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Benedikt Maderspacher

© privat

Nachruf auf Benedikt Maderspacher: Am Ort des Wissens und der Eitelkeiten

Er wollte seine Daseinsberechtigung behalten. So entschied er sich gegen sein Paradies am Rhein

Stand:

Ben hatte überhaupt keine Lust auf Berlin. Nicht weil er was gegen Berlin hatte. Aber war er wirklich bereit sein Haus in Königswinter aufzugeben? Wie viele Tage und Wochen Renovierungsarbeit hatte er in das Haus gesteckt – ein wunderschönes ehemaliges Restaurant mit blauen Fenstern und Türen, mit elf Zimmer und einer riesigen Terrasse. Wie oft hatte er hier gesessen und auf den Rhein geschaut, zusammen mit Freunden. Und dann dieser Moment, wenn der Mond genau zwischen dem Drachenfelsen und dem Schloss Drachenburg aufging, zweimal im Jahr. Das sollte er aufgeben, nur weil der Bundestag von Bonn nach Berlin umzog?

Ben war Buchhändler, hatte seine eigene Buchhandlung am Bundeshaus in Bonn. Und weil der ganze parlamentarische Betrieb in Bonn eingestellt und in Berlin wieder aufgemacht wurde, stand Ben vor der schwersten Entscheidung seines Lebens.

Seine Mutter war Direktorin eines Gymnasiums in Neuss. Sein Vater lebte in Oberammergau und schnitzte dort Holzfiguren für die Kirche. Ben verbrachte die meiste Zeit seiner Kindheit in Internaten. Darüber sprach er nur sehr wenig. Abgeschoben fühlte er sich, nicht geliebt, vor allem nicht von der Mutter. Bei seiner Großmutter auf dem Bauernhof fühlte er sich willkommen, die Kühe, der Stall, das tolle Essen. Er mochte auch seine verrückte Tante, die nach Nigeria ausgewandert war. Als Ben seiner Oma erzählte, dass er schwul sei, sagte sie: „Junge, das ist doch gut für dich.“ Sein Vater war nicht begeistert, seiner Mutter war es egal.

Und schließlich übernahm er den ganzen Laden

Ben studierte schon ein paar Semester Geschichte in Bonn, als er in den Ferien in der Buchhandlung am Bundeshaus ein wenig Geld verdiente. Aus dem Ferienjob wurde eine Lehre, wurde eine Festanstellung, und schließlich übernahm er den ganzen Laden, 34 war er da. Politiker, Journalisten, Fraktionsangestellte – alle kamen sie zu ihm. Morgens, um sich die Zeitungen zu holen. Das Geld legten sie einfach auf einen Teller neben der Kasse. Ansonsten bestellten und kauften sie jede Menge Bücher, und viele hielten auch ein Pläuschchen mit den Buchhändler.

Es war ein Kosmos für sich: das Hochhaus für die Abgeordneten und die Fraktionen, dann das Bundeshaus, in dem der Bundestag und der Bundesrat ihre Sitzungen abhielten, und mitten drin Bens Buchladen – ein Ort des Wissens und der Eitelkeiten. Eifersüchtig schaute der eine oder andere Politiker wie gut sich seine Biografie verkaufte und welcher Kollege ebenfalls eine rausgebracht hatte.

Ben behandelte alle gleich. Auch Bundeskanzler bestellen Bücher, was ist schon dabei? Freundlich war er, geradezu fröhlich, aber nie hätte er sich einem Kunden aufgedrängt. Erst, wenn jemand sich fragend umblickte, sprach er ihn an. Es gab kaum ein Werk, zu dem er nicht wenigstens eine Kurzrezension parat hatte, kaum ein Themengebiet, zu dem er nicht die Standardwerke empfehlen konnte.

Es war 1997, als dieser junge, gut aussehende Mann an Bens Geburtstagstafel landete. Peter hieß er, arbeitete als Kellner auf dem Ausflugsdampfer, war gerade frisch nach Königswinter gezogen und hatte gerade genug von den Liebesdingen. Mit Ben kam er ins Gespräch, sie unterhielten sich, als ob sie sich schon lange kennen würden, und immer wieder lachten sie. „Sein Humor ist mir als erstes aufgefallen“, sagt Peter.

Mal süß, mal aufdringlich

Und weil dieser Peter in seiner neuen Wohnung noch keine Kaffeemaschine hatte, stand Ben am nächsten Morgen um sieben mit einer Thermoskanne vor der Tür. Jeden Abend, der nun folgte, wartete Ben am Anlegesteg auf Peter. Der fand das mal süß, mal anstrengend, mal aufdringlich. Manchmal versteckte er sich sogar. Dann brach Peter sich die Kniescheibe, Ben fuhr ihn ins Krankenhaus. Wenn Sie niemanden haben, der sich um sie kümmert, müssen Sie hierbleiben, hieß es. Ben lud ihn ein, bei sich zu wohnen. Peter sagte Ja, und Peter blieb. „Es war nicht dieses Kribbeln, aber die Liebe ist gewachsen“, erzählt er. Ben war der ruhige Pol, Streit gab es keinen. Liebespaar, beste Freunde, schließlich traten sie unter Nebelschwaden und den Klängen von Richard Strauß‘ „Also sprach Zarathustra“ in die Nibelungenhalle und gaben sich das Ja-Wort. Wie Ben diesen Ort organisiert hatte, bleibt sein Geheimnis.

1999 zog also der Bundestag nach Berlin, Ben wusste, dass er mitmusste, wenn er seine Daseinsberechtigung behalten wollte. So entschied er sich gegen sein Paradies am Rhein.

Er fand diese Wohnung, direkt an der Admiralsbrücke in Kreuzberg, unten das Restaurant „Il Casolare“, aus dessen Küche der Pizzageruch ins Treppenhaus drang. „Wir waren fast jeden Tag dort unten.“ Als die Admiralsbrücke zum nächtlichen Abenteuerspielplatz wurde, ging Ben ein ums andere Mal runter und versuchte Verständnis für die arbeitende Bevölkerung zu wecken. Peter wiederum ließ er um die Häuser ziehen – solange er nach Hause kam, war alles gut.

Die beiden führten den Laden inzwischen zusammen. Er hieß jetzt „Parlamentarische Buchhandlung“ und befand sich zunächst in der Dorotheenstraße in einem Hinterhaus und dann direkt im Jakob-Kaiser-Haus, wo die Abgeordneten und die Fraktionen ihre Räume haben. Ja, das Geschäft lief wieder an, und gleichzeitig war die Luft raus: Berlin war nicht Bonn, das Gemütliche, Familiäre war weg. Auch wenn eine treue Kundin zu Ben und sagte: „Immer, wenn ich bei Ihnen reinkommen, höre ich den Rhein plätschern.“ Ben verschanzte sich immer mehr in seinem Büro, kümmerte sich um den Papierkram und überließ die Kunden Peter.

Ben schluckte seit Jahren Medikamente gegen sein Sodbrennen. Dann stellte der Arzt Speiseröhrenkrebs fest. Acht Stunden dauerte die Operation, ein Jahr hat es gedauert, bis Ben wieder auf den Beinen war. „Et kütt wie et kütt“, sagte er. Bei einer weiteren Operation erlitt er eine Gehirnblutung, sein Wesen veränderte sich. Der Leiter der Geriatrie sagte zu Peter: Das wird nichts mehr, am besten lassen sie ihn hier. „Mein Mann gehört zu mir nach Hause“, sagte Peter.

Als sie die Buchhandlung schließen mussten, weinte Ben zum allerersten und allerletzten Mal.

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