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Am 26. September wurden in Berlin das Abgeordnetenhaus, der Bundestag und die Bezirksverordnetenversammlungen gewählt.

© dpa/Sebastian Gollnow

Update

Konsequenzen aus der Pannen-Wahl: Berlins Innensenatorin will zentrales Landeswahlamt

„Die Pannen waren kein Naturereignis“, hieß es bei der Vorstellung des Berichts zur Berlin-Wahl. Iris Spranger will das System widerstandsfähig machen.

Die zahlreichen Pannen und organisatorischen Probleme bei den Wahlen in Berlin am 26. September 2021 waren nach Einschätzung einer vom Senat eingesetzten Expert:innenkommission absehbar und damit vermeidbar.

„Die Pannen am Wahltag waren kein Naturereignis, das über alle hereingebrochen ist“, sagte der Politikwissenschaftler Stephan Bröchler am Mittwoch bei der Vorstellung des Berichtes der Kommission zu dem Wahlchaos im Vorjahr.

Aus dem 62 Seiten starken Bericht geht hervor, dass es im Zusammenspiel zwischen Senat, Landeswahlleitung und Bezirksebene bei der Vorbereitung und Durchführung des Wahltages zahlreiche Defizite gab.

Das habe unter anderem an unklaren Verantwortlichkeiten gelegen. Eine gesamtstädtische Perspektive habe gefehlt. Außerdem sei die Komplexität des Wahlsonntags mit gleich vier Wahlgängen massiv unterschätzt worden. „Wahlen und Abstimmungen müssen in Berlin künftig besser organisiert werden“, urteilte Bröchler.

„Berlin kann Wahlen“, wenn die richtigen Lehren gezogen würden, sagte Bröchler. Wahlen müssten künftig „wählerfreundlich“ organisiert werden: „Bürger müssen mit möglichst wenig Aufwand und rechtssicher wählen können.“ Das Vertrauen „in den wichtigsten demokratischen Mitwirkungsakt in unserem Gemeindewesen“ müsse wieder gestärkt werden, verlangte Bröchler.

„Organisatorische Defizite“, „strukturelle Mängel“, zu wenige Wahlkabinen

Es habe keine Anzeichen für Wahlmanipulationen gegeben, betonte der Staatsrechtsprofessor an der Humboldt Universität, Christian Waldhoff. Im Wesentlichen gehe es um „organisatorische Defizite“ und „strukturelle Mängel“.

Die unabhängige Expertenkommission, der rund 20 Jurist:innen, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und Praktiker:innen aus Wahlleitungen angehörten, schlug strukturelle und praktische Änderungen vor, damit sich Derartiges nicht wiederholt

Wichtiger Punkt ist die Stärkung des Amtes der Landeswahlleiterin: Sie müsse mehr Rechte gegenüber den Bezirken und dem Senat bekommen, um mehr Einfluss auf die gesamtstädtische Wahlvorbereitung und -durchführung ausüben zu können.

Die Geschäftsstelle der Wahlleitung müsse zu einem personell gut aufgestellten Landeswahlamt ausgebaut werden, um die Vorbereitung von Wahlen zu professionalisieren. Die Rollen aller beteiligten Akteur:innen müssten auf Landes- und Bezirksebene klarer definiert werden.

Das Gremium regte auch stadtweit einheitliche Standards für die Schulung der Wahlhelfer:innen und bei der Ausstattung der Wahllokale etwa mit Wahlkabinen an. Vielfach habe es zu wenige Wahlkabinen gegeben.

Eine „starke Persönlichkeit" als Landeswahlleitung

Infolge der Vorkommnisse war die Landeswahlleiterin Petra Michaelis zurückgetreten, momentan amtiert ihre Stellvertreterin Ulrike Rockmann. Die Kommission schlägt vor, das Amt in Zukunft mit einer starken Persönlichkeit zu besetzen, die ausgeprägte Management- und Kommunikationsfähigkeiten besitzt.

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Der Berliner Rechtswissenschaftler Christian Waldhoff verwies als Kommissionsmitglied darauf, dass auch der Senat Mitverantwortung für die Vorkommnisse trage, namentlich die Innenverwaltung, die damals vom heutigen Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) geleitet wurde.

Diese habe eine Rechtsaufsicht und müsse reagieren, wenn Probleme da seien. „Die Landeswahlleitung hatte sicherlich eine Hauptverantwortung. Aber die Senatsinnenverwaltung hat auch eine Verantwortung und die einzelnen Bezirke auch“, so Waldhoff.

„Bilanz des Versagens"

CDU-Generalsekretär Stefan Evers erklärte, die Expert:innenkommission halte dem Senat schonungslos den Spiegel vor. Der Bericht der Fachleute sei „eine Bilanz des Versagens“. „Fast alle Probleme waren hausgemacht und vorhersehbar.

„Umso schlimmer, dass die SPD und der seinerzeit zuständige Innensenator bis heute jede Verantwortung für das Wahlchaos von sich weisen.“ Neben der CDU und forderten auch Linke und FDP, die Kommissionsvorschläge umzusetzen.

Die Tatsache, dass neben den Wahlen am 26. September auch noch der Berlin-Marathon mit Straßensperrungen stattfand, wertete die Kommission als „Missstand“. Die Corona-Pandemie etwa mit Vorgaben zu Mindestabständen in Wahllokalen könne nicht als Erklärung für Pannen herhalten. Diese Herausforderung sei nicht „berlinspezifisch“ gewesen, sagte Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung. Soll heißen: Sie bestand bundesweit.

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Innensenatorin Iris Spranger dankte auf Twitter den Mitgliedern der Expert:innenkommission. „Wir setzen alles daran, gründlich die Lehren aus der Aufarbeitung der aufgetretenen Probleme zu ziehen", heißt es von Spranger weiter. Das System müsse widerstandsfähig gemacht werden.

Man werde die Vorschläge auswerten und zügig konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen treffen. „Klar ist, es braucht gemeinsam vereinbarte Standards zwischen Senat und Bezirken. Die Einrichtung eines Zentralen Landeswahlamts halte ich für eine gute Idee.“ Über die Besetzung der Landeswahlleitung werde bald entschieden, so Spranger.

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Am 26. September konnten Wähler:innen in Berlin das Abgeordnetenhaus, den Bundestag und die Bezirksverordnetenversammlungen wählen sowie bei einem Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungskonzerne abstimmen.

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Erschwert wurde das unter anderem durch falsche oder fehlende Stimmzettel, die zeitweise Schließung von Wahllokalen und mitunter stundenlange Wartezeiten. Zudem hatten Wahllokale teils noch weit nach 18 Uhr geöffnet.

Wegen der massiven Probleme steht eine teilweise oder komplette Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und in Berliner Wahlbezirken zum Bundestag im Raum. Entschieden ist darüber aber noch nicht. (Tsp,dpa,epd)

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