
© Uli Deck/dpa
Maja T. nach Ungarn ausgeliefert: Bundesverfassungsgericht kritisiert Berliner Behörden
Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang: Die Justiz überstellt eine Person nach Ungarn, ohne auf die Prüfung des Verfassungsgerichts zu warten. Das kritisiert das Bundesverfassungsgericht nun deutlich.
Stand:
Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall der nach Ungarn abgeschobenen nicht-binären Person Maja T. deutliche Kritik am Berliner Kammergericht und an der Staatsanwaltschaft geäußert. Die 1. Kammer des Zweiten Senats legte nun die Begründung für ihre bereits am 28. Juni vorläufig erlassene einstweilige Anordnung gegen eine Abschiebung vor. Die Anordnung war durch das Vorgehen der Behörden ins Leere gelaufen.
Nun finden die Bundesverfassungsrichter deutliche Worte für die Berliner Justiz: Es bedürfe „weiterer verfassungsgerichtlicher Prüfung, ob das Kammergericht Bedeutung und Tragweite“ des Verbots der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung nach der EU-Grundrechtscharta berücksichtigt habe, ebenso die daraus resultierende Aufklärungspflicht zu den Haftbedingungen in Ungarn.
Zudem haben die Richter in Karlsruhe erhebliche Bedenken, ob das Vorgehen der Staatsanwaltschaft bei der schnellen Auslieferung mit dem effektiven Rechtsschutz vereinbar ist.
Person soll in Budapest Rechtsextreme angegriffen haben
Maja T. war am 28. Juni unmittelbar nach der Billigung des Berliner Kammergerichts bereits an die ungarische Justiz überstellt worden, wenige Stunden bevor das Verfassungsgericht den Auslieferungsstopp anordnete.
Die Berliner Behörden hatten erklärt, nicht gewusst zu haben, dass Maja T. beim Verfassungsgericht eine einstweilige Anordnung gegen die Auslieferung beantragen wollte. Das hätte auch keine Sperrwirkung für die Auslieferung gehabt.
Maja T. bürgerlich Simeon, nichtbinär, 23 Jahre alt, ist in Ungarn wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und schwerer Gewaltstraftaten angeklagt und sitzt dort nun in Untersuchungshaft. Sie soll im Februar 2023 mit anderen Linksextremisten mehrere mutmaßliche Neonazis brutal angegriffen und schwer verletzt haben. Ungarn hatte einen europäischen Haftbefehl gegen T. ausgestellt.
Maja T. wurde auf Antrag Ungarns im Dezember 2023 in Berlin verhaftet. Am 27. Juni erklärte das Kammergericht Berlin die Auslieferung nach Ungarn als rechtens.
Am Morgen des 28. Juni wurde die Person an die ungarischen Behörden übergeben. Gleichzeitig ordnete das Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren um 11 Uhr an, die Überstellung vorerst zu stoppen – da war Maja T. schon in Ungarn.

© Screenshot Tagesspiegel; Ungarische Polizei
„Erhebliche Bedenken“ gegen schnelle Überstellung
Das Bundesverfassungsgericht kritisierte nun das Behördenvorgehen deutlich. Es gebe „erhebliche Bedenken“, ob die schnelle Überstellung an Ungarn, ohne die am selben Tag im Eilverfahren erfolgte Entscheidung des Verfassungsgerichts abzuwarten, den Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzes der betroffenen Person entspreche.
Maja T. habe vor der Auslieferung „keine realistische Möglichkeit“ gehabt, den Beschluss des Kammergerichts mit den Anwälten zu besprechen und die Rechtsmittel wie eine Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs oder einen Antrag beim Verfassungsgericht zu prüfen und einzulegen.
„Eine wirksame Wahrnehmung der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts erfordert, dass es den Fachgerichten gegenüber seine grundrechtsspezifischen Kontrollfunktionen wahrnehmen kann“, betonten die Verfassungsrichter. Diese zusätzliche, bundeseinheitliche und „auf die grundrechtliche Perspektive spezialisierte Kontrolle“ sei wichtig, um die Grundrechte der Bürger umfassend zu schützen.
Zugleich kritisierten die Verfassungsrichter, dass das Berliner Gericht nicht ausreichend geprüft habe, ob die nicht-binäre Person in ungarischer Haft ausreichend vor sexueller Diskriminierung geschützt sei. (mit KNA)
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