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Berlin: Kohlekraftwerk birgt große Risiken

Experten sehen Vattenfalls Pläne durch Emissionshandel gefährdet Lage im Wasserschutzgebiet könnte den Standort in Lichtenberg infrage stellen

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Ein neues Kohlekraftwerk in Lichtenberg könnte nach Expertenmeinung langfristig zu einer Investitionsruine werden und würde nach Tagesspiegel-Informationen schon in der Planungsphase auf rechtliche Hürden stoßen. Für den Energieversorger Vattenfall steht der Bedarf an einem Neubau allerdings ungeachtet der massiven Bedenken von Politikern und Klimaexperten außer Frage. Würde das veraltete Braunkohlekraftwerk Klingenberg am Lichtenberger Spreeufer ersatzlos stillgelegt, wäre nach Auskunft des Konzerns die künftige Wärmeversorgung der Stadt gefährdet. Maßstab für die Dimensionierung des Neubaus sei die benötigte Fernwärme, die – anders als Strom – in der Nähe der Abnehmer erzeugt werden muss. Vattenfall nennt einen Wärmebedarf von 650 Megawatt und verweist auf jährlich mehr als 20 000 neu ans Wärmenetz angeschlossene Wohnungen, die die Nachfrage ungeachtet der immer besser gedämmten Gebäude konstant halten. Weil bei der „Kraft-Wärme-Kopplung“ die bei der Stromerzeugung anfallende Hitze als Heizwärme genutzt wird, ergibt sich aus dem Fernwärmebedarf eine Stromproduktion von 800 Megawatt.

Zwar betont der Konzern, man sei bisher weder auf den Standort noch auf den Brennstoff festgelegt. Als Vorzugsvariante für die Eine-Milliarde-Euro-Investition gilt jedoch ein Neubau nahe dem heutigen Kraftwerk, der mit zwei Millionen Tonnen Steinkohle pro Jahr befeuert werden soll. Diese würden nach Auskunft des Umweltbundesamtes (UBA) rund fünf Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) produzieren.

In dem CO2-Ausstoß sieht Klaus Müschen, der im UBA die Abteilung Umwelt, Klimaschutz und Energie leitet, ein großes wirtschaftliches Risiko für den Konzern: Weil über den Emissionshandel der Ausstoß von Treibhausgasen begrenzt werden soll, könnten in einigen Jahren die notwendigen Zertifikate ausverkauft oder unbezahlbar sein. Und ohne Zertifikate dürfe kein CO2 mehr in die Luft geblasen werden. Die Zertifikate dürften auch deshalb knapp werden, weil „in den Schubladen der Energiekonzerne rund 40 Kohlekraftwerksplanungen liegen“. Würden all diese Kraftwerke gebaut, wären die vereinbarten Klimaschutzziele „keinesfalls zu erreichen“.

Ein Gaskraftwerk wäre klimafreundlicher, gilt in der Energiebranche allerdings wegen zurzeit hoher Gaspreise und der Abhängigkeit von Russland als nicht besonders attraktiv. Allein aus erneuerbaren Energien wäre die Kraftwerksleistung nach Meinung mehrerer Experten aber vorerst auch nicht zu ersetzen. Müschen gibt allerdings zu bedenken, dass das Fernwärmesystem Berlins so vernetzt sei, dass auch andere Kraftwerke die heutigen Klingenberg-Abnehmer mit Wärme beliefern könnten. Vattenfall widerspricht: Die Netze im Ost- und Westteil der Stadt seien nicht ausreichend miteinander verbunden, heißt es dort.

Unstrittig ist, dass der Bedarf sich durch Gebäudesanierungen zumindest auf lange Sicht senken ließe. Würde zusätzlich mehr Erdwärme erschlossen, könnte das Kraftwerk nach Meinung von Fachleuten eines Tages hinfällig sein – aber wohl erst in etwa 25 Jahren. Der Grünen-Energieexperte Michael Schäfer will den Senat auffordern, diese ebenso bedeutsame wie komplizierte Frage durch ein wissenschaftliches Gutachten untersuchen zu lassen. Der SPD- Umweltpolitiker Daniel Buchholz sagt, man habe Vattenfall um Informationen gebeten, um sich ein Bild machen zu können. Und die Linksfraktion einigte sich am Dienstag auf eine Erklärung, wonach das neue Kraftwerk nicht mit Steinkohle betrieben und von einem unabhängigen Institut auf seine CO2-Bilanz untersucht werden soll.

Die Allparteienkoalition gegen ein Steinkohle-Kraftwerk könnte für Vattenfall schon bald zum Problem werden: Beim bevorzugten Standort läge der Entladehafen für die Kohleschiffe in einer Trinkwasserschutzzone, in der „das Errichten und Betreiben von Anlagen zum Güterumschlag“ ausdrücklich verboten ist. Für die Festlegung von Wasserschutzzonen ist der Senat verantwortlich, so dass die Entscheidung, ob man die Vattenfall-Pläne erleichtert oder blockiert, auch eine politische sein kann. Bei den Wasserbetrieben rechnet man angesichts zunehmend trockener und heißerer Sommer nicht damit, dass der Senat ohne Not ein Wassereinzugsgebiet verkleinern würde.

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