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Sonnenuntergang auf der Admiralbrücke: Ein Hotspot vieler Touristen.

© Kai-Uwe Heinrich

Kreuzberg-Chronist Hans Korfmann: "Ein bisschen was von früher ist immer noch spürbar"

Seit 20 Jahren gibt Hans W. Korfmann die „Kreuzberger Chronik“ monatlich heraus. Darin porträtiert er seine Nachbarschaft – normale, schräge oder hochbegabte Typen. Das wird nun gefeiert.

Die Zeiten von Heinrich Zille sind lange vorbei. Es gibt keine Berliner Originale mehr. Anstelle der einstigen Kiezgrößen schlendern jetzt bierselige Touristen und humorlose Zugezogene durch Kreuzberg, in den Cafés sitzen korrekt gekleidete junge Leute, die beim Latte macchiato ein Start-up gründen wollen. In den Geschäften wird Kunden nach dem Einkauf artig „einen schönen Tag noch“ hinterher gerufen. Herrjeh! Berlin, wie haste dir verändert! Hans W. Korfmann sieht die Dinge nicht so dramatisch. „Ein bisschen was von früher ist immer noch spürbar“, sagt der Autor und freie Journalist.

Der 62-Jährige ist ein Menschenversteher. Seit 20 Jahren porträtiert der Wahl-Kreuzberger seine mal mehr, mal weniger schräge Nachbarschaft. Diese genial verdichteten Biografien sind dann zu lesen in der „Kreuzberger Chronik“, Korfmanns liebevoll gestalteter Monatszeitschrift. Die jeweils 3000 gedruckten Exemplare liegen gratis in jenen Lokalen und Läden des Viertels aus, die eine Anzeige in der „Chronik“ geschaltet haben. So finanziert sich das Ganze, Zuschüsse gibt es nicht.

In den 200 bisherigen Ausgaben seiner „Kreuzberger Chronik“ hat Hans W. Korfmann viele Menschen im Viertel porträtiert.
In den 200 bisherigen Ausgaben seiner „Kreuzberger Chronik“ hat Hans W. Korfmann viele Menschen im Viertel porträtiert.

© Edith Siepmann

Korfmann bietet den „kleinen Leuten“ eine Bühne – und Erstaunliches, oft Berührendes kommt dabei heraus. Eine Frau sagte ihm nach dem Gespräch verblüfft: „Wenn man sein Leben so in drei Stunden erzählt, ist es ein einziges Abenteuer.“ Die Geschichte der Hügelsheimer Bauerntochter Christiane Rösinger gehört dazu. 1985 stand die junge Frau auf dem Mariannenplatz und staunte: „Die Stadt war voller Außenseiter.“

Sie und Berlin – das war Liebe auf den ersten Blick. Rösinger ist geblieben. Schreibt Klartext und singt ihn auch, wie etwa diese Zeilen: „Wenn die Autofahrer kurz am Amok streifen, und die Hostelhorden durch die Straßen geifern, wenn die Gullis stinken und die Pärchen winken, ja dann sind wir wieder in Berlin.“ Aber, darf die Lebenskünstlerin auch bleiben? Kürzlich wurde ihre Mietwohnung verkauft. Ein Albtraum.

Auftritte im "Yorckschlösschen"

Andere haben ihre Hauptstadt-Adresse zum Glück ganz sicher. Viele jener Musiker etwa, deren Leben Korfmann aufgeschrieben hat. Gino Merendino gehört dazu. Der Sizilianer, der vor 40 Jahren in der Nostitzstraße ein Lokal namens „La Bohème“ eröffnet hat. Den Laden gibt es nicht mehr, aber Gino Merendino, jetzt 82 Jahre alt, trinkt noch immer täglich seinen Espresso in Kreuzberg. Oder Niels Unbehagen, der Mann mit dem Jazzbazillus, der noch heute hin und wieder im „Yorckschlösschen“ auftritt.

16 Porträts von Musikern hat Korfmann jetzt in einem Buch mit dem Titel „In Kreuzberg spielt die Musik“ veröffentlicht. Der Titel ist Programm – auch für die Jubiläumsausstellung. Zur Eröffnung am 22. Juni werden viele dieser Musiker auf der Hinterhofbühne stehen.

„Die treten alle ohne Gage auf“, sagt Korfmann, fast ein wenig gerührt. Aber das gehöre eben zur Kreuzberger Solidarität. „Die hat es immer gegeben.“ Auch John Colton mit seiner Browse Gallery bringt sich ein. Die will der Kreuzberger Bohème und den Malerpoeten der siebziger und achtziger Jahre den gebührenden Platz in der Kunstwelt sichern – in Berlin fehle die Wertschätzung für sie.

Korfmann, der auch preiswürdige Reisereportagen veröffentlichte, hat sich den frischen Blick auf „sein“ Kreuzberg bewahrt. Und sieht sogar milde aufs Partyvolk an der Admiralbrücke. „Früher saßen wir in Rom auch auf der Spanischen Treppe und haben Rotwein getrunken.“ Wenn die jungen Touris nun in Berlin abhängen und Gitarre spielen, sei das doch nichts anderes. Aber: Flaschen sollten sie natürlich nicht zerdeppern.

"Chroniken" in anderen Bezirken funktionieren nicht

Dass die Bergmannstraße zur Tourimeile verkommen ist, nimmt der Chronist gelassen. Es dürften dort künftig keine Restaurants mehr eröffnen, hat er gerade erfahren und gibt zu, dass diese Maßnahme vielleicht „ein wenig zu spät kommt“.

Wenn er seinen Kiez mal verlässt, wird er zum Reporter. Neulich war er in Charlottenburg – und saß begeistert in der „Kastanie“ in der Schloßstraße, „bis die am späten Abend zugemacht haben“. Die Stimmung im Lokal sei wie im alten West-Berlin gewesen. Wäre er öfter dort, würde er wieder Leute kennenlernen, könnte ihre Geschichten erzählen. Aber er hat ja in Kreuzberg genug Stoff. In anderen Bezirken haben manche versucht, seine „Chronik“ zu kopieren. Klappte aber nicht. Kann eben nicht jeder so genau beobachten wie er – und erst recht nicht so gut schreiben.

Auch deshalb wohl sind ihm seine Anzeigenkunden – Korfmann akquiriert selbst – treu geblieben. Und schalten eine herrliche Retro-Reklame wie die griechische Taverne Dimokritos: „Die besten Souflaki außerhalb von Thessaloniki“. Aber im aktuellen Heft findet sich auch die Werbung für „two young hotels in Berlin“. Korfmann lebt von seiner „Chronik“ – und geht mit der Zeit. Wichtiger sei, dass in Kreuzberg noch immer spannende Menschen leben, die er porträtieren könne. Das alte Berlin hat sich in die Seitenstraßen zurückgezogen, aber es ist noch da.

Die Ausstellung wird am kommenden Freitag ab 18 Uhr mit einem Live-Konzert eröffnet. Eintritt frei. Zu sehen sein wird die Ausstellung noch bis zum 26. August im FHXB Friedrichshain-Kreuzberg-Museum in der Adalbertstraße 95.

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