
© Ronald Patrick
Kreativkosmos der speziellen Art: Diese Werkstatt hat den Berliner Inklusionspreis hergestellt
In der Kunstwerkstatt Imperfekt schaffen enorm talentierte Menschen mit Behinderung beeindruckende Werke – auch das aktuelle Objekt des Berliner Inklusionspreises. Ein Besuch.
Stand:
Die Holztür stammt noch aus der Zeit, als das Gebäude am Westhafen die Wirtschaft für Matrosen und Kapitäne war. Heute trennt sie den kleinen Vorraum vom großen Atelier, in dem 40 Menschen mit komplexer Beeinträchtigung Kunstwerke erschaffen. 2019 war der Umbau fertig, die Künstler konnten einziehen. Heute zeichnen rund 25 Mitarbeiter konzentriert an Bildern. „Einige wurden von der Krankheitswelle gepackt, andere haben Urlaub“, erklärt Gesine Koher, die Imperfekt leitet. Die Kunstwerkstatt gehört zu den Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung (BWB), die berlinweit zwölf Standorte unterhalten. Mehr als 1.600 Menschen mit Beeinträchtigungen können hier ihr Recht auf Bildung, Förderung und Arbeit wahrnehmen.
Als am 1. Dezember der Inklusionspreis an vier Berliner Unternehmen, die schwerbehinderte Menschen vorbildlich ausbilden und beschäftigen, verliehen wurde, erhielten diese nicht nur eine Geldprämie, sondern auch ein plastisches Objekt. Entworfen wurde es genau hier, in der Kunstwerkstatt. Bereits vergangenes Jahr wurde das Team vom Lageso beauftragt, die Trophäe herzustellen. Es gefiel so gut, dass Imperfekt in diesem Jahr erneut den Zuschlag erhielt.
Eine Fotowand mit allen Künstlern
Bevor man durch die denkmalgeschützte Holztür geht, bleibt der Blick an einer Fotowand hängen. Alle 40 Künstler im Alter von 18 bis 63 sind hier mit Schwarz-Weiß-Foto ausgestellt. Nummer 41 ist die Hafenkatze, die ab und zu vorbeikommt. Im Büro von Gesine Koher steht ein Anschauungsobjekt des Preises, 28 Zentimeter hoch, 15 Zentimeter breit, viereinhalb Zentimeter tief, es besteht aus mehreren Schichten Acrylglas. Im Zentrum befinden sich Bärenfiguren in Rot, Blau, Gelb und Grün. Auf dem Sockel steht: „Inklusionspreis Berlin 2023, Inklusive Beschäftigung“.
Mit der Verwendung eines durchgängigen Materials haben wir ein visuelles Zeichen zur Aufhebung der Grenzen auf dem Arbeitsmarkt gesetzt.
Gesine Koher, Werkstattleiterin
Drei Monate hat es gedauert, bis das Objekt fertig war. Das Ziel: Inklusion zu versinnbildlichen. Am Anfang stand ein Brainstorming mit den Beschäftigten oder genauer: allen, die Lust darauf hatten. Sie entschieden sich nach einigem Hin und Her für die durchgängige Verwendung eines einzigen Materials für den oberen Teil und den Sockel. „Damit haben sie ein visuelles Zeichen zur Aufhebung der Grenzen auf dem Arbeitsmarkt gesetzt“, sagt Koher. Beide Teile fließen zusammen und „stellen Verbundenheit her“. Auch die mehrfarbigen Bären wurden bewusst gewählt. „Inklusion ist bunt“, sagt Koher.

© Sandra Ritschel
Damit auch die Vorgaben des Lageso eingehalten wurden, etwa die Maße, sind Koher und die Gruppenleiter in jegliche Prozesse eingebunden. Die technische Umsetzung übernahm Gruppenleiter und Künstler Strahinja Skoko. Die Herstellung an sich fand ein paar Meter weiter in anderen Werkstätten des BWB, etwa der Druckerei, der Laser- und der Metallabteilung, statt. Die entscheidenden Impulse aber gaben die Menschen bei Imperfekt. Sie können zu recht stolz sein auf dieses Gemeinschaftsprojekt.
Die Mitarbeiter sind es gewohnt, manchmal Auftragsarbeiten gemeinsam zu erledigen. Aktuell gießen, schleifen und bemalen sie kleine Berliner Bären für eine Souvenirfirma. „Auftragsarbeiten sind unsere dritte Säule“, sagt Koher. So generiert man guten Umsatz. Und der ist nötig, um Entgelte für die Künstler zu erwirtschaften. Wobei auch die Verkäufe der kreativen Eigenleistungen und Eigenmarken in der Bildenden Kunst und im Kunsthandwerk, den Säulen eins und zwei, Geld einbringen. Erst kürzlich war Imperfekt auf der Bazaar Berlin mit einem Stand vertreten. „Seither sind wir ziemlich ausverkauft“, sagt Koher.

© Ronald Patrick
Die Kunden lieben nicht ohne Grund, was die Künstler hier erschaffen. Beim Rundgang durchs große Atelier, dem Herzstück von Imperfekt, sieht man ein hochwertiges, ansprechendes Kunstwerk nach dem anderen. An jedem freien Fleck an der Wand hängen Bilder, auf dem Fenstersims reiht sich Naturstein an Naturstein, jeder einzelne mit Mosaiken verschönert, auf den obersten Regalreihen stehen in Holz eingerahmte Figuren. „Sie sind unsere Verkaufsschlager“, sagt Koher. Die kleinen Männchen stammen aus Christo Lufundisu Luanzas Feder. Die Rahmen stellt Michael Genandt her. Der ist laut Schild am Revers „Holzprofi“. Fragt man ihn, wo das Holz herkommt, sagt er: „Aus dem Keller“.
Die Künstler haben nun mal eine Beeinträchtigung. Man muss sich das immer wieder vergegenwärtigen. Denn die Kunstwerke, die sie schaffen, sind so gar nicht imperfekt. Ganz im Gegenteil. Würde man ohne Vorkenntnis dessen, wer sie kreiert, durch die Räume schlendern, man könnte meinen, hochdekorierte Künstler seien am Werk.
Wobei: Die wären vielleicht eitler, würden ellenlange Elogen auf ihre Artefakte halten. Die Menschen, die hier vor ihren Tischen sitzen und Stifte schwingen, sind nicht sehr gesprächig. Sie zeigen auf andere Weise, dass sie ihre Arbeiten gut finden – und dass sie Interesse schätzen. Alexandra Rothausen etwa, die mit Vorliebe Michael Jackson in zig Versionen malt oder Tiere hinter Gittern. Als der Fotograf sie fragt, ob er sie samt Kunstwerk ablichten darf, posiert sie sofort begeistert vor der Kamera. Sandra Höft hingegen will zwar keineswegs abgelichtet werden. Sie kommt aber auf die Journalistin zu und zeigt Aquarelle auf genähter Leinwand. Ihre Freunde ist immens, die im Passepartout ausgestellten Kunstwerke sind ausdrucksstark und handwerklich top.
Beeindruckend auch die Zeichnungen und Texte von Enes Icer. Koher erzählt, dass er mittlerweile einer der erfolgreichsten Künstler der Gruppe ist und erst kürzlich eine Einzelausstellung im Kulturhaus Spandau hatte. Außerdem wurde er in diesem Jahr für den europäischen Kunstpreis „Euward“ nominiert. „Es ist unglaublich“, sagt Koher – und deutet auf vier kleine blaue Bilder, die auf einem Tisch liegen: „Man zeigt ihm ein beliebiges Foto – und er macht einen kleinen Picasso daraus.“
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