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Sound an. Julio Lugon lässt gelben Stoff mit Ventilatoren aufblasen und zusammenfallen. Der Klang wird übertragen.

© Thomas Wochnik, Roman Maerz

Klingt doch gut: Zwei Ausstellungen eröffnen einen Blick in die Berliner Klangkunstwelt

In der Parochialkirche lebt der Sound des Künstlers Rolf Julius wieder auf, im Kunstraum Meinblau wabert gelber Stoff geräuschvoll durch den Raum.

Die Klangkunst gilt vielen noch heute als neumodischer Exot in der Kunstwelt. Wer die Berliner Klangkunstwelt aber schon länger verfolgt, hat ab Samstag Anlass zu allerlei nostalgischen Anwandlungen. Denn in der Parochialkirche in der Klosterstraße tönt die Klanginstallation „Musik, weiter entfernt“ des 2011 verstorbenen Berliner Künstlers Rolf Julius.

Und zwar ziemlich genau so, wie sie bereits 1998 am selben Ort tönte. Veranstalter, damals wie heute, ist die Singuhr, die wohl dienstälteste, der künstlerischen Arbeit mit Raumklang gewidmete Institution der Stadt. Mit der Julius-Reinstallation feiert sie ihren 25. Geburtstag.

Betritt man die Kirche, noch mit der lauten Stadt im Ohr, kann es eine Weile dauern, bis man das feine Klanggebilde überhaupt wahrzunehmen beginnt. Bald gewöhnt sich das Gehör aber an die leisen Schallpegel im Kirchengewölbe und wird mit einer für den Künstler typisch subtilen Komposition belohnt, die sich erst mit der Zeit und durch das Umherwandern im Raum entfaltet.

Während die unverputzte, weitgehend symmetrische Architektur dem Auge formale Einfachheit suggeriert, betont das räumliche Spiel der Klänge die feinen Details des Raums: Der Schall wird von den Wölbungen der Wände, von Kanten und Fenstern gebeugt, sodass Bereiche unterschiedlicher Intensitäten und Mischverhältnisse entstehen. Und all das nicht etwa mit einem aufwendigen High-Tech-Soundsystem, sondern mit einfachen Mitteln: Vier alte Autolautsprecher, vier Hifi-Lautsprecher, wie sie in den Neunzigern üblich waren, und zwei unverkleidete Bass-Treiber sind in großem Abstand zum Publikum an der Raumdecke und im hölzernen Dachstuhl angebracht.

Tochter von Rolf Julius pflegt den Nachlass

Zu hören sind dieselben Klänge wie 1998, konserviert auf sechs Original-CDs im Nachlass des Künstlers. „Diese Hifi-Lautsprecher werden schon lange nicht mehr hergestellt“, erzählt Markus Steffens, der die Singuhr mit Carsten Seiffarth zusammen betreibt, „sie befanden sich noch in Rolfs Materiallager, genauso wie die Autolautsprecher, sodass wir mit den Originalen arbeiten konnten.“

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Steffens steht Maija Julius, der Tochter des Künstlers, bei der Pflege des Nachlasses zur Seite. „Seit zehn Jahren kümmere ich mich um das Weiterleben von Rolfs Arbeit“, erzählt sie. „Und als er krank und uns beiden klar wurde, dass seine Lebenszeit endlich war, begannen wir, die Weiterführung seiner Arbeit zu thematisieren. Ich interviewte ihn, machte Tonaufzeichnungen davon, wie er mir erklärte, was für ihn funktionierte und was nicht.“

Selbst wenn man alles Originalmaterial zur Verfügung habe, helfe das nicht, wenn man seine Arbeitsweise nicht aus erster Hand kenne – Versuche, seine Arbeiten von anderen Ausstellern nachbauen zu lassen, seien enttäuschend gewesen. Rolf Julius, Jahrgang 1939, gilt als Pionier der Klangkunst. Anfangs nutzte er zeitgenössische Musik, später eigene, meist minimalistische Geräuschkompositionen, als Erweiterungen seiner visuellen Objekte.

Organisiert haben die neue Schau in der Parochialkirche: Carsten Seiffarth, Markus Steffens, Maija Julius, Eckehard Güther (v.l.n.r)
Organisiert haben die neue Schau in der Parochialkirche: Carsten Seiffarth, Markus Steffens, Maija Julius, Eckehard Güther (v.l.n.r)

© Thomas Wochnik, Roman Maerz

Die Parochialkirche diente zu DDR-Zeiten als Möbellager. Nach dem Mauerfall entdeckten Kunstschaffende die leerstehenden Räume und die Initiative Kunst in Parochial entstand, der ab 1994 auch Singuhr-Gründer Carsten Seiffarth als Schatzmeister angehörte. Die ersten Aktivitäten waren ein buntes Gemisch aus Ausstellungen, Aktionen, Theateraufführungen und Konzerten.

Die Erfahrung der zurückliegenden Jahre habe gezeigt, dass sich der Raum weniger für Theater und Musik eignete als für Kunst, die gezielt mit seinen akustischen Besonderheiten arbeitete, sagt Seiffarth. Gleichzeitig habe ein Raum für Klangkunst in der Stadt gefehlt, obwohl sich genügend Künstler:innen der Sparte zugewandt hatten, zu denen auch schon Kontakte bestanden. So entstand die Idee für eine Hörgalerie, die Seiffarth zusammen mit Susanne Binas 1996 im Grunde mittellos gründete. Namensgebend war übrigens das Carillon im Glockenturm der Kirche, das im Volksmund eben Singuhr hieß.

Dennoch sei die Anfangszeit finanziell besonders schwierig gewesen, erzählt Seiffarth, „ein reines Verlustgeschäft“. Klangkunst war in den Fördertöpfen schlicht nicht vorgesehen – und ist es bis heute nicht. Stattdessen läuft sie in der Musikförderung mit. Das habe zwar auch gute Seiten, erzählt Seiffarth, entspreche dieser Kunstform aber nur bedingt, die ausdrücklich räumlich und skulptural mit Klängen arbeite.

Der hängende Lautsprecher war schon 1998 in der Installation von Rolf Julius zu sehen.
Der hängende Lautsprecher war schon 1998 in der Installation von Rolf Julius zu sehen.

© Thomas Wochnik, Roman Maerz

Nach zehn Jahren in Parochial war die Singuhr 2007 in die Wasserspeicher Prenzlauer Berg gezogen, wo sie 2014 den Betrieb aus finanziellen Gründen einstellte und den Begriff Hörgalerie aus dem Namen strich – das Ende ist von der gesamten Szene betrauert worden. Seitdem nennt sie sich „Singuhr Projekte“, unterhält ein Büro, aber keine eigenen Ausstellungsräume mehr.

Ein Organismusm, dem Schleimpilz Physarum polycephalum nachempfunden

Neben der Julius-Show in der Parochialkirche gibt es aktuell eine parallele Ausstellung im Meinblau: Der aus Peru stammende Künstler Julio Lugon kontrastiert die Subtilität Julius’ mit seinen „Elephant Meditations“, einer Dystopie in poppigen Farbtönen. Der Ausstellungsraum stellt einen Fabrikraum mit Kontrollzentrum nach, der vor langer Zeit verlassen worden ist und ein Eigenleben entwickelt hat.

In seiner Mitte scheint ein Organismus zu wuchern, der dem Schleimpilz Physarum polycephalum nachempfunden ist, auch bekannt als der Blob, von der Deutschen Gesellschaft für Photozoologie übrigens zum Einzeller des Jahres 2021 gekürt. „Ich habe selbst einen gezüchtet, gefilmt und ihn mithilfe von Sensoren Klänge erzeugen lassen. Für Elephant Mutations habe ich ihn, vergrößert, aus Textilien nachgebaut“, erzählt Lugon.

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Eine Reihe von Ventilatoren bläht das amorphe Gewebe auf und lässt es immer wieder in sich zusammenfallen, Kontaktmikrofone übertragen die textilen Geräusche auf andere Objekte im Raum. Stellenweise brummt die Audiotechnik – auch das ist gewollt. Trotz ganz anderer Anmutung, hat Lugon mit Julius nämlich dies gemein: „Bei dem was Rolf machte, würde jeder Tontechniker den Kopf schütteln“, erzählt Seiffarth.

„Er ignorierte einfach alle Regeln der Tontechnik, schloss einen kleinen, billigen Lautsprecher ohne Verstärker direkt an einen CD-Player an, legte ihn auf verschiedene Untergründe, streute Staub oder legte Papier drauf und probierte aus, wie es in der jeweiligen Raumakustik funktionierte, bis er das Resultat für interessant befand.“

Auch Lugon macht Dinge nicht unbedingt so, wie man sie eigentlich macht – und das passt zur Singuhr. So etwas wie eine Hörgalerie gründet man schließlich eigentlich auch nicht, wenn sie im Förderkosmos nicht vorgesehen ist. Gut, dass es manche eben trotzdem tun.

Die zwei Ausstellungen laufen bis 13. Juni, jeweils Mittwoch bis Sonntag von 14 bis 20 Uhr. Meinblau Projektraum: Christinenstraße 18-19, Haus 5; Parochialkirche: Klosterstraße 67

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