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Internationale Solidarität: Besucher aus aller Welt fotografieren einander vor der Marx-Engels-Statue in Mitte.

© Lars von Törne

Marx-Engels-Forum in Mitte: Geburtstagsbesuch bei Marx und Engels

Wo die Meisterdenker des Kommunismus zur Selfie-Kulisse werden: Eindrücke von der Marx-Engels-Statue zum 200. Marx-Geburtstag an diesem Sonnabend.

„Du, Karl?“

„Ach, reden wir wieder miteinander?“

„Ausnahmsweise. Herzlichen Glückwunsch zum 200.“

„Danke, danke. Kann ich sitzen bleiben? Die Knie wollen nicht mehr, das waren doch verdammt lange Jahre.“

„Klar. Aber ich wollte schon lange fragen, ob wir nicht mal tauschen können, ich mag nicht mehr stehen.“

„Du immer mit deinen kommunistischen Ideen. Kommt überhaupt nicht infrage.“

Es ist laut an der Schlossbrücke, wo die Bronze der beiden Meisterdenker Marx und Engels für einige Jahre steht, die Bäume rauschen im Wind, und drunten von der Spree tönen die Vorträge der Fremdenführer von den Schiffen herauf.

Es könnte also sein, dass dieser Dialog auf einem Hörfehler beruht - aber könnte er sich so nicht zugetragen haben? Oder ist alles, was da passiert, sowieso nur Nostalgie in Bronze? Die Touristen, die in steter Folge vorüberziehen, wirken nicht so, als liege ihnen der 200. Geburtstag von Karl Marx an diesem Sonnabend am Herzen.

Am Sockel stellt ein QR-Code auf Wunsch Handy-Kontakt zu Gregor Gysi her, der sich als profunder Deuter anbietet, aber das scheint kaum genutzt zu werden.

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Saturierte Stützen des Manchester-Kapitalismus

„Sacco und Jacketti“ nannte der DDR-Spott die beiden Altvorderen der sozialistischen Internationale, angelehnt an die beiden Anarchisten Sacco und Vanzetti, die in den USA nach einem unfairen Prozess hingerichtet wurden und so in jedes antiimperialistische Schulbuch fanden.

Richtig ist in der Tat, dass Marx und Engels in dem 1986 aufgestellten Denkmal jede proletarisch-kämpferische Attitüde fehlt. Sie wirken trotz der Rauschebärte eher wie zwei saturierte Stützen des Manchester-Kapitalismus.

Ziel von Spötteleien. Unter Berlinern sind die Statuen von Marx und Engels auch als „Sacco und Jacketti“ bekannt.
Ziel von Spötteleien. Unter Berlinern sind die Statuen von Marx und Engels auch als „Sacco und Jacketti“ bekannt.

© imago/Schöning

Ihre heutige Funktion wird aber schon nach wenigen Minuten der Betrachtung deutlich: Dies ist eine der wichtigsten Stellen für Selfies und andere Erinnerungsfotos in der ganzen Stadt. Praktisch ständig posiert jemand zwischen Engels’ Rockschößen und Marx’ Beinen, zu sehen sind Asiaten, Amerikaner, Franzosen.

„Mathieu!“ ruft eine Frau ihrem herumtrödelnden Mann zu, und er stellt sich gehorsam in Positur fürs Foto mit den beiden doppelt lebensgroßen Frühkommunisten, nachdenklich, wie es der Geist des Ortes nahelegt.

Kein Kult, keine Nelken

Und der schnelle Augenschein zeigt auch die zu diesem Zweck am besten geeigneten Stellen: Schön blankpoliert sind Marx’ Hände und Schuhe, auch auf seinen Knien ist offenbar allerhand los. Fridrich Engels dagegen bekommt weniger Streicheleinheiten ab, nur ab und zu packt jemand seine Hände an – aber er steht ja auch und ist in diesem Duo der eindeutig weniger Populäre.

Kein Kult, nirgends, nicht wie bei „Karl und Rosa“. Keine Nelken, keine Graffiti, kein sonstiges sichtbares Gedenken. Ein dicker Mann sitzt auf einer Bank in der Sonne und döst zum Bier, gegenüber im Schatten hütet ein Russe seine Habseligkeiten, die er in einem abgeschabten Rollkoffer verstaut hat.

Ab und zu schreckt er auf, ruft „Dawai! Dawai!“ und etwas, was wie „Great Spectacle!“ klingt, bitte, bezog sich das jetzt auf Karl Marx? „War besser!“ raunzt er und wendet sich wieder seinem erkalteten Burger zu, bevor er sich auf der Bank langmacht.

Von einem großen Spektakel jedenfalls kann hier keine Rede sein, es ist eher der schmale Touristenstrom, der sich jedem leidlich exponierten Denkmal weltweit zuwendet. Ein paar Krähen hopsen herum, hoffend auf Proviant, die Kastanien werfen ihre Blütenblätter ab, ein Mann im Rollstuhl passiert das Denkmal - aber aus dem Radio auf seinem Schoß tönt nicht die Internationale, sondern leise kreischender Hardrock.

Was wird aus dieser Idylle? Annette Ahme vom Verein Historisches Berlin möchte sie in den Ehrenhof der Humboldt-Uni verpflanzen, und Bauminister Peter Ramsauer hat sich seinerzeit die Zunge verbrannt mit der Idee, den Kram doch auf die sozialistische Reste-Rampe in Friedrichsfelde zu schaffen. Aber bis 2020, wenn auch Engels 200 wird, bleibt sicher alles beim Alten.

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