
© Lena Ganssmann
Nachruf auf Adib Harb: Eine Respektsperson
Die wichtigste Regel in seinem Laden: keine Politik, keine Religion!
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Wenn Adib nach Hause kam, brachte er die Gerüche aus seinem Laden mit. Der Duft nach frisch gemahlenem Kaffee mit Kardamom, nach Mandeln, Rosenwasser. Die Melange hatte sich in seinem Maßanzug festgesetzt, im weißen Hemd, in seinen perfekt frisierten Haaren. Adib roch nach dem Libanon. Das Land würde immer seine Heimat bleiben, wie er einem Fernsehteam einmal sagte. Berlin war sein Zuhause geworden.
Adib ist in den Bergen aufgewachsen, im Norden des Libanon. Hier wiegen sich die Zedernbäume im Wind, im Winter bedeckt der Schnee die Gipfel. Adibs Familie war christlich, sein Vater ein strenger Patriarch, der eine Pferdezucht und Ländereien hatte, auf denen Menschen für ihn arbeiteten. Klein gewachsen, drahtiger Körper, blaue Augen. Wollte er etwas, dann geschah das auch.
Adib war der zweitälteste Sohn. Der älteste entzog sich den väterlichen Ansprüchen und ging zum Militär. Also war es an Adib, die angesehene Familie zu repräsentieren, deren Name Türen bis in die höchsten Kreise des Landes öffnete. Ein Harb war eine Respektsperson, jemand, der Verantwortung trägt.
Adib ging zu Fuß zur Klosterschule, das dauerte Stunden. Später ritt er mit dem Pferd oder fuhr mit dem Fahrrad; seit er 14 war, fuhr er mit dem Auto. Hier oben in den Bergen ging es ruhig zu. Ganz anders in Beirut, pulsierende Weltstadt damals, wo das Libanesische Pfund mehr wert war als die Deutsche Mark. Doch die politischen, ethnischen und religiösen Konflikte gab es längst.
Im roten Alfa Romeo Spider durch die Stadt
Adib drängte es in die Ferne, hinaus aus dem kleinen Libanon. 1963 landete er in München, ein entfernter Verwandte hatte ihn nach Deutschland gelotst. Erst arbeitete Adib in einer Eisengießerei. Er überlegte, wie die Abläufe verbessert werden könnten, machte Vorschläge. „Melde dich mal beim Chef“, sagte der Vorarbeiter. Doch eine Karriere in der Produktion war nichts für Adib. An der TU in West-Berlin begann er ein Schiffsbau-Studium. Und er gründete einen libanesisch-deutschen Club, eröffnete mit Partnern ein Restaurant und dann noch eins. Er kaufte sich einen roten Alfa Romeo Spider; mit offenem Verdeck kurvte er durch die Stadt und beeindruckte die eine oder andere Frau.
Als Adib sein Studium beendet hatte und in den Libanon zurückkehren wollte, warnten ihn seine Geschwister. Das Land hatte sich in ein Pulverfass verwandelt, ein Bürgerkrieg tobte, Nachbarn wandten sich gegen Nachbarn, Menschen starben, Adibs bester Freund auch. Also blieb Adib in West-Berlin, und weil der Name Harb auch hier Türen öffnete, übernahm er die Leitung des ersten libanesischen Konsulats in der Stadt. Er war für behördliche Vorgänge zuständig, vertrat das Land bei Empfängen und bei Messen. Auf einer solchen lernte er Ines kennen, die als Hostess aushalf, 20 Jahre jünger als er, wunderschön. Ihre Hände berührten sich wie zufällig. Ines verliebte sich in den gut aussehenden, charmanten Mann. Einer, dem man zuhörte und der wusste, was er wollte. 1982 kam ihr Sohn auf die Welt, drei Jahre später die erste Tochter, dann eine zweite.
Doch weil es in Adibs Zuhause an den richtigen Gewürzen, den richtigen Weinen, dem richtigen Kaffee fehlte, wurde aus dem Konsulatsleiter ein Handelsmann. Auf der Potsdamer Straße eröffnete er sein Geschäft, große Räume, großes Lager. Von hier aus wollte Adib die Gewürze und Süßigkeiten, Kaffee, Wein und Rosenwasser nach ganz Deutschland, nach ganz Europa verkaufen. Oft fuhr er in den Libanon, fand Handelspartner, bestellte die Waren, die in Containern geliefert wurden. Es funktioniere: Hotels und Restaurants orderten bei ihm, auch Privatleute kauften kistenweise die Güter aus dem Orient.
Neue Botschafter stellten sich bei ihm vor
Betrat man seinen Laden, erlebte man einen ruhigen Adib, der die Hand schüttelte und gut zuhörte. Er merkte sich die Geschichten der Menschen, fühlte mit ihnen, manchmal so sehr, dass ihm selbst Tränen in den Augen standen. Was man auf keinen Fall als Schwäche deuten soll. Wenn es Ärger gab, konnte er laut werden, verfluchte Gott und die Welt, dann zog man besser den Kopf ein, bis der Sturm vorüber war.
Adib interessierte es nicht, ob seine Kunden Juden, Muslime oder Christen waren, solange sie die eine Regel beachteten: keine Politik in seinem Laden, keine Religion, der Streit der Welt sollte draußen bleiben. Neben seinem Importgeschäft, betrieb er ein Reisebüro, brachte die Middle East Airline dazu, Berlin anzufliegen, füllte Flugzeuge mit seinen Kunden, die Tickets füllten er und seine Frau per Hand aus.
Adib war eine Institution geworden: Neue Botschafter aus dem Libanon stellten sich bei ihm vor, ließen sich von ihm die Stadt zeigen. Selbst Staatsgäste kamen zu Besuch. Taxifahrern musste man nur sagen, dass man zu Adib Harb wollte, sie kannten die Adresse. Er machte, was sein Vater ihm beigebracht hatte, er repräsentierte, er hielt den Familiennamen in Ehren.
Und stets stand die Arbeit über allem. Wurde es schwierig, waren Containerladungen verdorben, haute ihn jemand übers Ohr, verlor er viel Geld in irgendwelchen Staatsanleihen, biss er die Zähne zusammen und arbeitete doppelt so hart weiter. Das Gleiche erwartete er von seinem Sohn und seinen Töchtern. Nicht jammern, nicht klagen. So verdient man gut, lebt in einer riesigen Wohnung, lässt die Kinder Instrumente lernen, kauft das teure Klavier, die teure Geige.
Als Adib erkrankte, wollte er das nicht wahrhaben. Krebs? Er doch nicht! Der Arzt teilte mit, dass er nur noch ein paar Monate zu leben habe. Adib kämpfte – und lebte noch acht Jahre. Seine Familie pflegte ihn, sein Sohn übernahm das Geschäft. Noch zwei Tage vor seinem Tod wollte Adib wissen, wie es lief.
Die wichtigste Regel in seinem Laden: keine Politik, keine Religion
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