zum Hauptinhalt
Ran an die Möhren. Am Sonntag findet der Parteitag der Linken statt.

© Maurizio Gambarini/dpa/picture-alliance

Vor dem Linken-Parteitag in Berlin: Lompscher muss liefern, Lederer ist Trumpf

Mieten, Klima, Rechtspopulismus: Die Berliner Linke sucht ihre Mitte und eine zielorientierte Politik, die das eigene Profil zeigt. Eine Analyse.

Von Sabine Beikler

Früher, unter Rot-Rot, wurden die Berliner Genossen zum Rapport bei Gregor Gysi und Oskar Lafontaine in den Bundestag bestellt. Wegen ihrer Realpolitik, des Konsolidierungskurses und später auch selbstkritisch gesehenen Verkäufen, wie jenen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW, wurden sie von ihren Genossen beschimpft und bekamen auf jedem Bundesparteitag verbale Prügel.

Solidarität gab es keine. Lafontaine strafte seine Genossen ab, aß Kekse und las Zeitung, während sie den früheren Fraktionschef im Bund über rot-rote Realpolitik informierten. So eine Ignoranz ist heute Vergangenheit. Die Bundespartei beobachtet aufmerksam Rot-Rot-Grün in Berlin als mögliche Machtoption für andere Länder. Aber wie stellt sich die Linke in Berlin auf, wohin will eine Partei strategisch, in der die über 86-Jährigen noch die größte Gruppe unter den 7727 Mitgliedern darstellen? Darum wird es auch am kommenden Sonnabend am Parteitag gehen.

Die Linke als „Friedenspartei“

Hildegard Stadlich ist 86 Jahre alt, 1964 in die SED eingetreten, arbeitete in der Nachfolgepartei PDS mit und ist nach Verschmelzung von PDS und WASG seit 2007 in der Linken aktiv. Die frühere Telegraphistin ist aus Überzeugung in der Partei, die sie als „Friedenspartei“ und Garant dafür bezeichnet, dass es keine Kriege und Kriegseinsätze mit deutscher Teilnahme mehr gibt.

Die alte Dame spricht über Ost-West-Rentenunterschiede, darüber, „dass Westler kapieren müssen, dass wir auch gearbeitet haben“. Und sie erzählt von ihrer Ortsgruppe am Steinberg in Weißensee, wo das Durchschnittsalter 85 Jahre beträgt.

„Viele können wegen ihres Alters nicht mehr zu den Treffen kommen“, sagt Frau Stadlich. Sie interessiert sich für Politik und würde gern mit den Jüngeren mehr ins Gespräch kommen. Sie ist eine von 40 Genossen, die an einem Oktoberabend ins Karl-Liebknecht-Haus gekommen sind, um sich bei einem Basistag der Pankower Linken über Umweltpolitik zu informieren.

Sind Klimaschutz und Kapitalismus vereinbar?

Effektiver Klimaschutz sei „im Kapitalismus nicht möglich. Das geht nur unter sozialistischen Bedingungen“, ruft ein älterer Herr im Rosa-Luxemburg-Saal. Widerspruch ist nicht zu hören. Es geht um CO2-Gehalt der Atmosphäre, Biogas, bezirkliche Klimaschutzkonzepte und Klimaschutzbeauftragte. Man ist sich einig, dass die Linke sich nicht an den Grünen „abarbeiten“ solle.

Den Unterschied zwischen grüner und linker Umweltpolitik beschreibt Sandra Brunner, die Pankower Kreischefin und stellvertretende Landesvorsitzende, mit den Worten, dass die Linke die „sozial-ökologische Transformation“ befürworte, die Verbindung von klimagerechter Politik mit sozialer Gerechtigkeit. Was heißt das konkret? Landeschefin Katina Schubert sagt: „Wir wollen keinen Klimaschutz nur für Gutverdiener. Wir wollen den Individualverkehr einschränken zugunsten von Fußgängern und Radfahrern.“

Inhalte statt Phrasendrescherei

Nach einem in der Fraktion verabschiedeten Klimaschutzpapier mit einer Quote für den Abbau von Autoparkplätzen erntete die Linke Ablehnung aus Koalition und Opposition. Das zeigt ein Dilemma. Die Inhalte der Partei sind häufig schwammig formuliert, zu kurz gedacht und wiederholen sich. Gefühlt ist jedes dritte Wort „sozial“ oder „solidarisch“. Ein Spitzengenosse kritisiert: „Unsere Hausaufgaben bestehen nicht in Phrasendrescherei, sondern darin, Inhalte zu erarbeiten.“

Auf dem Parteitag am Sonnabend in einer Woche wird im Endeffekt der Leitantrag fortgeschrieben, den die Partei 2018 schon verabschiedet hatte: das Öffentliche wie Nahverkehr, Bildung und Kunst stärken. Neu ist lediglich, dass die Partei Zwangsräumungen bei landeseigenen Wohnungsunternehmen beenden und einen generellen Zwangsräumungsstopp im Winter einführen will.

Lompscher muss jetzt erfolgreich sein

Die Linke in Berlin weiß, dass sie im Kampf gegen die starke Identifikation der Grünen mit Klimaschutz und Ökologie nicht gewinnen kann. Und so setzt die Partei strategisch alles auf die Wohnungs- und Mietenpolitik. Der Mietendeckel ist das Vorzeigeprojekt der Partei. Er kommt nach einer Umfrage von Civey im Auftrag des Tagesspiegel auch nur ihr zugute: 58 Prozent der Berliner sagen, dass die Linke den größten Anteil am Beschluss des Mietendeckels hat.

Muss liefern: Katrin Lompscher (Die Linke), Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen.
Muss liefern: Katrin Lompscher (Die Linke), Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen.

© Thilo Rückeis

Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher, muss jetzt liefern – und den Mietendeckel umsetzen. Und das wird schwierig, weil sich schon jetzt ein Verwaltungschaos anbahnt. Zur Kontrolle des Mietenstopps benötigen die Bezirke 48 neue, auf fünf Jahre befristete Stellen. Aber bereits heute können freie Stellen nicht besetzt werden. Bisher gibt es noch keine Ausschreibungen, dennoch erwartet Lompscher, dass bereits im ersten Quartal 2020 Einstellungsgespräche geführt werden können.

„Das ist realer Klassenkampf“

In ihrer eigenen Verwaltung muss sie 140 neue Stellen besetzen. Und da Widerspruchsverfahren natürlich vor Gericht landen werden, rechnet auch die Justizverwaltung mit „erheblichem Handlungsbedarf“ und 16 benötigten, neuen Richterstellen. Die Justiz in Berlin ächzt schon jetzt unter den Aktenbergen. Und die Berliner Genossenschaften, für die der rot-rot-grüne Senat Fördermittel und landeseigenes Bauland zur Verfügung stellt, revoltieren bereits gegen den Mietendeckel. Mal abgesehen davon, ob das Gesetz juristischen Bestand hat.

Lompscher muss jetzt erfolgreich sein – für die Linke, aber auch für das gesamte rot-rot-grüne Projekt. „Das ist realer Klassenkampf“, sagt ein Spitzenpolitiker der Linken. „Man quatscht nicht, sondern setzt das um.“ SPD und Grüne wissen, dass sie bei einem Scheitern des Mietendeckels mithaftbar gemacht werden. Noch hat Rot-Rot-Grün mit 56 Prozent eine stabile Mehrheit. Aber die Dreier-Koalition hat Risse, wie man schon am Koalitionskrach um die Ausgestaltung des Mietendeckels gesehen hat.

Beliebt bei den Berlinerinnen und Berlinern: Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke).
Beliebt bei den Berlinerinnen und Berlinern: Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke).

© Kai-Uwe Heinrich

Bei den Linken hört man allerdings zunehmend Kritik, vor allem nicht auf die SPD einzuschlagen. Lieber „die Klappe halten“ wie ein Abgeordneter sagt. Man müsse „das Elend“ der SPD verstehen und die Sozialdemokraten nicht in die Konfrontation treiben. Beim Ringen um das Sicherheitspaket zum Beispiel solle man sich nicht verbeißen. Und was die Grünen betrifft, ist für viele Genossen klar, dass man sie nicht verdrängen, aber für gemeinsame Projekte nutzen kann.

Lederer kommt in Ost und West gut an

Im Gegensatz zu SPD und Grünen hält die Linke einen Trumpf in der Hand: Klaus Lederer. Der Kultursenator ist Berlins beliebtester Politiker. Und er kommt im Osten wie im Westen gut an. Der 45-Jährige gehört zu den Jüngeren. Die Älteren sind in der Partei, weil sie die Linke als Garantin für den Frieden und für soziale Gerechtigkeit ansehen.

Aber 72 Prozent der 396 Neueintritte bisher in diesem Jahr sind Menschen unter 35 Jahren. Sie treibt laut Landesverband vor allem die Mietenproblematik, den Kampf für eine offene Gesellschaft und den Rechtsruck zu den Linken an. Die AfD hat bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 unter anderem drei Wahlkreise in den linken Hochburgen in Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf gewonnen.

Die Partei setzt auf harte politische Auseinandersetzungen mit den Rechtspopulisten. Das geht nur über Basisarbeit. Weil die Alten an der Basis noch die Mehrheit sind, sollte die Partei ernsthaft darüber nachdenken, wie sie junge und alte Genossen wie Hildegard Stadlich zusammenbringt. Von den jeweiligen Strukturen könnten beide Seiten profitieren.

Zur Startseite