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© Thilo Rückeis

Tagesspiegel-Interview: Klaus Wowereit: „Es ist pervers, dass Autos abgefackelt werden“

Klaus Wowereit spricht im Tagesspiegel-Interview über linksextreme Gewalt, rot-rote Profilierungssüchte, das Schloss und seine Zukunft als Regierender Bürgermeister.

Herr Wowereit, Ihre Beliebtheitswerte waren früher besser. Macht Sie das nervös?



Mit Zustimmungswerten deutlich über 50 Prozent kann ich sehr gut leben.

Können Sie auch gut mit der schwindenden rot-roten Mehrheit leben?

Wenn Sie die aktuellen Werte der SPD meinen: Die sind in der Tat nicht gut. Die SPD muss aus diesem Tal wieder herauskommen und in Berlin stärkste Partei werden. Bei zuletzt zwei Prozentpunkten Unterschied zur CDU dürfte das aber auch nicht allzu schwer sein.

Haben Sie dafür ein Rezept?

Die SPD braucht auf Landes- und Bundesebene ein schärferes Profil. Und in Berlin setzen wir ja Reformprojekte um, die Früchte tragen werden.

Trotzdem müssen Sie sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, sich zu wenig um die Stadt zu kümmern.

Diese Aussage wird nicht richtiger, wenn sie von interessierter Seite dauernd wiederholt wird. Ich bin jetzt zusätzlich auch stellvertretender SPD-Parteivorsitzender geworden, das stimmt. Aber es ist ja ein Vorteil, dass ich dadurch für Berlin wichtige Themen bundespolitisch wirksamer einbringen kann. Also: Keine Angst, Berlin steht ganz im Zentrum.

Das neue Parteiamt hat Ihnen noch nicht geholfen.

Wie meinen Sie das? Wenn Sie wieder auf die Umfragedaten der SPD anspielen – ich sage ja: Sie hat ein Problem. Wir müssen Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und unser Profil als Partei der sozialen Gerechtigkeit schärfen, auch in Berlin. Aber Politik in Berlin ist nie einfach gewesen, obwohl die Stadt viel besser dasteht als früher.

In der Berliner SPD nimmt der Profilierungsdruck gegenüber der Linkspartei zu. Wirkt sich das auf das Koalitionsklima aus?

Es kann doch niemanden wundern, dass in der SPD intensiv über den weiteren politischen Weg diskutiert wird. Andererseits neigen Parteien, die sich im Aufwind fühlen – so wie jetzt manchmal die Linke – zu Posen der Macht. Auch das ist normal. Ich erinnere mich noch gut an die große Koalition. Im Vergleich zu dem, was da täglich los war, gibt es in unserer heutigen rot-roten Koalition wahrlich ein Klima des Vertrauens.

Diskreditiert das, was wir in Brandenburg erleben, rot-rote Bündnisse in anderen Ländern oder im Bund?

Jedes Land ist für sich selbst verantwortlich. Wir haben mit Brandenburg gut zusammengearbeitet, als es dort noch eine SPD-CDU-Koalition gab. Und ich gehe davon aus, dass wir auch mit der neuen Regierung gut kooperieren werden. Für die Region ist das enorm wichtig. In Brandenburg ist es nur so, dass dort über 20 Jahre eine aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht so intensiv betrieben wurde wie in Berlin nach dem Mauerfall. In Berlin kamen Ost und West zusammen, das waren andere Voraussetzungen. Unsere Abgeordneten wurden frühzeitig und mehrmals überprüft. Aber Brandenburg muss seine Probleme jetzt selber lösen.

Die Frage war: Diskreditiert das andere rot-rote Bündnisse?

Ich denke, dass in Zukunft schon vor der Regierungsbildung sorgfältiger geprüft werden wird: Welche Kandidaten für Parlament und Regierung haben welche Vergangenheit?

Was können SPD und Linke bis zur Wahl 2011 noch gemeinsam umsetzen?

Wir werden die Schulstrukturreform umsetzen, den Wissenschaftsstandort Berlin ausbauen, den Klima- und Umweltschutz voranbringen. Und wir wollen neue Denkweisen bei der Integration von Migrantinnen und Migranten in die Debatte bringen: Wie kann man den Aufstiegswillen in den Familien stärken? Wie den intensiven Wunsch, dass es der nächsten Generation besser gehen soll? Das gilt übrigens sowohl für Migranten als auch für manche einkommensschwache deutsche Familie. Hier voranzukommen ist für mich ein ganz zentrales Anliegen, diese Diskussion sollte von Berlin aus ins Bundesgebiet getragen werden. Denn ohne Aufstiegswillen, ohne die aktive Unterstützung der Familien wird es ganz schwer zu erreichen sein, dass deren Kinder eine Chance bekommen. Bessere Bildung und Ausbildung sind zentral. Es ist eigentlich ein simples Prinzip, das früher gut funktioniert hat und bei einem Teil der Migrantinnen und Migranten ja auch verankert ist.

Bei denen, die seit Jahren von Transferleistungen leben, funktioniert es nicht.

Das stimmt jedenfalls zu häufig. Sie kommen alle irgendwie über die Runden, aber es gibt zu oft niemanden, der eine Vorbildfunktion einnimmt, der regelmäßig zur Arbeit geht und mit dem selbst verdienten Geld seine Familie ernähren kann.

Helfen Sanktionen, um den Leistungswillen zu befördern?

Diese Debatte führt in die Irre. Wenn ich Sozialleistungen kürze, nehme ich ja nicht nur den männlichen Erwachsenen was weg, sondern auch den Kindern. Mit Zwangsmaßnahmen werden wir nicht erreichen, dass jeder arbeitsfähig und -willig wird – vorausgesetzt immer, es gibt auch Jobs. Aber für die nächste Generation sollte dies das Ziel sein.

Wir erleben zurzeit eine sinnlose Gewalt auf den Straßen, die mit polizeilichen Mitteln schwer zu stoppen ist. Was muss passieren, um Gewalt zu ächten?

Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens gegen Gewalt. Dieser Grundkonsens darf von niemandem infrage gestellt werden. Die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung verhält sich auch dementsprechend. Wo trotzdem Gewalt gegen Menschen oder Sachen ausgeübt wird, darf sich die Mehrheit das nicht gefallen lassen. Nicht nur den Gewalttätern, sondern auch denjenigen, die danebenstehen und möglicherweise Beifall klatschen, muss eine ganz klare Absage erteilt werden. Man kann sich jederzeit hart politisch auseinandersetzen, aber es hat zum Beispiel niemand das Recht zu bestimmen, wer in welchem Stadtteil wohnen darf und wer nicht.

Sie wollen damit sagen, Politiker von Grünen, SPD und Linken müssen sich von allen Formen der Gewalt, die sich etwa in Friedrichshain-Kreuzberg breitmacht, noch stärker distanzieren?

Ja. Ich appelliere aber nicht nur an Politiker, sondern auch an die Medien, gewalttätigen Demonstranten nicht noch ein Forum zu bieten. So wie vor Monaten, als Gewalttäter ihre Aktionen vor laufender Kamera üben konnten und dies tatsächlich ausgestrahlt wurde.

Kann die Gewalt dazu führen, dass der Senat auf umstrittene Projekte – wie Mediaspree oder die Autobahn A 100 – verzichtet?

Auf keinen Fall, das darf miteinander nichts zu tun haben. Große Infrastrukturmaßnahmen, Flughäfen, Straßen, neue Stadtquartiere werden natürlich überall, nicht nur in Berlin, kontrovers diskutiert. Das polarisiert immer. Solche Diskussionen sind normal, die Politik muss sie auch aushalten und dann muss am Ende entschieden werden. Wenn aber – wie bei Mediaspree – eine Brache, die nach einer Entwicklung geradezu schreit, mit der auch Arbeitsplätze verbunden sind, als Biotop erhalten bleiben soll und das einige Leute schick finden, die sich dort ganz gut eingerichtet haben, ist das nicht akzeptabel. Davon muss man sich distanzieren. Auf Landesebene und im zuständigen Bezirk. Die Stadt muss sich entwickeln, und zwar überall. Und wir brauchen in allen Quartieren eine soziale Mischung. Es ist doch pervers, dass Autos abgefackelt und sogar Quartiersmanager angegriffen werden, weil einige Individuen es schön finden, wenn Stadtteile besonders morbide sind.

Sollte sich Berlin, wie von den Linken forciert, um die Rekommunalisierung ehemals öffentlicher Betriebe, wie Stromerzeuger oder der Wasserbetriebe, bemühen?

Das Land Berlin ist jedenfalls nicht so reich, dass wir auf Einkaufstour gehen könnten. Außerdem müsste ein Eigentümer ja bereit sein, zu verkaufen. Aber es gibt Bereiche, wo man einen Eigentümerwechsel nutzen sollte, um die vertragliche Situation zu verbessern. Wir haben uns Gott sei Dank in vielen Verträgen bei einem Eigentümerwechsel Mitwirkungsrechte einräumen lassen. Es muss in jedem einzelnen Fall auch geprüft werden, ob es sinnvoll wäre, Anteile zurückzukaufen. Eine Grundvoraussetzung ist, dass ein Unternehmen für die öffentliche Daseinsvorsorge notwendig und es wirtschaftlich ist, wenn wir zurückkaufen. Dazu müssten aber die Erträge hoch genug sein, um die Schulden aus dem Kauf damit abzutragen.

Wird es vor der Wahl 2011 noch eine Umbildung des Senats geben?

Ich plane keine Kabinettsumbildung. Ich erwarte, dass die Senatoren ihre Aufgaben bis 2011 erfüllen.

Schwarz-Gelb regiert im Bund – wird es für das rot-rote Berlin schwieriger?


Nein. Das Verhältnis zur Bundesregierung war noch nie einfach, weil es immer unterschiedliche Interessen gibt, wenn es ums Geld geht. Frau Merkel ist Berlinerin, auch Herr Westerwelle fühlt sich in Berlin ganz wohl. Ich gehe davon aus, dass beide ein Interesse haben, dass die deutsche Hauptstadt sich weltweit gut darstellen kann. Berlin nimmt Aufgaben für alle Deutschen wahr. So wie am 9. November die Berliner Veranstaltung am Brandenburger Tor stellvertretend war für die gesamte Republik, so repräsentiert Berlin aus Sicht des Auslands auch sonst die ganze Republik. Die Entwicklung der Hauptstadt ist deswegen nicht nur eine landespolitische Frage. Es geht dabei auch nicht immer nur ums Geld. Aber Themen wie die Ansiedlung neuer Institutionen in Berlin oder den vollständigen Umzug der Bundesministerien nach Berlin muss die Bundesregierung auf ihrer Ebene klären.

Gehört zur Ehrlichkeit der Beziehungen, dass man beim Thema Schloss sagt, das Humboldt-Forum gibt es nur mit Kuppel?

Ich denke, dass es falsch wäre, das Schloss ohne Kuppel zu bauen. Auf die Kostenentwicklung muss man natürlich achten. Sie wird man näher beurteilen können, wenn sich der Schlossbau konkretisiert. Aber alles, was erst nachträglich gemacht wird, kostet erfahrungsgemäß viel mehr Geld.

Nervt es Sie, dass beharrlich spekuliert wird, dass Sie 2013 SPD-Kanzlerkandidat werden?

Das ist eine Spekulation, für die ich keinen Nährboden gegeben habe. Das werde ich auch nicht tun. Unsere Berliner Legislaturperiode läuft bis 2011. Danach werden wir sehen, wie es weitergeht. Ich bin nicht auf Jobsuche, das habe ich schon häufig gesagt.

Sie treten im Jahr 2011 also noch mal in Berlin an?

Auch da wird Sie die Antwort nicht überraschen: Es ist die Entscheidung meiner Partei, mit wem sie ins Rennen gehen will.

Das Gespräch führten Sabine Beikler, Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach.

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