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Berlin: Marten Köhler (Geb. 1949)

Und über allem sollte sich bunt der Regenbogen wölben

Wir befinden uns im Jahr 1981. Ganz Kreuzberg droht in die Hände von Spekulanten zu fallen. Ganz Kreuzberg? Nein, nicht ganz Kreuzberg. Es gibt ein, zwei, es gibt hunderte besetzte Häuser. Eins davon in der Lausitzer Straße: Die Regenbogenfabrik. Marten hat nach 25 Jahren dieses Märchen vom Kiezdorf, das so trotzig Widerstand gegen die Besatzer leistete, eigenhändig aufgeschrieben, er hatte schließlich mal Germanistik studiert. „Seht, das ist eine wahre Geschichte … “

Es begann alles sehr konspirativ, im Hinterzimmer einer Kneipe. „Jeder, der etwas auf sich hielt, nahm ja an, dass der Verfassungsschutz nicht nur sein Telefon abhört, sondern auch gleich die ganze Wohnung verwanzt hatte.“

Wer sein Haus verkommen lässt, hat es nicht verdient, eins zu besitzen. Das war die Parole. Und so nahmen Marten und seine Freunde das 114. Haus in Besitz. „Besetzungsakt“ tauften sie die Übernahme, es wurde viel gelacht in diesen Tagen und noch mehr geträumt. „Wir sind der Frühling im deutschen Herbst.“

Ein Haus ist schnell besetzt, es instand zu halten, hingegen harte Arbeit. Da braucht es mehr als revolutionären Eifer, da braucht es eine Menge Spucke und Tatendrang.

Die Wohnungen waren durch den langen Leerstand völlig heruntergekommen. Im Hof lagerte Chemiemüll der alten Fabrik. Die Kinder quengelten, und Jobs hatte man ja auch noch, denn ohne Geld war nicht viel zu reißen. Kein Wunder, dass die Nerven manchmal blank lagen. Zumal die Erwartungen so hoch waren.

Alle können alles, das war die kollektivistische Losung, die Vorteile der Spezialisierung wurden konsequent ignoriert. Im Wohnhaus sortierten sich die Lebensgemeinschaften, in der Fabrik richteten sich die Werkstätten ein, und über allem sollte sich bunt der Regenbogen wölben. Aber so friedlich war es nicht.

Es kam immer wieder zum Streit, die Verhandler gegen die Nichtverhandler, die Maximalisten gegen die Kompromissler. Marten war Verhandler. Er wollte, dass etwas bleibt. „All or nothing“ ist keine Parole für den Alltag. Zumal, wenn immer wieder die Räumung droht. Und der Bankrott.

Solidarische Ökonomie muss auch ökonomisch sein. Also wurden im Lauf der Jahre Musikübungsräume eingerichtet, Gästezimmer, eine Kantine, eine Schulfernsehsendung in der Reihe „Ökologo“ entstand, Titel „Unser kleines Dorf“.

Immer wieder planen und reden, reden, lange Sitzungen, und wenn es zu viel wurde: Ab auf den Bolzplatz. Der FC Roter Zorn, gelegentlich in Roter Korn umgetauft, war gefürchtet, wenn er denn mal vollzählig antrat.

„Wir wollen lachen, leben, lieben … “ Ein einfacher Dreisatz. Am besten ging das all die Jahre im Kino. Marten war der Mann der Träume. Vom ersten Tag an gab es dank ihm 1-A-Kintopp. Das Bettlaken an die Wand, ein Projektor angeschmissen, und los ging die Reise. Nicht nur Agitprop, alles, was Spaß machte, alte Italowestern, Kinderfilme, ein Blockbuster für die Kasse, fürs Herz und die Seele und den Kopf, für alle sollte was dabei sein.

Marten hatte in der Regenbogenfabrik seinen Platz fürs Leben gefunden, sein Zuhause. Von seinen Eltern redete er selten, sie waren sehr streng gewesen, unnahbar. Er selbst war ganz anders, als Vater und als Erzieher. Keiner war liebevoller zu den Kindern. Er lebte ihnen seinen Traum vor, damit sie selbst träumen lernen. Denn eine gute Zukunft, die kann man nicht kaufen und nicht versprechen, die kann man nur mit anderen zusammen leben, von einem Tag auf den nächsten.

Es gibt immer die, die viel reden. Und es gibt die, die mit anpacken, und sich nicht davon stehlen. Marten war da, wo er sein wollte. Und wenn es ihn mal wegzog, fuhr er an die Ostsee. Die Träume blieben lebensnah. Was ihm wehtat: Dass sein Sohn Willi so früh starb. Er hat weitergelebt, trauriger halt. Aber nicht nachgelassen. Er war stolz auf das, was sie alle zusammen auf die Beine gestellt hatten.

„Das System existiert noch. Wir aber auch! Und wenn uns sonst niemand dafür feiern will, dann feiern wir uns halt selbst!“ Marten war nicht der, der am lautesten sang an solchen Tagen. Er war der, der am treuesten zu seinen Versprechen stand. „We’d live the life we choose / we’d fight and never lose / for we were young and sure to have our way.“

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