frage ist, wie Sie den Gegengruß einklagen wollen. Klar, Sie könnten so lange im sonoren Crescendo den Gruß wiederholen, bis von irgendwoher ein Stimmchen ertönt: „Ihnen auch einen guten Abend“. Damit hätten Sie dann ein Oberlehrer-Image abgeheftet bei den mit Mit-Sportelnden.
Das möchten Sie nach der langen Pause im Verein bestimmt vermeiden. Ja, manche Sitten ändern sich. Andere werden auch einfach vernachlässigt. Grundsätzlich ist es selbstverständlich nach wie vor höflich, einen Gruß zu entbieten, sobald man einen neuen Raum betritt.
Dass man nicht immer auf einen Gegengruß hoffen darf, liegt wohl auch daran, dass manche Räume, selbst wenn sie eigentlich öffentlich sind, von einigen Zeitgenossen, als intime Umgebung empfunden werden.
Ältere Leute können sehr stieselig sein
Im Wartezimmer eines Arztes werden nicht nur Patienten sitzen, die zur Routine-Vorsorge gekommen sind, sondern auch solche, die sich ernsthaft Sorgen um ihre Gesundheit machen müssen und deshalb vielleicht in Gedanken verloren dasitzen. Womöglich fühlen sie sich durch Ihren Gruß nicht mal angesprochen.
Ich halte es für einen Irrtum, hier einen Generationenkonflikt zu sehen. Ältere Leute können sehr stieselig sein, jüngere sehr kontaktfreudig. Das hat mehr mit der Persönlichkeit zu tun als mit dem Alter.
Auch in einer Umkleidekabine fühlen sich manche Hobbysportler vielleicht eher ertappt, wenn jemand reinkommt und mit dem Gruß deutlich macht, dass er sie wahrnimmt, in ihrer Nacktheit, ihrem Schweiß, ihrem halb angezogenen Zustand. Wenn da nicht geantwortet wird, muss es sich nicht um Unhöflichkeit handeln.
Eine verschämte Reaktion kann genauso gut die Ursache dafür sein. Dass man sich vor mehr als einem Jahrzehnt noch ordentlich gegrüßt hat in dieser Situation, und heute nicht mehr, muss nicht an einem Verfall der Sitten liegen. Junge Menschen werden sensibler. Das ist zum einen bei der Sprache zu beobachten, zum anderen aber auch in alltäglichen Umgangsformen.
Sie könnten einen Aushang machen in Ihrem Sportclub zum Thema „Höflichkeit des Grüßens“. Erfolgversprechender fände ich es aber, wenn Sie sich einige Verbündete suchen würden. Mit denen verabreden sie, dass jeder von Ihnen, der die Umkleide betritt, die anderen laut und deutlich grüßt.
Vielleicht kommt dadurch eine Normalität zustande, die auch den anderen die Scheu nimmt und sie bei der nun wieder neuen Routine zum Mitmachen inspiriert. Das bringt Ihnen noch keinen freundlichen Gruß der Mitpatienten beim Arzt ein. Aber ein erster Schritt wäre getan, zumindest das Vereinsleben wieder nach traditioneller Art zivilisierter zu gestalten.
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