Jenny-De-La-Torre-Stiftung: Mediziner mit Zahnschmerzen
Die Jenny-De-la-Torre Stiftung bietet Obdachlosen eine zahnmedizinsche Versorgung, doch die Geräte sind defekt. Das Gesundheitszentrum in der Pflugstraße in Mitte benötigt dringend einen neuen Behandlungsstuhl.
Was in der Zeitung stehen soll, formuliert Jürgen Schlichting lieber gleich selbst. „Schreiben Sie mal“, sagt er und gestikuliert wild, „dass die Obdachlosen nicht alle nur saufen und nichts tun.“ Seine Stimme dröhnt, er redet ohne Punkt und Komma. Er ist gut drauf, er hat Grund zur Freude: Seine Zahnprothese ist repariert, der Kurier hat die „Beißerchen“ rechtzeitig vor dem Essen gebracht. „Das war ein schöner Bruch, leicht zu kleben“, sagt Zahnärztin Adriana van der Poel. Wenn doch nur alles so reibungslos laufen würde – und es nicht veraltete und teils defekte medizinischen Geräte geben würde.
Für Schlichting ist das Gesundheitszentrum für Obdachlose, das die Jenny-De- la-Torre-Stiftung an der Pflugstraße in Mitte betreibt, eine feste Anlaufstelle. „Ich habe hier menschliche Beziehungen aufgebaut“, sagt er. Vor allem Zahnarzthelferin Heike Vitting hat es ihm angetan, mit ihr scherzt er, was das Zeug hält. Der 56-Jährige hat viel durchgemacht. Als Jugendlicher in der DDR galt er als schwierig, der Lebenswandel seiner Mutter als moralisch fragwürdig. Er wurde in Heime verfrachtet, auch die Jugendhaft in Bautzen kennt er. Nach der Wende kam die Arbeitslosigkeit: Braunkohleheizer wurden nicht mehr gebraucht. „Ich war nicht immer ein braver Bube“, sagt er. Er versuche aber, es besser zu machen.
Eines will er auf keinen Fall: sich gehen lassen. Für Kirchengemeinden übernimmt er Hilfsarbeiten, als Hausmeister, Gärtner, Mädchen für alles. „Wenn ich das hier sehe“, er zeigt auf den struppigen Garten des Nachbarhauses, „dann werde ich sauer.“ Vor allem in Österreich hat er Kontakte zu Pfarreien, im Burgenland hilft er regelmäßig bei der Weinlese. Dafür bekommt er Essen und ein Bett für die Nacht. Im Anorak trägt er eine Mappe mit Empfehlungsschreiben mit sich herum – „sicher ist sicher, falls mir der Rucksack geklaut wird“, sagt er. Die Briefe sind sein kostbarster Besitz: Darin steht, dass man ihm vertrauen könne. Im Zahnarztzimmer liegt ein Stapel Postkarten: Jedes Mal, wenn er in Österreich ist, schickt Schlichting einen Gruß. Seine „Beißerchen“ lässt er schon lange von Adriana van der Poel richten. Wie die meisten Ärzte in der Jenny-De-la-Torre-Stiftung ist die Medizinerin im Ruhestand. Zwei Mal pro Woche kommt sie, um Obdachlose zu behandeln – ehrenamtlich. Die Behandlung ist kostenfrei. Auf drei Vierteln der zirka 2500 Karten in der Kartei steht: OFW und oKV– ohne festen Wohnsitz und ohne Krankenversicherung.
Was Jenny De la Torre aufgebaut hat, ist ein kleines Wunder. Die 56-Jährige sitzt in ihrem Sprechzimmer und beschreibt mit dem Arm einen schmalen Raum. „Zwölf Quadratmeter groß war das Zimmer, in dem ich angefangen habe“, sagt sie. 1994 war das, im Keller des Ostbahnhofs. In dem fensterlosen Kämmerchen begann die promovierte Kinderchirurgin, Obdachlose kostenlos zu behandeln, bald fand sie Kollegen, die sich ihr anschlossen. „Damals dachten wir uns: Wenn wir ein Haus hätten, das wäre das Größte.“ Seit 2006 hat sie ein Haus, finanziert durch Spenden und Preisgelder. Bei ihr arbeiten ein Augen- und ein Hautarzt, eine Zahnärztin, ein Internist, ein Orthopäde und ein Psychologe. Es gibt eine Sozialarbeiterin, einen Anwalt und eine Friseurin, eine Suppenküche und eine Kleiderkammer. Viele Obdachlose betreut Jenny De la Torre seit Jahren. Am glücklichsten ist sie, wenn es jemand weg von der Straße schafft. „Das ist uns das Allerwichtigste.“
Fast alles, was sie anbietet, ist durch Spenden finanziert. Medizinische Geräte sind teuer – auch wenn viele Hersteller für Jenny De la Torre einen Sonderpreis machen. So verfügt die Zahnarztpraxis über ein neues Röntgengerät, „das ist Top-Technik“, sagt Adriana van der Poel. Die Technik nutzt ihr allerdings zurzeit nicht viel. Weil der Behandlungsstuhl alt und kaputt ist, kann sie nicht einmal ohne Probleme bohren – der Griff des Bohrers dreht sich mit. Der Zahnsteinentferner funktioniert gar nicht. Reparaturen sind teuer und lohnen sich kaum noch. Die Stiftung braucht einen neuen Zahnarztstuhl. Sonst kann Adriana van der Poel nicht viel mehr für ihre Patienten tun, als Prothesen zum Kleben zu schicken.
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DIE SPENDENAKTION
Zum 18. Mal sammelt der Tagesspiegel anlässlich des Weihnachtsfestes für Bedürftige – die Aktion heißt „Menschen helfen!“.
DIE BEWERBER
Zwei Wochen bedurfte es, all die Bewerbungen von Sozialprojekten aus Deutschland zu sichten. 57 haben wir ausgewählt, zwölf stellen wir in unserer Serie bis Weihnachten stellvertretend vor.
HOFFNUNGEN UND DANK
Viele wenden sich in ihrer Not an den Tagesspiegel. Schulen bitten den Spendenverein, Turnhallen zu finanzieren, Kitas um Spielgeräte oder auch Küchen. Staatliche Aufgaben können wir aber nicht komplett abnehmen, und versuchen zudem, eher Dachorganisationen zu helfen. Die Dankbarkeit ist groß: „Wir möchten uns für Ihr Engagement, soziale Projekte dieser Stadt durch Leserinnen und Leser des Tagesspiegels zu unterstützen, bedanken“, heißt es in einem Bewerberbrief. Diese Zeilen geben wir gerne weiter.
DAS SPENDENKONTO
Spenden bitte an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00), Konto 250 030 942 – Namen und Anschrift für den Spendenbeleg notieren.