Neuer Regierender Bürgermeister von Berlin: Michael Müller muss sich schnell emanzipieren
Michael Müller muss als Regierender schnell regieren. Er wird sich vor allem gegenüber CDU-Kollege Frank Henkel beweisen müssen - als Vorspiel zum finalen Zweikampf um das Rote Rathaus. Ein Kommentar.

Berlin bekommt einen neuen Regierenden Bürgermeister – exakt 6353 Bürgerinnen und Bürger haben für Michael Müller gestimmt. Das innerparteilich eindeutige Votum für den bisherigen Stadtentwicklungssenator wird von der SPD als Fortschritt der demokratischen Beteiligung gefeiert. Die eigentlich fällige Neuwahl, der sich die schon länger in der Selbstsortierung befindliche Stadtregierung zu stellen hat, steht in zwei Jahren an. Bis dahin bleibt Michael Müller nicht allzu viel Zeit, ein Regierender Bürgermeister auch für die Mehrheit der Berliner zu werden.
Dafür muss er sich umgehend von Klaus Wowereit, seinem auf Abschiedstournee befindlichen ehemaligen Ziehvater, emanzipieren – schon mittels seiner Wortwahl. Mit „Basta“-Politik kommen die seit 25 Jahren in Berlin durchregierenden Sozialdemokraten in den Kiezen nicht mehr weiter, das hat Müller selbst zu spüren bekommen bei seiner Niederlage mit den Bauplänen am Tempelhofer Feld. Nach innen und außen muss der altgediente Neue schnell eine eigene Agenda entwickeln, die über das selbst postulierte und für Berlin so nötige Zukunftsprojekt Wohnungsbau hinausgeht. Da kommt es nicht bloß auf die Wortwahl an. Zum Nicht-Flughafen BER hat man von Müller noch nicht allzu viel Baufortschrittliches gehört.
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Michael Müller muss als Regierender schnell regieren, denn ab heute dürfte sich der Senatstisch in eine Duelliertafel verwandeln, an der er dem Innensenator Frank Henkel von der CDU gegenübersitzt. Jeder politische Wink und Winkelzug wird von nun an gedeutet als Vorspiel zum finalen Zweikampf um das Rote Rathaus. Ein Rennen von zwei Politikern, die sich ähnlicher kaum sein könnten: bodenständige, in ihren Kiezen in Weißensee und Tempelhof verwurzelte Familienväter, denen die Sonntagsfreizeit mit der Familie ebenso heilig ist wie die Eingewöhnung der Kinder in der Kita.
Zwei in ihren Parteien inzwischen unumstrittene Soldaten, die mit ihren 49 beziehungsweise 50 Jahren noch jung genug für Höheres sind; zwei Arbeiter im Weinberg der Lokalpolitik, die Themen zunächst beim Aktenstudium zu erkennen scheinen und dann erst in den Augen der Betroffenen. Zwei Zauderer, die sich selbst jetzt, in der Stunde null des neuen Senats, kaum etwas entlocken lassen. Und dennoch einen Sinn für richtige Momente zum Angriff entwickelt haben.
Wer greift an?
Machtstrategisch wird die spannendste Frage: Wer greift wann an? Der neue Regierende, der schon jetzt die Verlierer in seiner Partei um sich schart, weil es in einem Wahlkampf nicht nur einen Musketier braucht? Oder der Herausforderer, der sich mit folgenlosen Ultimaten am Oranienplatz und wegen eines mit sich selbst beschäftigten Koalitionspartners einen hauchdünnen Vorsprung in den Meinungsumfragen erarbeitet hat? Das Rennen scheint offen – mit einem Vorteil für Müller, der ihm auch im SPD-internen Votum schon die entscheidenden Pluspunkte brachte: langjährige Erfahrung beim Regieren und Verwalten.
Der Senat der deutschen Hauptstadt darf sich selbst nicht mehr genug sein. Berlin braucht im Großen eine neue Erzählung von sich (erst recht 25 Jahre nach dem Mauerfall) und Visionen für seine Einwohner (erst recht in einer stetig wachsenden Stadt). Und im Kleinen braucht es endlich renovierte Schultoiletten. Michael Müller kann jetzt, auch durch kluge Personalentscheidungen, viel bewegen. In diesem Moment, in dem Henkel noch zaudert, hat er die Chance, Berlin zu verändern und aus sich herauszugehen. Hinein in seine Stadt.