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Präventionsworkshop der Polizei Berlin in der Walter-Gropius-Schule in Berlin-Neukölln mit Polizebeamten.

© Tagesspiegel/Kitty Kleist-Heinrich

Nach Terrordrohung gegen Schulen gilt Don’t Panic: Berlin muss Falschinformationen besser ignorieren lernen

Weil ein YouTuber emotional überfordert war, streute er seine Panik. Der Fall zeigt: Wir brauchen ein gesellschaftliches Update für den Umgang mit Desinformation.

Ein Gastbeitrag von Martin Wolff

Stand:

Berlin durchlief am Sonntag und Montag eine Terrorpanik, ausgelöst durch einen Influencer. Was genau war geschehen? Irgendjemand hat irgendetwas Absurdes im Internet gesagt. Mehr nicht. Aber es waren die Triggerwörter „Schulen“ und „Anschläge“ dabei.

Mit diesem Funken entlud der Influencer versehentlich die gespeicherten Anspannungen der Stadt. Seine Begründung: „Ich bin allerdings Vater eines Kindes und kann mit so einer Information überhaupt nicht umgehen und habe sie deswegen gestern Abend noch in meinem privaten Freundeskreis gestreut.“

Das reichte aus. Weil ein YouTuber emotional überfordert war, streute er seine Panik. Aus Inkompetenz wurde Reichweite. Das unterscheidet ihn dann von ausgebildeten Redakteuren. Der Betroffene hat nicht zuerst die Polizei informiert – und schon gar nicht darauf vertraut, dass dies ausreicht. Sondern ist selbst zur Tat geschritten und hat die Betroffenheit in bester Sendezeit auf Breitband kommuniziert.

Für den entstandenen Schaden ist es an dieser Stelle nachrangig, ob es sich bei den Urhebern der Falschinformation um handelsübliche Trolle oder um die feindselige Aktion eines Staates handelte. Vielmehr wird eine fundamentale Frage akut: Wer ist für Falsch- und Desinformationen zuständig? Sollen etwa die Behörden das Internet so weit kontrollieren, dass Falschmeldungen unmöglich werden? Das wäre das Ende einer offenen Gesellschaft.

Der freie Fluss von Informationen konstituiert überhaupt erst die offene und freie Gesellschaft. Diese Freiheit erzeugt ihre eigenen Widersprüche. Ebenso zwingt diese Freiheit vor allem aus den technologischen Updates, beispielsweise der Social Media, dazu, gesellschaftliche Updates anzustoßen.

Der aktuelle Fall zeigt deutlich die Kernaufgabe einer digitaler werdenden Gesellschaft auf, die über eine digitale Souveränität hinausgeht: die Kompetenz, mit Informationen umzugehen. Also auch mit Falschinformation. Und dann schließlich mit Desinformationen.

Eine instabile Gesellschaft hat keine Absicht, sich zu verteidigen

Die Bevölkerung selbst muss in der Breite kompetenter werden, wir haben gar keine andere Wahl. Offenkundig haben die klassischen Institutionen an Vertrauen verloren. Insbesondere die institutionelle Presse und die staatlichen Sicherheitsbehörden leiden unter diesem Verlust. Dem liegen gemachte Fehler zugrunde, aber ebenso sehr sorgen externe Kräfte für eine massive Verstärkung.

Wir wissen, dass Russland explizit das Vertrauen in die staatlichen Institutionen hierzulande zersetzen möchte. Das gilt auch für alle Kräfte, die die offene Gesellschaft angreifen wollen. Eine instabile Gesellschaft hat keine Position, keinen Willen, keine Orientierung. Vor allem keine Absicht, sich zu verteidigen.

Die Unsicherheit wird entsprechend gezielt geschürt und verstärkt. Als Einfallstor gilt genau die Offenheit, welche diese Form der Informationsgesellschaft ermöglicht. Das schwächt die staatlichen Institutionen und stärkt alle Kräfte, die andere Ziele verfolgen. Dafür gibt es Fachbegriffe, von „Desinformationskampagnen“ über hybride Angriffe bis hin zum „Cognitive Warfare“.

Ein Youtuber verbreitete die falsche Terrorwarnung samt Bildern von Waffen.

© Screenshot: Tagesspiegel/ Telegram

Natürlich haben Sicherheitsbehörden das auf dem Schirm. Die Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) stellt diese Themen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Aber sie sind nicht alleine dafür zuständig.

Da gezielt das Vertrauen der Bevölkerung zu diesen Behörden angegriffen wurde, muss die Herstellung dieses Vertrauens die erste und wichtigste Baustelle einer offenen Gesellschaft sein. Es gilt, die Offenheit gegen Angreifer zu verteidigen, ohne die Offenheit dabei zu verschließen. All das geschieht vor ganz realen Umwälzungen.

Berlin wird häufiger als andere Städte Zielscheibe von Trollen und Staaten

Angriffe auf das Vertrauen fallen auf günstige Umstände. Spätestens seit Corona nehmen die Spannungen der Sicherheitsfragen zu. Mit der Pandemie wurde aus Gesundheit die innere Sicherheit, verschärft um den Krieg in der Ukraine, den Israel-Gaza-Iran-Krieg seit dem 7. Oktober 2023, welcher zur sozialen Brennfrage der Stadt wurde.

Jährlich nimmt die kollektive Nervosität zu Weihnachten nochmals zu. Die Terroranschläge wie auf den Breitscheidplatz 2016 oder in Magdeburg 2024 haben sich eingebrannt, die täglichen Nachrichten über nahende Kriege, Drohnensichtungen und Sabotage quer durch das Land tun ihr Übriges. Wir leben im Wandel mit extrem hohem Außendruck.

Berlin hat es noch schwerer. Die Hauptstadt wird häufiger zur Zielscheibe von Trollen und von Staaten. Als Großmetropole wird Berlin auch zum Schmelztiegel aller gesellschaftlichen und globalen Streitfragen, zusätzlich technologisch katalysiert.

Der Irrsinn des Internets schlägt sich auf die soziale Wirklichkeit der Straßen nieder. Das aber ist kein Naturgesetz.

Martin C. Wolff

Jede soziale Gruppe verstärkt den Prozess, indem sie minutiös innerhalb ihrer Social-Media-Kanäle kommentiert, wer gerade wo und was gesagt hat. Ein Durchlauferhitzer. Mit der technologischen Vernetzung fusioniert der soziale Stress. So schlägt sich der Irrsinn des Internets schließlich auf die soziale Wirklichkeit der Straßen nieder. Das aber ist kein Naturgesetz.

Auch für Laien ist es möglich, zumutbar und erwartbar, eine so krasse Falschmeldung zu erkennen: Anschläge auf 20 Schulen sind eine absurde Größenordnung. Wer kann überhaupt mehr als fünf Schulen aus dem Stand heraus benennen? Wie stellt sich jemand die konkrete Logistik dafür vor? Fahren die Terroristen dann mit der U-Bahn oder hängen sie mit Uber-Autos in Baustellen fest?

So einfach es klingt, das Informationszeitalter setzt eine Grundkompetenz voraus: Don’t Panic. Das ist keine Behördenaufgabe, sondern die der mündigen Bevölkerung. Und sie muss sich mündig machen.

Ein Polizist am Tor zu einem Schulgelände (Symbolbild).

© Imago/Einsatz-Report24

Resilienz erwächst aus Kompetenz. Diese Kompetenzen müssen aktiv erworben werden. Für das Internet gilt insbesondere die emotionale Kompetenz. Denn Falsch- und Desinformationen basieren nicht auf Fakten, sondern auf Betroffenheit. Und Social Media hat eben nicht die Aufgabe, Inhalte zu transportieren, sondern zustimmungsfähige Gehalte zu multiplizieren, also emotionale Botschaften zu liken, zu teilen und zu verbreiten.

Als Kompetenz gilt ebenfalls, ein Grundvertrauen der Polizei und den Behörden entgegenzubringen. An dieser Stelle nichts vom Staat anzufragen und zu vertrauen, dass Entwarnung bedeutet, es gibt keinen Grund zur Panik.

Tatsächlich ist dieses Grundvertrauen in unsere Institutionen erschüttert. Auch hier lohnt es sich, innezuhalten: Aus berechtigter Kritik über gemachte Fehler sollte nicht grundsätzlich die staatliche Institution als Ganzes infrage gestellt werden. Fehler sind Anlass zur Veränderung, nicht zur Abschaffung der Institution. Die bestehenden Verhältnisse verdienen ein Grundvertrauen – und auch ihre schärfsten Kritiker wollen nicht in Russland leben.

Eine offene Gesellschaft lässt sich nur mit Kompetenz verteidigen.

Martin C. Wolff

Umgekehrt gilt auch: So wenig es die Aufgabe der Politik ist, zu verunsichern, so wenig ist es, zu sedieren. Eine offene Gesellschaft bleibt nur offen, wenn falsche oder erst recht absurde Informationen unaufgeregt ignoriert werden.

Dafür müssen aber auch die bekannten Informationen von den Behörden und der Politik konsequent und im Vertrauen auf die Kompetenz der Bevölkerung kommuniziert werden. Die Saat des Misstrauens keimt gerade aufgrund der wechselseitigen Unterstellung, dass die staatlichen Institutionen wie die Bevölkerung überfordert sind.

Eine offene Gesellschaft lässt sich nur mit Kompetenz verteidigen. Diese Verantwortung geht deutlich über die Behörden hinaus und nimmt die Gesamtheit in die Verantwortung.

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