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Avus: Mit Vollgas gegen das Tempolimit

Vor 20 Jahren tobte ein heftiger Streit um die Avus. Der rot-grüne Senat verhängte auf der Strecke zwischen Eichkamp und Nikolassee Tempo 100. Mittendrin in der Auseinandersetzung: der Tagesspiegel.

Irgendwas war immer mit dem Berliner Verkehr. Heute spaltet der Streit um die Fortführung der Autobahn A100 die Stadt, vor genau 20 Jahren ging es auch um die Autobahn und die Zahl 100 – allerdings aus wesentlich banalerem Anlass. Der frisch installierte rot-grüne Senat wollte ökobewegte Zeichen setzen und verhängte Tempo 100 auf dem letzten völlig unlimitierten Teilstück der Avus, einer Strecke von insgesamt knapp sieben Kilometern zwischen Eichkamp und Nikolassee. Das Ergebnis war eine hoch emotional geführte Auseinandersetzung, die in lauten Protestfahrten und parlamentarischem Zank gipfelte – kein Wunder, denn viele Berliner Autofahrer empfanden das Vollgasgefühl auf der Avus nach der streng kontrollierten Langsamfahrt über die DDR-Transitstrecken als geradezu körperliche Befreiung.

Als die „Abendschau“ des SFB am 17. Mai 1989 eine Telefonumfrage veranstaltete, meldeten sich innerhalb von 15 Minuten rund 50 000 Anrufer, und der Polizeinotruf brach zusammen, weil die Umfragenummern ebenfalls mit einer 1 begannen. Das Resultat bestätigte die Contra-Fraktion, denn 41 Prozent der Anrufer waren für, 58 gegen das Limit. Auf sogar 70 Prozent Gegnerschaft kam das Rias-Frühstücksfernsehen bei einer Umfrage mit 6000 Anrufern.

Im Mittelpunkt des Streits: der Tagesspiegel. Lokalchef Günter Matthes hatte sich das Thema zu eigen gemacht, stritt für Tempo 100 und geriet deshalb mit dem ADAC aneinander – die Autolobby war ohnehin durch die rot-grüne Verkehrspolitik gereizt. Allerdings ging der Riss auch durch den Club selbst: Rund 1000 Mitglieder teilten dem Tagesspiegel ihren Austritt mit, und der veröffentlichte die jeweils aktuellen Zahlen. Allein 400 Mitglieder traten aus, nachdem Günter Grass und Klaus Staeck dazu aufgerufen hatten. Beim ADAC selbst hieß es allerdings später, die Zahl der Eintritte wegen des Themas sei viel höher gewesen. Dennoch nahm die Autobranche übel und versuchte, den Tagesspiegel mit einem Anzeigenboykott unter Druck zu setzen, dem sich auch ein – längst untergegangenes – großes Möbelhaus anschloss.

Doch der rot-grüne Momper-Senat hielt ebenso wie die Zeitung durch, ließ die Tempo-100-Schilder montieren und überstand auch einen Protestkorso im Juni mit rund 18 000 Teilnehmern. Zwei Jahre später, als es ihn aus anderen Gründen längst nicht mehr gab, wurde er vom Verwaltungsgericht darin bestätigt, dass das Limit rechtmäßig war. Die wieder von Eberhard Diepgen geführte nachfolgende CDU-SPD-Landesregierung ließ die Finger vom Thema und gab 1999 die Avus sogar als offizielle Rennstrecke auf. Der Protest hielt sich in engen Grenzen. Bernd Matthies

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