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Nachruf auf Avinash Taneja: Gut gewürzte Neuigkeiten
Berlins erstes indisches Restaurant gehörte ihm. Die Folk-Kneipe daneben auch
Stand:
Berlin 1967, kulinarisch: Eisbein, Schnitzel und Erbseneintopf konnte man an jeder Ecke essen. Eben erst hatte die allererste italienische Pizzeria eröffnet. Von Curry, Palak Paneer oder Naam-Brot hatte noch kaum jemand gehört. Eine Marktlücke, dachte sich Avi Taneja und tat, was er immer tat, wenn er ein Geschäft witterte: er legte los. Er mietete Räume in der Bleibtreustraße 17, ließ sie renovieren und eine Küche einbauen. Ein Hippie-Künstler aus den USA malte pastellfarbene Landschaften an die Wand mit Palästen und Elefanten. Manjula, Avis Frau, entwarf die Speisekarte. Für spezielle indische Gewürze fuhr Avi nach London. In der Küche arbeiteten Landsleute von ihm, Inder.
Das Problem: Was der Berliner nicht kannte, dass aß er nicht. Avi blieb auf seinen gut gewürzten Neuigkeiten sitzen. Da tat er, was er immer tat, wenn ein Geschäft nicht gut lief: Er machte ein zweites auf. Direkt neben dem „Calcutta“ mietete er die nächsten Räume, ließ ausgesonderte Sitze aus U-Bahnen auf Mauersteine montieren, als Tische dienten Holzplatten, darauf ließ er große, bauchige Flaschen als Kerzenhalter stellen. Ab 21 Uhr spielten unbekannte Musiker, ab 22 Uhr bekanntere, jeder fünf, sechs Lieder, dann der nächste. Reinhard May trat auf, Jürgen von der Lippe, die Gebrüder Blattschuss, Insterburg und Co. Das „Go In“ war schnell eine der beliebtesten Folk-Kneipen der Stadt. Und das Essen aus dem „Calcutta“ wurde über einen Kellerdurchgang rübergebracht und für ein paar Mark an die bierseligen Studenten verkauft.
Langsam schweißte er, aber äußerst korrekt
Avi war 1932 im heutigen Pakistan geboren worden. Seine Familie gehörte zur Hindu-Minderheit. 13 Kinder kamen auf die Welt, von denen nur sieben überlebten. Der Vater handelte mit Trockenobst. Das Haus glich einer kleinen Festung, mit einem großen Tor, darin eine kleine Tür. Immer wieder gab es Überfälle. 1947, als Pakistan ein eigener, muslimisch geprägter Staat wurde, musste die Familie fliehen. Erst lebten sie in einem Flüchtlingslager, da gab es Schießereien, Tote auf den Straßen. Aber das Leben ging weiter, sie fanden Arbeit, eine Unterkunft.
Mit dem Glauben seiner Eltern konnte er wenig anfangen, rational wie er war. Sie hatten sich einem Guru verschrieben, der das Leben der Familie bestimmte. Als sein geliebter älterer Bruder starb, weil er nicht am Blinddarm operiert worden war – über sein Schicksal sollten die Götter bestimmen – brach Avi mit den Eltern.
Erst kam er bei Verwandten unter, dann hatte er seine erste Geschäftsidee. In Goa, damals noch eine portugiesische Kolonie, kaufte er westliche Kleidung und Parfüm, und schmuggelte diese ins protektionistische Indien. Sein Schwager vermittelte ihm 1957 eine Lehre in Deutschland, er stieg ins Flugzeug und erlernte das Schweißen. Langsam war er, aber äußerst korrekt. Damit war er geeignet, die Pumpen der ersten Atomkraftwerke zusammenzufügen.
Mit dem Fachabi in der Tasche zog Avi nach Berlin, wo es so viel liberaler und wilder zugehen sollte. Er wohnte zur Untermiete, Duschen war nur einmal in der Woche erlaubt, weshalb er die öffentlichen Duschanstalt in der Krummestraße besuchte. Er fand zwei Partner und eröffnete in der Bundesallee das „Closed Eye“, eine Disko. Im Berliner Nachtleben war viel Geld zu machen.
Für Einlass, Tresen und das DJ-Pult stellte Avi Leute an, er selbst dachte lieber über weitere Geschäfte nach. „Er wollte Dinge unternehmen, von einem zum nächsten, kein Stillstand. Auf gewisse Art war er getrieben“, sagt seine Tochter.
Mitte der 60er hatte Avi eine schöne Wohnung am Bayerischen Platz gefunden, große Zimmer, hohe Decken, Dielenboden. Die Geschäfte liefen, Geld kam rein, nun konnte er eine Familie gründeten. Er kabelte nach Indien, dass er bald auf Besuch komme, sie könnten schon einmal nach Kandidatinnen Ausschau halten.
Sonntags mietete er das Kant-Kino
Manjula hatte gerade ihr Zoologie-Studium abgeschlossen und wollte promovieren. Ihre Mutter fand, dass sie danach zu alt für eine Heirat sei. Es sei an der Zeit, nach Kandidaten Ausschau zu halten. Der erste war nichts für Manjula, der zweite auch nicht, ein Muttersöhnchen. Doch als Avi vor ihr saß, und von seinem Leben in Berlin berichtete, da wusste sie: der oder keiner! Zur Trauung ging es auf dem Pferd, zur Feier waren 1000 Gäste geladen.
Avis fand weitere Geschäftsideen. Sonntags mietete er das Kant-Kino und zeigte Filme aus seiner Heimat. Es lebten ja immer mehr Inder in Berlin. Dann eröffnete er ein weiteres indisches Restaurant, dann einen indischen Imbiss, dann den ersten Thai-Imbiss. Immer wieder machten Köche, die bei ihm gearbeitet hatten, eigene Restaurants auf. Die Speisekarte, die Avis Frau zusammengestellt hatte, übernahmen sie. Avi störte das nicht. Im Gegenteil, er vermittelte Sprachkurse, Wohnungen, erklärte Neuankömmlingen, wie das Leben in Deutschland funktionierte.
Dann kaufte er noch kleine Wohnungen, verkaufte sie wieder, kaufte größere, schließlich ein heruntergekommenes Mietshaus in Friedrichshain. Das ließ er aufwändig sanieren mit Maisonetten-Wohnungen und Kaminen. Geld verdienen – das interessierte ihn, Geld besitzen weniger.
Seine Tochter kam 1966 und sein Sohn 1976 auf die Welt. „Er war ein Vater, auf dem wir herumklettern konnten“, sagt die Tochter. Nie war es zu laut, im Gegenteil, so richtig gemütlich wurde es doch erst, wenn die Kinder herumlärmten. Avi nahm sie ernst und spannte sie früh ein. Seine Tochter tippte die Briefe an die Behörden auf der Schreibmaschine, und sie sprang mit der Mutter ein, wenn die Köche streikten. Die beiden falteten auch die tausenden Briefe, die das Filmprogramm ankündigten, und übernahmen die Buchhaltung.
Wann er sein letztes Geschäft gemacht hat? Vielleicht mit 80. Von da an las er nur noch, ging spazieren, war für seine Frau da. „Manchmal brauchte wir gar nichts mehr zu sagen, wir schauten einander an und wusste, was in dem anderen los war“, sagt sie. Es gibt ein Foto, da sitzt ein Enkel auf seinem Schoß, und Avi strahlt übers ganze Gesicht. Im Oktober 2023 ist er zuhause gestorben, bei seiner Frau, in seinem Lieblingssessel.
Wenn ein Geschäft nicht gut lief - machte er ein zweites auf
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